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Debattenkultur: Cancel Culture, Gender-Ideologie, TERF und mehr

Richtig streiten statt Cancel Culture: Pyramide, die unten schlechte und nach oben immer bessere Formen des Widerspruchs zeigt. Von unten nach oben: Beleidigen, ad hominem, Tonnfallbezug, Widerspruch, Gegenargument, Widerlegung, Widerlegen des zentralen Punktes

Wir shitstormen um die Wette. Cancel Culture, Gender-Ideologie, TERF, woker Wahnsinn… Ob auf (A)Social Media, auf Demos oder in manchen Medienbeiträgen. Überalle Geschrei, Freund-Feind-Schemata, schwarz oder weiß. Differenzierende, moderierende, sachorientierte Stimmen haben es schwer durchzudringen. Auf der Strecke bleibt die Debattenkultur. Und mittendrin: Viele neue Wörter und eine problematische Bedeutungsverschiebung alter Wörter. In diesem Blogbeitrag geht es um Begriffe, die im aktuellen Debattenkontext problematisch verwendet werden und was wir tun können, um die Debattenkultur zu verbessern.

Wenn Beschimpfung und Beleidigung ad hominem über der Sache stehen

Der Journalist Hasnain Kazim schrieb im Mai 2023 auf Twitter von zwei Mails, die er bekommen hat: Die eine bezeichnete ihn als „rechter reaktionärer Sack“, die andere als „linksgrünversifft“. Er kommentiert es mit Humor: „Jetzt habe ich ein Identitätsproblem“.

Screenshot Tweet Haznain Kazim: Diese Woche habe ich eine Mail erhalten, in der mir jemand schreibt, ich sei ein "rechter reaktionärer Sack". Und ich habe eine weitere Mail erhalten, in der mir jemand vorwirft, "eine linke Zecke" und "linksgrünversifft" zu sein. Jetzt habe ich ein Identitätsproblem. 5. Mai 2023

Ich erlebe es ähnlich: Die einen bezeichnen mich als linksgrünversiffte, woke Anhängerin der Trans-Ideologie. Die anderen beschinmpfen mich als rechte, faschistoide, transfeindliche TERF. Bin ich jetzt rechtsextrem oder linksextrem oder sind die extrem, die mit solchen Vorwürfen um sich schmeißen?

Anstatt sich in der Sache mit einer Frage, These oder einem Argument auseinanderzusetzen, wird gegen den Menschen angeschrieben. Er wird beschimpft, beleidigt oder ad hominem als nicht diskurs-zulässig bezeichnet.

Das Ziel solcher Beleidigungen und Zuschreibungen: Sie verschieben die Debatte weg von der Sache, um die es geht, hin zu einer Person, die als nicht diskursfähig abgewertet wird. Sie sollen Menschen in Schubladen stecken und für die Anhänger*innen der eigenen Sichtweise als unzumutbar brandmarken. Entsprechend nutzen das oft Menschen, die selbst keine Argumente in der Sache haben, sonst könnten sie diese ja anbringen.

Ich denke: Der einzig vernünftige Umgang mit solchen Attacken ist Öffentlichkeit, nicht zuletzt, um damit die Absurdität solcher Beschimpfungen transparent zu machen.

Das ist aber nicht nur anstregend, sondern bedrohlich und beängstigend, wie hier mit Menschen umgegangen wird. Der Selbstmord der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nach Attacken von Corona-Gegner*innen ist ein trauriges Beispiel, wohin der Hass führt.

Auch ich habe manchmal Angst. Und ich kenne etliche Menschen, die mir sagen: Ich sag dazu gar nichts mehr, das ist mir alles zu aggressiv.

Aber ich will mir nicht den Mund verbieten lassen. Ich will die Bühne nicht den Schreihälsen überlassen. Ich möchte, dass wir zurückkehren zu einer demokratischen Debattenkultur. Denn ich bin überzeugt: Sie ist die Voraussetzung für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft.

Im Folgenden gehe ich auf einige zentrale Begriffe der aktuellen Streit-Unkultur ein:

Cancel Culture

Cancel Culture ist als Vorwurf beliebt bei eher konservativen, populistischen sowie rechtslastigen Positionen. Cancel Culture lässt sich wohl am einfachsten mit Verbotskultur übersetzen. Sie meint aber auch, wenn zum Beispiel Personen von Veranstaltungen ausgeladen werden oder anderweitig verhindert wird, dass sie ihre Sichtweise darlegen können.

So unterstellte die Bild-Zeitung am 1. April 2023 der Tagesschau, sie wolle das Wort Mutter abschaffen. Auf Twitter fragte mich jemand, ob das ein Aprilscherz sei.

