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Die Sache mit dem Händeschütteln

Interkulturelle Kommunikation Begrüßung | Geschlechtergerechtigkeit | Gleichbereichtigung Diversity und Kommunikation

Was tun, wenn ein muslimischer Mann einer Frau die Hand zur Begrüßung verweigert? Dieses Thema wurde und wird rauf und runter diskutiert. Fast steht es ein bisschen stellvertretend für Missverständnisse und Konflikte, die wir im Umgang mit Geflüchteten empfinden oder beobachten. Um ein Missverständnis aufzuklären oder Lösungen für einen Konflikt zu finden, hilft es, zu verstehen, wo genau das Problem liegt.Daher stelle ich eine Reihe von Fragen:

Interkulturelle Kommunikation Begrüßung | Geschlechtergerechtigkeit | Gleichbereichtigung Diversity und Kommunikation

Worum geht es bei der Frage „Hand geben“ – „Hand verweigern“ eigentlich genau?

Ist es

  • nicht vollzogener Körperkontakt?
  • das Gefühl von unhöflichem Benehmen das anderen?
  • das Gefühl, zurückgewiesen und abgelehnt zu werden?
  • das Gefühl, von der anderen Seite nicht respektiert zu werden?
  • der Anspruch, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden müssen?
  • ein Angriff auf unsere Werte?
  • ein Konflikt oder ein Missverständnis?

Ich habe noch nie Beschwerden darüber gehört, dass es statt eines Handschlags ein Küsschen auf die Wange gibt oder eine Verbeugung mit vor der Brust gefalteten Händen. Woher kommt also unsere Empörung?

Bevor wir an eine Lösung denken können, müssen wir uns selbst verstehen.

Wie begrüßen wir uns in Deutschland eigentlich sonst so?

  • Es gibt in Deutschland mehrere akzeptierte Formen der Begrüßung, die sich je nach Anlass und sozialem Milieu unterscheiden. Händeschütteln ist eine davon, eine sehr gängige.
  • Eine angebotene Hand zurückzuweisen wird im Regelfall als unfreundlicher Akt wahrgenommen. Es ist nur dann sozial akzeptiert, wenn es für den anderen eine plausible Erklärung gibt und/oder von einer Entschuldigung und einer Ersatzhandlung begleitet wird.
  • Bei fast allen Begrüßungsformen ist es wichtig, Männer und Frauen gleich zu behandeln (Ausnahme Handkuss, der aber in sehr wenigen Situationen als angemessen akzeptiert wird). Sonst wird dies leicht als Angriff auf unsere Grundwerte verstanden bzw. als mangelnder Respekt vor der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Was empfinde ich, wenn mir jemand die Hand verweigert?

  • Fühle ich mich verletzt, weil abgelehnt und zurückgewiesen?
  • Fühle ich mich verletzt, weil nicht ausreichend respektiert?
  • Fühle ich mich bedroht, weil ich glaube, dass mir der andere seine Regeln aufdrängen will bzw. dass für mich wichtige Regeln in Gefahr sind?
  • …?

Diese und andere Fragen kann ich natürlich auch vergleichbar stellen und beantworten, wenn ich Beobachter der Situation bin. Letztlich geht es darum, zu reflektieren: Was ist passiert? Wie habe ich das verstanden/interpretiert? Welche Gefühle hat das bei mir ausgelöst?

Die andere Seite

Als nächster Schritt kann ich versuchen, die andere Seite zu verstehen:

  • Warum hat sich der andere verhalten wie er sich verhalten hat?
  • Wie hat er sein Verhalten gemeint?
  • War es Unwissen? Ein Missverständnis? Bewusste Abgrenzung und falls ja warum?
  • Liegen Gründe für das Verhalten vor, die ich verstehen und akzeptieren kann?

Wichtig  ist dabei, wirklich die andere Seite antworten zu lassen. Wenn ich mir die Fragen aus mir selbst heraus beantworte, fehlt mir zum Verständnis die Perspektive des anderen. Am einfachsten finde ich solche Dinge natürlich heraus, wenn ich den anderen direkt fragen kann. Schwieriger ist es, wenn die Sprachbarrieren noch erheblich sind oder andere Gründe verhindern, so direkt zu kommunizieren, und ich auf anderem Wege mehr herausfinden und kommunizieren muss. Viel lässt sich über Gestik und Mimik kommunizieren. Möglicherweise kann ich andere Vertreter des sozialen Milieus/ der kulturellen Prägung fragen, oder hierzu von diesen veröffentlichte Beiträge lesen, um mich der anderen Perspektive zumindest anzunähern.

