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Identität – Heimatlosigkeit als Privileg – Folge 11

Fahime Farsaie, Schriftstellerin im Portrait

Fahime Farsaie ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie floh vor fast 30 Jahren aus dem Iran, wo ihre journalistische und schriftstellerische Arbeit für sie zu gefährlich wurde. Heute schreibt und arbeitet sie literarisch auf Deutsch. Um so gut Deutsch zu lernen, musste sie aber zunächst ihre gelernten negativen Assoziationen zu Deutsch überwinden. Wie ihr das gelang, lest selbst.

Deutsch als Zweitsprache Deutsch als Zweitsprache | Flüchtlinge | Gesellschaft Diversity und Kommunikation, Heimat und Identität

Interview:

Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Identität oder Identitäten beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Natürlich hat sich meine Auffassung zum Thema geändert, auch zu meiner eigenen Identität. Denn das Selbstbild eines Menschen ist nicht konstant und hängt mit verschiedenen komplexen Assoziationen und Gefühlen zusammen. Das heißt, dass der Mensch immer im Austausch mit seinem Umfeld steht, dabei sich selbst entwickelt und gleichzeitig seine Umwelt verändert. Der Prozess dieser gegenseitigen Beeinflussung macht im Wesentlichen die Identität eines Menschens aus, wobei er immer dieselbe Person bleibt und nie ersetzbar ist.

In diesem Zusammenhang sind zwei Komponenten ausschlaggebend; die Kommunikation und die Sprache sowie die Rolle, die man/frau in einer Gesellschaft und in der Familie spielt oder übernimmt. Damit bilden sich die verschiedenen Facetten einer Identität. Bevor ich Mutter wurde, fehlte mir dieser Part meiner Identität, den ich seit der Geburt meiner Tochter in mir trage. Das Gleiche gilt auch für mein Dasein in Deutschland, für meine schriftstellerische und journalistische Tätigkeit. Der Bildungsprozess in der Sache Identität hört nie auf.

Bist du oft umgezogen? In welchen Ländern und an welchen Orten hast du gelebt?

Was heißt oft? Ich habe keinen Maßstab und kann nicht vergleichen! Auf der Welt bin ich in drei Ländern zuhause; im Iran (Teheran), wo ich geboren bin und mein Jurastudium absolviert habe, in England (London), wo ich weiter studiert und gearbeitet habe. Und in Deutschland, in dem ich seit mehr als 30 Jahren arbeite und lebe! Hier bin ich drei Mal umgezogen: Berlin, Frankfurt, Köln. In Köln habe ich auch die Besonderheiten drei verschiedener Viertel kennengelernt.

Gibt es eine Phase in deinem Leben, in der du dich stark umstellen musstest, weil plötzlich alles anders war? Was war das Schwierige?

Ja, das war die abenteuerliche, nicht geplante, nicht freiwillige und illegale Reise aus Teheran nach Deutschland, in dem ich Ende 1980er Jahre zufällig gelandet bin. Denn meine Ansichten und Aktivitäten für die Demokratie und engagierte Literatur haben dem Khomeini-Regime nicht gefallen. Unter dem Shah-Regime war es auch nicht anders. Ich sei eine unbequeme Schriftstellerin und Journalistin gewesen, sagten die Geheimdienstler. Deshalb musste ich wegen der Veröffentlichung einer Erzählung circa 18 Monaten im Gefängnis sitzen. Dieselbe Erfahrung unter dem Mullah-Regime zu machen, war nicht vernünftig! Deshalb bin ich mit meiner Familie geflüchtet.

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Die Begegnung mit den Behörden und den Gesetzeshütern Deutschlands war das Spannendste und Schwierigste in dieser Phase. Nach der Anerkennung als politisch Verfolgte war die Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache die große Herausforderung. Nicht nur, weil sie eine komplexe und komplizierte Sprache ist, sondern auch, weil ich eine innere Abneigung dieser Sprache gegenüber entwickelt hatte, als ich mich in der High School mit der Nachkriegszeit-Literatur beschäftigt hatte. Den Klang der deutschen Sprache hatte ich in amerikanischen und russischen Filmen gehört, die über den 2. Weltkrieg gedreht wurden, und zwar aus dem Mund der SS-Offiziere, die zum Beispiel die Gefangenen in den KZ-Lagern kaltblütig erschossen. Keine schönen Assoziationen. Ich musste zuerst meine Antipathie überwinden, bevor ich mich mit dem Deutsch anfreunden konnte. Als ich die Sprache aber als ein Mittel verstanden habe, durch das ich meinen hart erarbeiteten Status als Journalistin und Schriftstellerin auch in Deutschland wiedergewinnen könne, ging es leichter. Der Lernprozess setzt sich immer noch bis heute fort.

Denk bitte an deine Grundschulzeit. Welche Bilder, Gefühle und Erlebnisse aus dieser Zeit sind dir präsent? Was ist dir aus deiner Jugend als besonders wichtig in Erinnerung?