Letztlich hatten zwei Journalistinnen der Tagesschau das mit dem Gendern etwas übertrieben und die Bild-Zeitung hat daraus eine Empörung und einen Skandal gebastelt. Dann wurde sich tagelang aufgeregt. Naja, wir kennen das Muster. Es wiederholt sich ständig. Ähnlich verlief das Empörungs-Theater bei „Winnetou“oder „Leyla“. Private Entscheidungen wurden zur Verbotskultur hochstilisiert. Ziel: Aufregung, Reichweite (also Geld verdienen) und andere delegitimieren.

Dabei gibt es tatsächlich Fälle von Cancel Culture. Also Ereignisse, bei denen Leute ausgeladen werden, ihren Job verlieren, nicht gehört werden, weil eine Gruppe sagt, diese Sicht auf die Welt dürfe keine Stimme bekommen. Da sollten wir hinsehen und handeln. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in einer Demokratie. Ihre Grenzen stecken die Verfassung und das Strafgesetzbuch, nicht aktivistische Gruppen.

Ein prominentes Beispiel aus Großbritannien ist Kathleen Stock, eine lesbische Philosophie-Professorin. Gegen sie wurde so lange gehetzt, bis sie ihren Lehrstuhl aufgab.

Doxing oder Doxxing

Nicht nur die Grenzen der Meinungsfreiheit sind im Strafgesetzbuch definiert, auch Persönlichkeitsrechte. Selbstjustitz und Mobbing sind strafbar. Egal von welchem politischen Lager sie ausgehen und egal, gegen wen sie sich richten.

Dazu gehört das sogenannte Doxing oder Doxxing. Gemeint ist damit, Klarnamen und Adressen von Personen auszuspionieren und zu veröffentlichen mit dem Ziel, dass andere Personen gegen diese Person protestieren können oder Schlimmeres. Nicht selten endet Doxing für die betroffene Person mit Hassmails bis hin zu Morddrohungen oder Störungen des Wohnfriedens, also mit Psychoterror und Gewalt.

Ich wiederhole mich: Selbstjustiz und Mobbing sind strafbar. Egal von welchem politischen Lager sie ausgehen.

Mit Wirkung zum 22. September 2021 wurde der §126a StGB eingeführt, der sich explizit mit dem Thema befasst: Doxing und das Anlegen von „Feindeslisten“ sind nach §126a StGb strafbar. Auf anwalt.de wird es genauer ausgeführt.

Feindeslisten sind auf Twitter beliebt: Reichweitenstarke Influencer*innen legen Listen an und sagen ihren Follower*innen, wem sie folgen und wen sie blocken sollen. So kommt es immer wieder vor, dass jemand von Leuten geblockt wurde, zu denen sier noch nie vorher Kontakt hatte. So landen Leute gleichermaßen auf Listen ‚Linke Zecke‘ und ‚Nazi‘. Im Grunde sind diese Listen samt Block(un)kultur ein Instrument der Informationskontrolle und ein Mittel der Konflikt-Eskalation.

Kulturelle Aneignung

Ein Vorwurf, der häufig aus dem links-aktivistischen Lager kommt, heißt „Kulturelle Aneignung“. Auch diesen Begriff empfinde ich als schwierig, weil er im Diskurs verstörend verwendet wird und dabei die Ernsthaftigkeit der Sache unter die Räder kommt.

Im engeren Sinne hat der Begriff „Kulturelle Aneignung“ eine wichtige Bedeutung, nämlich, dass sich die mächtige Seite an den Leistungen der ohn-mächtigen Seite bedient und davon profitiert, weil sie es kann, weil sie die Macht hat.

Auf der anderen Seite ist die Geschichte der Zivilisation durchzogen von kulturellem Austausch in dem Sinne, dass wir voneinander lernen, Dinge aus anderen Kulturen übernehmen und sie mit der Zeit zum Teil unserer Kultur werden. So ist es heute völlig normal, wenn sich hierzulande Menschen mit einer Umarmung und einem angedeuteten Wangenkuss begrüßen. Das ist vermutlich aus Frankreich eingewandert. Pizza und Pasta kamen aus Italien, wobei die Zutat Tomate aus Lateinamerika kommt. Die Grundzutat vieler typisch deutscher Gerichte, die Kartoffel, ist übrigens ebenfalls eine Latina. Muskat und Pfeffer kommen aus Ostasien.

Besonders Küche, Kunst und Mode sind ein einziger Melting Pot. Ohne kulturellen Austausch kein Jazz, kein Rap, kein Gospel, kein Blues, alles hat afro-amerikanische Wurzeln. Und auch diese Gruppen wurden von irgendwoher beeinflusst und verbanden Bekanntes und Unbekanntes, das sie zu neuen Interpretationen anregte. Der ganze Musikbereich ‚Weltmusik‘ ist ein kulturelles Crossover. Am Ende stammen wir als Menschen alle aus Afrika, wo die Menschheit ihren Anfang nahm.