Wertschätzend und auf Augenhöhe begegnen

Ob nonverbal oder verbal, in beiden Fällen ist es wichtig, dem anderen auf Augenhöhe und wertschätzend zu begegnen. Mit Unterstellungen und Forderungen schürt man Konflikte eher an. Denn jetzt fühlt sich die andere Seite ungerecht behandelt und hat eher die Tendenz, sich zu verteidigen oder zum Gegenangriff auszuholen.

Wertschätzung ergibt sich am leichtesten, wenn ich ehrliches Interesse und Neugier zeige, dem anderen gute Absichten unterstelle und davon ausgehe, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Oft ist es ja so.

Im Idealfall ergeben sich daraus Aha-Effekte und beide Seiten lernen Neues dazu. Jeder kann die wahrgenommene Wirklichkeit nur in seinem eigenen gelernten Kontext interpretieren. Die eigene Wirklichkeit ist aber immer nur ein Ausschnitt aus vielen möglichen Wirklichkeiten. Solche Begegnungen können uns also neue Perspektiven eröffnen und uns wachsen lassen. In diesen Fällen lösen sich Missverständnisse oft von alleine.

Aber natürlich löst sich nicht jedes Dilemma auf. Manchmal verhärtet sich ein Konflikt sogar. Trotzdem ist es gut, weiter sachlich, wertschätzend und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das eigentliche Problem liegt selten da, wo es die Protagonisten in ihrer ersten Einschätzung verortet haben. Wenn beide Seiten das Verhalten der jeweils anderen Seite besser verstehen und einordnen können, ergeben sich oft neue, dritte Wege.

Dazu müssen aber beide verstehen, was dem anderen so wichtig ist, dass er den entscheidenden Schritt nicht gehen kann. Bleiben wir beim Händeschütteln:

Grundwerte, rote Linien und Lösungen

Falls jemand aus religiösen, hygienischen oder anderen Gründen anderen Menschen nicht die Hand geben möchte und sich dazu auch nicht überwinden will, gibt es möglicherweise Alternativen ohne Körperkontakt. Schließlich gibt es kein Gesetz darüber, dass man sich in Deutschland die Hände drücken muss, um Hallo zu sagen. Für die deutsche Seite dürfte vor allem wichtig sein, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden. Wenn ich also Frauen die Hand nicht geben mag, darf ich auch Männern die Hand nicht geben. Denn wenn es um die Frage der Geschlechtergerechtigkeit geht, reagieren die einen besonders empfindsam, weil sie hart erkämpfte Rechte bedroht sehen. Anderen geht es vielleicht nicht so sehr um die Gleichberechtigung, die auch hierzulande Luft nach oben hat, aber um unsere im Grundgesetz verankerten Grundwerte, die sie angegriffen sehen und verteidigen möchten.

Ich gehöre auch zu den Frauen, die beim Thema Geschlechtergerechtigkeit schnell in die Luft gehen können. Zu kurz ist es her, dass wir uns unsere Rechte von hiesigen Machos mühsam erkämpft haben. Zu unvollständig wird die Gleichberechtigung umgesetzt. Trotzdem und obwohl ich seit einem Jahr häufig Kontakt zu geflüchteten muslimischen Männern habe, habe ich beim Thema „Händeschüttteln“ bisher keine Probleme gehabt. Warum? Für mich war dies Anlass, mein eigenes Begrüßungsverhalten näher zu betrachten.

Mein persönliches Erleben

Die afghanischen Familienväter aus dem Deutschkurs in der Kirchengemeinde haben mir mehr und häufiger die Hand gereicht, als es mein Bedürfnis war. Die Welt diskutierte also über die Verweigerung und ich war in der gegenteiligen Situation. Jedes Mal etwa 20 Menschen die Hand geben, zur Begrüßung und oft nochmal zum Abschied. Ich hätte eher ein allgemeines Hallo in die Runde gesagt. Selbstverständlich weise ich keine ausgestreckte Hand zurück. Das wäre nach meinem Empfinden ein Affront gegen den anderen und sehr unhöflich.

Da mein Erleben im Widerspruch zur Medienberichterstattung war, vermutete ich, jemand hat diesen Menschen gesagt: In Deutschland muss man immer die Hand geben. Das gehört sich so. Weil es höfliche Menschen sind, machen sie das.