Dass das Lernen glücklich macht! Vielleicht klingt es banal, ist aber wahr. Als ich angefangen habe zu lesen und das Geheimnis der dunklen Buchstaben zu entziffern, war ich sehr stolz auf mich. Das war der Anfang eines langen Selbstfindungsprozesses, der meine Persönlichkeit formte und prägte. Ich konnte nicht nur meine Umgebung klarer sehen und wahrnehmen, sondern auch mich mit meinen älteren Brüdern, die in meiner Familie traditionell als besseres Geschlecht betrachtet wurden. Ich konnte vergleichen und im Gegensatz zu allgemeiner Behauptung damals feststellen, dass ich als Mädchen genauso fähig und wert bin wie die Jungen. Diese frühere Erkenntnis hat mir immer im Kampf gegen die Diskriminierung und für die Gleichberechtigung geholfen.

Was bedeutet für dich Heimat und wo fühlst du dich heute zuhause? Welche Bilder, Gerüche oder Gefühle verbindest du mit dem Begriff Heimat?

Heimat ist für mich der Ort, in dem ich mich als Frau, als Schriftstellerin, als Mensch und als gleichberechtigte Bürgerin einer Gesellschaft akzeptiert fühlen kann. Heimat ist der Ort, wo ich meine Wünsche, Bedürfnisse und Ideen aussprechen und realisieren kann; der Ort, in dem ich meine Persönlichkeit entfalten und meinen Sehnsüchten nachgehen kann. Diesen Ort, der all das ermöglicht, finde ich bis dato nirgendwo. Diese Art Heimatlosigkeit betrachte ich übrigens mittlerweile als ein Privileg!

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Stell dir vor, du musst wegziehen in eine weit entfernte Stadt oder sogar in ein anderes Land. Welche drei Dinge brauchst du unbedingt, damit du am neuen Ort ankommen kannst?

Mein I-Phone, mein Fahrrad (mit Helm natürlich!) und meine Erinnerungen. Den Rest besorge ich vor Ort.

Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ist in Deutschland alltäglicher Gegenstand von Smalltalk. Jeder vorhandene oder fehlende Dialekt oder Akzent, das Aussehen und andere Merkmale werden zum Anlass von Fragen, manchmal aus Neugierde, manchmal um über etwas anderes als das Wetter zu reden und manchmal belastet von Vorurteilen und Erwartungen. Was denkst du über die Frage und wie gehst du damit um, wenn du auf deine Herkunft angesprochen wirst?

Es ist unterschiedlich. Wenn ich im Wald einen Wanderer nach dem Weg frage und er statt zu antworten, mich fragt „Woher kommen Sie?“, antworte ich ganz souverän zum Beispiel „aus dem Königreich Dänemark“. Das ist mir vor Kurzem passiert. Wenn ich aber merke, dass durch meine korrekte Antwort ein reger und spannender Meinungsaustausch stattfindet, dann gehe ich auf die Frage tiefer ein. Generell fühle ich mich aber nicht für die Befriedigung der Neugierde oder Schließung der Bildungslücken meiner Gesprächspartner und -partnerinnen zuständig.

Gibt es andere Fragen als die nach der Herkunft, die du gefühlt jedes Mal gestellt bekommst, wenn du auf neue Menschen triffst? Welche und was machst du, wenn du davon genervt bist?

Diese Frage nervt mich. Dazu mag ich mich nicht äußern.

Gibt es einen Glaubenssatz, der dich leitet und begleitet?

Ja, denke an deine Mitmenschen in Not.

Was ist für dich die größte Herausforderung unserer derzeitigen Gesellschaft?

Populisten in Deutschland und in aller Welt, die leider überall immer mehr Zuspruch erhalten. Die jüngste Geschichte dieses Landes zeigt, dass „die Banalität des Bösen“ im rechten Gedankengut verankert ist.

Wenn du die freie Wahl hättest, wo möchtest du gerne leben?

In Grönland!

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Deutsch als Zweitsprache Deutsch als Zweitsprache | Flüchtlinge | Gesellschaft Diversity und Kommunikation, Heimat und IdentitätMehr über Fahime erfahrt ihr auf ihrer Website: http://www.farsaie.de/. Dort findet ihr auch eine Liste ihrer Veröffentlichungen. Wer sie persönlich sehen und hören mag, hat an diesem Wochenende auf der Leipziger Buchmesse die Gelegenheit. Sie liest am Samstag, den 25. März 2017 aus ihrer Novelle „Nasrins öst-westliche Nacht“, erschienen 2017 im Dittrich Verlag.

Die Lesung findet statt in der Halle 3, Stand E401 von 16:30 Uhr bis 17:00 Uhr. Veranstalter sind die Initiative „Literatur statt Brandsätze“ und das Forum Literatur ‚buch aktuell‘, Titel der Veranstaltung: Die Fremdheit war groß für einen Augenblick. Neben Fahime Farsaie liest als zweite Autorin Tina Pruschmann aus ihrem Debutroman. 

*  Alle Bilder wurden von Fahime Farsaie zur Verfügung gestellt.

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