Wenn also jedweder kulturelle Austausch, jede Anleihe aus einem anderen Kontext zur „Kulturellen Aneignung“ stilisiert wird, wird es irgendwann albern. Wenn wir uns über die Frisur einer jungen Musikerin aufregen oder über die Kostüme einer Seniorinnen-Tanzgruppe in einer Weltreise-Choreografie, dann lenken wir vom ernsten Kern der Sache ab: Kulturelle Aneignung als das Ausnutzen ungleicher Machtverhältnisse zum persönlichen Vorteil.

Wer bereichert sich an Kaffee und Kakao, wer an der Ausbeutung seltener Erden, wer an Diamanten? Diejenigen, die auf Plantagen oder in Minen schuften? Nein. Wie teuer müssten Kaffee, Kakao, Handys oder Jeans sein, damit diejenigen, die die Grundlagen für ihre Herstellung erarbeiten, faire Löhne, sichere Arbeitsbedinungen und gesunde Umweltstandards bekommen? Wie viel von unseren Wohlstand müssten wir dafür abgeben?

Kulturelle Aneignung ist es auch, wenn sich ein Mann die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse einer Frau aneignet und am Ende den Nobelpreis dafür kassiert, der eigentlich der Frau zugestanden hätte (Rosalind Franklin und die Entdeckung der Doppelhelix der DNA).

Im Musik- und Kunstbusiness kenne ich mich nicht genug aus. Aber ich bin sicher, es gibt zahlreiche Aneignungsgeschichten wie die von Rosalind Franklin aufgrund ethnischer Machtvorteile. Das ist das Problem. Und nicht Frisuren oder bunte Kostüme.

Gender, Gendergaga und Gender-Ideologie

Das Wort Gender allein reicht, um die Emotionen kochen zu lassen und eine Empörungswelle loszutreten. Egal, ob es um gendersensible Sprache geht oder um Geschlechtergerechtigkeit zwischen Männern und Frauen oder um die Transgender: Sag Gender und beobachte die Schlammschlacht, die folgt.

Eigentlich Material für Satire. Aber auch ziemlich lästig und nervig, jedenfalls für mich, weil ich mich ja ernsthaft und in der Sache mit verständlicher und fairer Sprache auseinandersetze sowie mit geschlechtlicher Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit.

Der Begriff „Gender“ ist eine Art Auffangbecken für gefühlte Ungerechtigkeit und Missstimmungen jeglicher Art. Überhaupt wird in der Debatte um Gender gerne alles Mögliche in einen Topf geworfen, umgerührt, bis eine undefinierte Pampe entsteht und dann pickt sich jed*er etwas heraus, worüber sier sich maximal empören kann – und zwar aus allen politischen Lagern.

Auf Seiten der Anti-Gender-Fraktion werden häufig Blinde, Sehbehinderte, autistische Menschen oder solche mit LRS benutzt, um gegen Gendersprache und Gendergaga zu wettern (siehe unten). Ein eigener Blogbeitrag zum Thema verständliche und barrierefreie Sprache steht auf der To-do-Liste. Bis dahin verweise ich auf diesen Linkedin-Beitrag über eine Studie dazu, welche Genderformen gut verstanden werden und wo Vorsicht geboten ist.

Dass ich von Rechten oder Radikal-Religiösen angefeindet werde, ist klar. Das geht seit Jahren so. Die mögen mich nicht. Ich mag die auch nicht. Beruht also auf Gegenseitigkeit. Wenn aber Radikal-Feminist*innen oder radikale Trans-Aktivist*innen auf mich losgehen, dann ist das beides im weitesten Sinne meine Hood – halt ohne radikal dabei – und das fühlt sich viel schmerzhafter an. Denn im Grunde wollen wir doch alle eine freie, emanzipierte Gesellschaft, befreit von Geschlechterstereotypen.

Radikal-Feminist*innen haben den Hang, Transfrauen generell zu kriminialisieren und Probleme, Transpersonen in ihrem Transgeschlecht zu akzeptieren. Bisweilen wird in verstörender Konsequenz zum Beispiel einem Transmann, der aussieht wir ein ganz normaler Mann, gesagt: Du bist aber eine Frau. Oder umgekehrt, einer Transfrau, die alles getan hat, um als Frau gelesen zu weden: Du bist aber ein Mann. Das finde ich unverschämt und respektlos.

Ich kann sehr gut verstehen, dass es wütend macht, als Frau ständig übergangen und überhört zu werden, was in dieser Debatte leider in erschreckendem Maße geschieht. Trotzdem: In ihrem Kampf um Gehör, vergessen sie bisweilen, sich klar gegen Rechte und Evangelikale abzugrenzen. Und das darf nicht sein.

Radikale Trans-Aktivist*innen labeln blind vor Aggression jeden noch so kleinen Widerspruch zu ihrer Weltsicht als rechts oder transfeindlich und versuchen aktiv, Stimmen zu verbieten, die nicht der queer-aktivistischen Lesart entsprechen (siehe unten).