In der Notunterkunft für allein reisende Männer, in der ich ebenfalls unterrichtet habe sowie in einem Deutschkurs voller Männer, konnte ich mich ebenfalls an keine Weigerung erinnern. Vielleicht habe ich selbst die Hand oft nicht gereicht, weil es zu viele Hände auf einmal gewesen wären? Ich weiß es nicht. Jedem, dem ich die Hand bisher gereicht habe, hat diesen Gruß erwidert.

Allerdings habe ich offenbar nur wenige Situationen, in denen ich von mir aus Hände schüttele. Das sind meist eher formelle Anlässe mit wenigen Menschen. Wenn es viele sind, gibt es eher eine allgemeine Begrüßung für alle. Und sobald ich mich im Freundeskreis bewege, gibt es üblicherweise Küsschen auf die Wange, meist eines oder zwei. Letztens beim Besuch eines Bekannten aus Kiew waren es drei – da gab es ein kurzes Durcheinander mit den Köpfen, das sich dann schnell auflöste. Ein, zwei oder drei Küsschen, in der Regel gewinnt der, der am meisten will. Denn eine Begrüßung zurückzuweisen – das geht eben nicht (siehe oben).

So viel Körperlichkeit mute ich generell nicht einfach jemandem anderen zu, schon gar nicht jemandem, der erst kurz in Deutschland ist und aus dessen Herkunft und Verhalten ich vermute, dass ihm oder ihr dies eher zu viel ist. Sonst könnte ich meinerseits übergriffig wirken. Hier baue ich auf mein Bauchgefühl. Wann und ob es ok ist, jemanden zur Begrüßung zu umarmen oder ein Küsschen zu geben, erspürt man meistens ganz gut. Schließlich gibt es auch viele Deutsche, die nicht unbedingt auf Umarmungen stehen.

Schlussfolgerung

Ob es um die angemessene Begrüßung geht oder um andere kulturellen Gepflogenheiten, wir werden noch vielen Herausforderungen begegnen  – das lässt sich in einer globalen Welt gar nicht vermeiden. Es hilft, sich über die wirklichen Beweggründe klar zu werden. Und darüber, was einem eigentlich wichtig ist. Welcher Wert dahinter steckt.

Da die urmenschlichen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Akzeptanz, der Möglichkeit, sich zu entfalten und der Möglichkeit, die eigene Identität zu leben, global ziemlich ähnlich sind, haben wir gute Chancen, auf Basis eben dieser Bedürfnisse gute Lösungen zu finden.

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3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Bei aller Liebe, Sigi, —-ich musste mir viel Zeit nehmen, den Artikel zu Ende zu lesen.
    Ich hätte es lieber kurz und knackig. ..für den Alltag.
    Dabei schätze ich doch deine Betrachtungsweise von allen Seiten.
    Gestern wurde mir noch ein Beispiel erzählt von einer hier aufgewachsenen Frau, deren Eltern Palästinenser sind, ….und die sich von einer modernen, europäischen , unter dem „Diktat“-? ihres arabischen Ehemanns in eine scheue, zurückhaltende, kontaktvermeidende, verhüllte Ehefrau verwandelt hat..
    Das macht Sorgen, mir und dem, der es mir erzählt hat (unter dem Siegel der Verschwiegenheit ).
    Datenschutz ist ja gewährleistet
    So weit. …als Schlussformel.

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    • Was möchtest du mit dem Beispiel sagen? Was genau macht dir Sorgen? Mir macht Sorgen, dass Anfang dieses Jahres in Köln und anderswo Männer auf die Straße gingen, die angeblich für meine Freiheit als Frau kämpfen wollten, die mir aber viel mehr Angst machten, meine bisherigen Freiheiten zu verlieren. Es waren genau die Typen, die alles andere als emanzipiert dachten oder handelten, sondern Frauen als Objekte und ihren Besitz sehen und behandeln in einer klaren Rollenverteilung. Ich gehöre aber niemandem. Geh in ein Frauenhaus und lass dir erzählen, was Frauen unter dem Diktat ihres Mannes so alles passiert, unabhängig von der Herkunft oder Religion dieses Mannes. Vielleicht sollten wir zunächst vor unserer Tür kehren. Da liegt genug Schmutz rum. Erst dann können wir von uns behaupten, ein gutes Vorbild zu sein.

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