Beide Strategien schaden feminstischen, weltoffenen, vielfältigen Perspektiven und helfen Rechten und Evangelikalen. Transmann Till Amelung brachte es im April in einem Zeit-Streitgespräch mit Jenny Wilken von der DGTI auf den Punkt: „Sie (Anmerkung: die Trans-Verbände) legen unseren Gegnern immer wieder Bälle auf den Elfmeterpunkt.“ (Die Zeit, Druckausgabe, 13. April 2023, Seite 12f)

Zum leidenschaftlich und ideologisch geführten Streit über die Zahl der Geschlechter habe ich einen eigenen Blogbeitrag geschrieben:

Genozid, genozidal, faschistoid, Nazi

Genozid ist kein neues Wort. Es entstand in der Folge des Holocausts, der Shoah. Die Nazis in Deutschland hatten extra Fabriken und Infrastruktur gebaut, um den Massenmord an 6 Millionen Juden effizent zu organisieren. Ermordet wurden außerdem politische Gegner*innen sowie Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht der Rassen-Ideologie der Nazis entsprachen.

Der Begriff Genozid wurde vom jüdisch-polnischen Juristen Raphael Lemkin (1900-1959) geprägt, zusammengesetzt aus „genus“ (Herkunft, Geschlecht, Stamm, Volk) und „caedere“ oder „cide“ (schlagen, töten, morden). Genozid meint also Völkermord: Die Ermordung von Bosniaken in Srebrenica durch Serben (1995) oder die Ermordung der Tutsi durch Hutus in Ruanda (1994). Auch die Verfolgung und Ermordung von Armenier*innen Anfang des 20sten Jahrhunderts im Osmanischen Reich ist inzwischen als Völkermord/Genozid anerkannt.

Nach Lemkin ist das renommierte Global Raphael Lemkin Seminar for Genocide Prevention benannt, das sich der Prävention von Massenmord und Genozid widmet und mit „The Auschwitz Institute for the Prevention of Genocide and Mass Atrocities“ zusammenarbeitet.

Bedauerlicherweise hat sich eine kleine private NGO einen zum verwechseln ähnlichen Namen angeeignet und nennt sich Lemkin Institute for Genocide Prevention. Gegründet aus einem Projekt für den Irak, fällt es zunehmend dadurch auf, dass es missliebige Transgesetzgebung als Genoizid oder genozidal bezeichnet. Ich finde die republikanische Gesetzgebung in Florida zum Nachteil von Transinteressen auch falsch. Aber ein Gesetz, dass eine Transbehandlung untersagt, ist kein Genozid.

Den Begriff Genozid zu missbrauchen und umzudeuten, empfinde ich als unerträglich. Es ist eine Holocaust-Verharmlosung und verhöhnt die Opfer von Genoziden. Klick um zu Tweeten

Den Begriff Genozid zu missbrauchen und umzudeuten, empfinde ich als unerträglich. Es ist eine Holocaust-Verharmlosung und verhöhnt die Opfer von Genoziden.

Ähnliches passiert mit dem Begriffen Nazi, Faschist*in oder faschistoid. Wenn diese Wörter beliebig als Schimpfwort und Beleidigung verwendet werden, verlieren sie ihre Bedeutung und verwässern die Begriffe für ein rassen-ideologisches und rechts-totalitäres Menschenverständnis.

Außerdem: Wenn alle extrem sind, die von der eigenen Meinung abweichen, wird es höchste Zeit, den Extremismusgehalt der eigenen Meinung zu überprüfen.

TERF – Transexclusionary Radical Feminst

Der Begriff TERF ist die Abkürzung für Transexclusionary Radical Feminist. Ursprünglich bezeichnete er Feminist*innen, die Transgeschlechtlichkeit grundsätzlich ablehnen. Das sind nur sehr wenige der Feminist*innen, die sich kritisch zum Selbstbestimmungsgesetz äußern. Die meisten Kritiker*innen haben das Bedürfnis nach klaren Regeln, die neben Transrechten auch Frauenrechte, Lesben- und Schwulenrechte berücksichtigen oder haben Fragen, machen sich Sorgen. Also alles Aspekte, die in einer demokratischen Debatte auf den Tisch und besprochen gehören.

Inzwischen wird TERF im Sprachgebrauch für alle verwendet, die die Queertheorie kritisieren oder einfach nur Fragen stellen. Die Beschimpfung als TERF tritt häufig in Kombination mit faschistoid, rechts oder genozidal auf. Sie trifft auch Transpersonen und intergeschlechtliche Menschen, die dem Queer-Aktivismus kritisch gegenüberstehen.

Also wohlgemerkt: Der Begriff TERF richtet sich gegen Cis- wie Trans-Personen, die eine Theorie kritisieren oder Fragen stellen. Gleichzeitig dient der Begriff der Entmenschlichung der betroffenen Personen und zur Legitimierung von Gewalt gegen sie.

Auf Social Media, auf Hauswänden, Laternenmasten und auf Veranstaltungen tauchen Sätze auf wie „Kill TERFs“ oder „TERF, suck my big trans dick“. Das erste ist ein Mordaufruf, das zweite sexualisierte Gewalt. Beides: unerträglich.

Ich wünsche mir hier dringend eine klare Kante seitens politischer Parteien und Verbände gegen solche Gewaltaufrufe.

Die so im Diskurs auftreten, wollen eine Sachdebatte verhindern und versuchen, Menschen auszuschließen, zum Verstummen zu bringen und sie daran zu hindern, ihre Sichtweise in den Diskurs einzubringen (Cancel Culture).

Meine Empfehlung für dich: Vermeide diesen Begriff und sag sachlich, was du denkst und warum, ohne solche Zuschreibungen.

Woke, Wokie, Wokeness

Der Begriff woke, Wokie oder Wokeness wiederum wird von der rechtskonservativen und evangelikalen oder der radikal-feministischen Seite benutzt, um andere zu delegitimieren.

Woke kommt aus dem Englischen und bedeutet wachsam. Wachsam zu sein und sich zu bemühen, anderen in Fairness zu begegnen ist an sich etwas Positives. Aber im Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung längst verschoben. Und woke wird als Kritik an identitätspolitschem Aktivismus verstanden.

Freilich gibt es Übertreibungen. Von einigen habe ich hier berichtet. Aber auch Übertreibungen können sachlich und wertschätzend benannt und diskutiert werden. Mit der Beschimpfung als woke wird genau das vermieden. Anstatt in der Sache zu argumentieren, wird gegen eine Person oder Personengruppe gehetzt.

Identitätspolitik und identitäre Politik

Identitätspolitik und identitäre Politik klingen sprachlich ähnlich und referieren dennoch auf gegenteilige politische Konzepte.

Identitätspolitik kommt eher aus dem linken Spektrum. Sie verweist darauf, Emanzipationsbestrebungen diskriminierter sozialer Gruppen zu unterstützen. Im Mittelpunkt stehen dabei Vorstellungen von Gerechtigkeit und Nicht-Diskriminierung. In ihren radikalen Auswüchsen jedoch wird sie problematisch. Hier ein Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung, der sich kritisch mit den Vor- und Nachteilen dieses Ansatzes beschäftigt.

Identitäre Politik dagegen ist ein Teil der rechten Agenda. Hier wird von einer Art Volks-Identität ausgegangen, die auf gemeinsame Vorstellungen von Familie, Tradition und patriarchaler Ordnung beruhen.

Beide Seiten sehen Sprache übrigens als relevant an. Gerade die, die dauernd behaupten, gendern sei Zeitverschwendung, verwenden viel Zeit auf das Thema. Henning Lobin geht in seinem Buch ausführlich auf die Sprachpolitik konservativer bis rechtsextremer Gruppen ein:

Allerdings gibt es auch auf der anderen Seite inzwischen radikale Vertreter*innen, die übergriffig ihre Sicht der Dinge erzwingen wollen.

Gruppen-Zuweisung und Kontaktschuld

Radikale Vertreter*innen unterschiedlicher politischer Sichtweisen tendieren zudem dazu, das Gegenüber im Plural anzusprechen. Sie ordnen es einer imaginären Feindgruppe zu und unterstellen gleichzeitig eine ganze Reihe von Einstellungen und Sichtweisen, ohne zu fragen oder zu prüfen, was die attackierte Person sagt oder denkt.

Ich kann einer Person in einem Punkt zustimmen, obwohl ich viele andere Punkte ablehne. Oder wir sind uns in vielen Punkten einig, aber in diesem Punkt vertreten wir unterschiedliche Ansichten. Diese normale alltägliche Erfahrung wird negiert und Leute werden in gruppenbezogene Ideologie-Schubladen gesteckt.

Beliebt ist auch, ganze Gruppen zu benutzen, um die eigene Ideologie zu untermauern, wie jüngst Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, als er sich gegen Gendern in der Verwaltung ausssprach. Wegner benutzte Migrant*innen, und schob sie vor seine individuelle Abneigung gegen gendergerechte Sprache. Ausgerechnet ein Berliner CDU-Mitglied setzt sich „für Migrant*innen ein“. Glaubwürdig ist das nicht.

Häufig werden auch blinde Menschen benutzt, unbesehen der Tatsache, dass der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband sich längst dazu geäußert hat – und zwar anders als die Anti-Gender-Fraktion es gerne darstellt. Und natürlich sind die Positionen innerhalb von migrantischen oder blinden oder autischtischen Communities genauso bunt und vielfältig wie bei anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Eine weitere destruktive Strategie ist die Kontaktschuld. Das bedeutet, eine Person wird dafür kritisiert, dass jemand, der ihr oder dem sie folgt, etwas gelikt oder kommentiert hat, das als „böse“ identifiziert wurde. Und auch hier werden dieser Person allerhand Einstellungen und Absichten unterstellt, wird all das, von dem der oder die Betroffene gar nichts weiß, dieser Person als Meinung und Absicht unterstellt.

Auch hier das Ziel: dämonisieren, ausgrenzen, eine Sachdebatte verhindern.

Wie können wir eine Sachdebatte führen?

Ohne Meinungsvielfalt gibt es keine Vielfalt. Aber wie können wir wieder dahinkommen, in der Sache miteinander zu streiten? Die wichtigste Kompetenz hierfür ist aus meiner Sicht die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten auszuhalten, Ambiguitätstoleranz.

Paul Graham hat ein Modell vorgelegt, an dem sich die Qualität eines Widerspruchs messen lässt.

Pyramide, die unten schlechte und nach oben immer bessere Formen des Widerspruchs zeigt. Von unten nach oben: Beleidigen, ad hominem, Tonnfallbezug, Widerspruch, Gegenargument, Widerlegung, Widerlegen des zentralen Punktes

Die unteren drei (beleidigen, ad hominem und Tonfallbezug) gehen nicht auf die Sache ein, sondern richten sich gegen die Person, die etwas sagt. Der Widerspruch sagt im Grunde einfach „Nein“, ohne zu begründen. Nach oben werden die Begründungen differenzierter und komplexer.

In diesem Youtube-Video wird das Modell von Graham genau und mit Beispielen erklärt. Nimm dir die paar Minuten Zeit und schau es dir an:

Ich persönlich liebe ja Debatten in der Sache. Wenn alle die gleiche Meinung haben, ist es zwar gemütlich, aber auch langweilig. Ich bin auch nur ein Menschenkind und meine Sichtweise, mein Wertekodex, meine Erfahrungen, mein Gehirn interpretieren die Wirklichkeit aus ihrer Perspektive. Andere Sichtwiesen sehen andere Dinge oder gewichten anders. Wenn wir in der Sache debattieren, ist Widerspruch ein Gewinn für uns alle. Er erlaubt uns, mit den Augen einer anderen Person zu sehen und zu lernen. Das ist gelebte Vielfalt und schafft Raum für Akzeptanz.

In diesem Sinne: Lass uns konstruktiv streiten! Im besten Sinne für die Sache, eine freie, vielfältige, demokratische Gesellschaft.

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Bild: Grahams Pyramide ist von Wikipedia, gemeinfrei

Intersektionalität: Was ist das? Und was ist es nicht?

Intersektionalität erklärt Kreis: in der Mitte steht privilegiert, dann in Regenbogenfarben 12 Kategorien in jeweils drei Abstufungen nach außen zu marginalsiert. Folgende Kategorien: formale Bildung, Wohlstand, Wohnen, Sprache, Hautfarbe, Körpergeschlecht, Geschlechtsidentität, Sexuelle Orientierung, Behinderung, Neurodiversität, Körperform, Staatsbürgerschaft) Abstufungen Beispiele Behinderung (ohne, leicht, signifikant) Neurodiversität (typisch, leicht divergent, stark divergent) Geschlecht: männlich, weiblich, intergeschlechtlich Sprache: Muttersprache deutsch, Deutsch gelernt, keine Deutschkenntnisse

Der Begriff Intersektionalität geht zurück auf die US-amerikanische Juristin Kimberly Crenshaw und hat sich über den Globus verbreitet. Der Ansatz dient dazu, strukturelle Diskriminierung sichtbar zu machen, zu verstehen und sie abzubauen. In Teilen hat sich die Interpretation des intersektionalen Ansatzes jedoch verselbstständigt und verkehrt sich in ihr Gegenteil. In diesem Blogartikel erkläre ich, was intersektional bedeutet und wie wir konstruktiv damit umgehen können.

Was bedeutet Intersektionalität?

Kimberly Crenshaw ist eine US-amerikanische Juristin mit den Spezialgebieten institutionalisierter Rassismus im US-amerikanischen Recht und feministische Rechtstheorie. Entsprechend geht der von ihr geprägte intersektionale Ansatz zurück auf die Diskriminierung von Schwarzen und von Frauen im US-Justizsysem. Der intersektionale Ansatz beschreibt eine Mehrfachdiskriminierung: Eine Schwarze Frau kann als Schwarze, als Frau oder als Schwarze Frau diskriminiert werden. Dabei beeinflussen und verstärken sich die Diskriminierungskategorien gegenseitig.

Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat sich in den 1970er Jahren mit einem ganz ähnlichen Phänomen im deutschen Bildungssystem beschäftigt. Den Begriff intersektional gab es damals noch nicht und doch beschreibt er genau das. Bei Dahrendorf war es die katholische Arbeitertochter vom Land, deren Chancen erheblich geringer waren als bei weniger religiösen Familien, bei Akademiker*innen, in der Stadt und sowieso für Söhne.

Beiden Ansätzen ist gemein, dass sich die Diskriminierungen gegenseitig beeinflussen und verstärken und nicht einfach nur addieren.

Die globalen Diskriminierungsklassen Sex, Class und Race

Sex (Körpergeschlecht), Class (sozio-ökonomischer Status) und Race (ethnischer Hintergrund) sind die drei großen, globalen Diskriminierungskategorien. Darüber hinaus gibt es weitere Kategorien wie Behinderung, Neurodiversität, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentiät oder Alter.

Klassistische Diskriminierung

Das Phänomen der Bildungsbenachteiligung ist für Deutschland gut erforscht, aber leider bisher ohne dass sich etwas daran ändert. Die jüngste Iglu-Studie zeigt 20 Jahre Stillstand in Sachen klassistische Diskriminierung: Anstatt Unterschiede aufgrund der sozio-ökonomischen Herkunft auszugleichen und so allen Kindern die gleichen Chancen auf Bildungserfolg zu ermöglichen, verstärkt unser Bildungssystem diese Klassenunterschiede noch.

Während Körpergeschlecht und ethnischer Hintergrund für alle sichtbar sind, gehört Klassismus zu den unsichtbaren Diskriminierungskategorien. Ich sehen einem Menschen nicht an, aus welchem sozio-ökonomischen Hintergrund er kommt und welche Extra-Hürden die Person überwinden musste, um da anzukommen, wo sie heute ist.

Ethnische Diskriminierung

Ethnische Diskriminierung bedeutet, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Phänotyps bewertet und hierarchisiert werden. Obwohl Hautfarbe, Form von Augen, Nase, Lippen oder die Haarstruktur eines Menschen keinerlei Einfluss auf die Intelligenz, den Charakter oder die Talente eines Menschen haben, wirkt der ethnische Phänotyp nicht nur stereotyp zuschreibend, sondern auch hierarchisierend.

Global haben es Weiße leichter als Schwarze. Dabei gibt es regionale und kulturelle Unterschiede. Die Situation Schwarzer in den USA kann nicht mit der in Europa gleichgesetzt werden. Und auch innerhalb Europas gibt es erhebliche kulturelle und rechtliche Unterschiede.

Kulturell bedingt gibt es weitere Zuschreibungen: Nicht jed*er indisch, chinesisch oder japanisch aussehende Mensch ist ein IT- oder Mathe-Genie, Schwarze können weder alle super tanzen noch sind sie automatisch Fußball- oder Basketball-Talente. Ähnliches gilt für Leute mit latein-amerikanischem Hintergrund.

In der Blogartikel-Serie „Heimat und Identität“ erzählen in Deutschland geborene und nach Deutschland migrierte Menschen von ihren Erfahrungen.

Geschlechtliche Diskriminierung

Die Sache mit dem Geschlecht ist komplex, weil um die Definition der Begrifflichkeiten derzeit heftig und vor allen Dingen ideologisch gestritten wird. Versuchen wir, uns der Sache sachlich zu nähern:

Das Wort Geschlecht kann vieles bedeuten. Laut Duden:

Geschlecht

1a: (von Lebewesen, besonders dem Menschen und höheren Tieren) Gesamtheit der Merkmale, wonach ein Lebewesen in Bezug auf seine Funktion bei der Fortpflanzung meist eindeutig als biologisch männlich oder weiblich bestimmt werden kann

1b: Gesamtheit der Lebewesen, die dasselbe Geschlecht (1a) haben

1c: Gender

2: Kurzform für Geschlechtsorgan

3a: Gattung, Art

3b: Generation

3c Familie, Sippe

4: Genus

Lassen wir die Bedeutungen drei bis vier außen vor und widmen uns den Bedeutungen 1 a/b und 2 im Vergleich zu 1c.

Der Duden schreibt in seiner Online-Ausgabe (19. Mai 2023) zu Gender:

Geschlechtsidentität des Menschen als soziale Kategorie (z. B. im Hinblick auf seine Selbstwahrnehmung, sein Selbstwertgefühl oder sein Rollenverhalten)

Es gibt also auf der einen Seite das Geschlecht im Sinne eines geschlechtlichen Körpers (1a, b und 2). Auf der anderen Seite gibt es das Gender (1c). Der Begriff Gender stammt aus der Soziologie und verweist auf kulturelle und sozialisierte Effekte von Geschlecht, Geschlechtervorstellungen und Geschlechterrollen. Ursprünglich war er das Gegenstück zu Sex, dem Körpergeschlecht.

Gender selbst ist inzwischen ebenfalls ein vieldeutiger Begriff. Kathleen Stock ermittelt in ihrem Buch „Material Girls“ vier Definitionen von Gender: als Synonym für Sex/Geschlecht, soziale Stereotype, soziale Rollenzuschreibung, Geschlechtsidentität.

Nicht zuletzt wegen der mitunter anzüglichen Mehrdeutigkeit des Wortes Sex und vielleicht auch, weil Leute nicht gerne über körperliches Geschlecht reden, hat sich immer mehr der Begriff Gender durchgesetzt und die Differenzierung verschwand.

Auch ich habe der Differenzierung zwischen Sex und Gender lange kein Gewicht beigemessen. Es bezeichnete ja die gleiche Gruppe von Menschen, die auf zwei Arten von Diskriminierung betroffen waren:

  • wegen ihrer Körper und
  • wegen ihrer sozialen Rollenzuschreibung.

Begriffe wie Gender Mainstreaming, Gendermedizin oder Gendersprache bedienen sich ebenfalls des Begriffs Gender, obwohl körpergeschlechtliche Aspekte im Vordergrund stehen.

Meine Einschätzung änderte sich, als ich die Konflikte zwischen Feminist*innen, LGBs und Trans-Aktivist*innen beobachtete, die immer aggressiver und ideologischer wurden. Dabei stellte ich fest, dass genau an dieser Verschmelzung unterschiedlicher geschlechtlicher Kategorien im Begriff ‚Gender‘ enormes Konflikt- und Diskriminierungs-Potenzial steckt.

Geschlecht und damit geschlechtliche Diskriminierung findet auf unterschiedlichen Ebenen statt, die wir in Kategorien eigens benennen und trennen müssen:

Körpergeschlecht: Frauen und mit Vulva geborene Interpersonen werden aufgrund ihres Körpers diskriminiert, anders sozialisiert, bekommen weniger Räume, Rechte und strengere Regeln, werden stärker von Männern kontrolliert, gehören Männern und haben keine eigenen Rechte. XX-Föten werden häufiger abgetrieben.

Auch Männer werden aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale anders behandelt und mit Rollenerwartungen konfrontiert, die nicht immer passen müssen. In einer patriachalen Welt stehen sie hierarchisch jedoch über den Frauen.

Eine besondere Form der geschlechtlichen Diskriminierung erfahren intergeschlechtliche Menschen, also Menschen, die mit gemischtgeschlechtlichen Körpern geboren werden.

Sexuelle Orientierung: Lesben, Schwule und bisexuelle Menschen werden diskriminiert, weil sie nicht in die hetero-normative Matrix passen. Um Crenshaws Ansatz hier anzuwenden: Eine lesbische Frau kann als Frau, als Lesbe oder als lesbische Frau diskriminiert werden.

Geschlechtsidentität: Geschlechtsidentität ist eine gefühlte Zugehörigkeit zu einer Geschlechterkategorie. Das betrifft insbesondere Personen, bei denen die empfundene Geschlechtszugehörigkeit und das Körpergeschlecht zu verschiedenen Geschlechterkategorien gehören (Transgender) oder die sich keine Kategorie zugehörig fühlen (nicht-binär).

Was unter den Begriff „trans“ fällt, ist nicht eindeutig definiert und hat sich seit den 1980er Jahren erheblich verändert. Während in den 1980er Jahren Transsexuelle Personen waren, die ihren Phänotyp mittels Medizin so weit wie möglich an das Identitätsgeschlecht angeglichen haben, ist die heutige Definition sehr viel offener und auch ungenauer.

In der jüngeren Zeit überstrahlt das Thema Transgender viele Diskurse um Geschlechtergerechtigkeit und das ist problematisch. In den radikalen Auslegungen verkehrt es die gute Absicht des intersektionalen Ansatzes in ihr Gegenteil.

Das Rad der Macht und der Privilegien

„The Wheel of Power and Privilege” von der kanadischen Illustratorin Sylvia Duckworth habe ich zunächst begeistert aufgenommen und geteilt. Es geht zurück auf ein anderes kanadische Modell vom Canadian Council of Refugees.

Als ich mir aus diesem Modell eine Übung für ein Anti-Bias-Training ableiten wollte, fielen mir strukturelle Fehler auf. Erstens ist das Modell sehr auf den nordamerikanischen Kulturraum ausgerichtet. Das passt nicht überall zum deutschen Kulturraum. Und zweitens vergisst das Modell, zwischen Sex, Gender und sexueller Orientierung angemessen zu differenzieren. Sex  – eine der zentralen globalen Diskriminierungskategorien – ist verschwunden und wird Gender untergeordnet.

Das ist fatal und meiner Meinung nach eine der Hauptursachen für die unerbittlichen und hasserfüllten Konflikte rund um Transgender in mehreren Ländern.

Intersektionalität erklärt Kreis: in der Mitte steht privilegiert, dann in Regenbogenfarben 12 Kategorien in jeweils drei Abstufungen nach außen zu marginalsiert. Folgende Kategorien: formale Bildung, Wohlstand, Wohnen, Sprache, Hautfarbe, Körpergeschlecht, Geschlechtsidentität, Sexuelle Orientierung, Behinderung, Neurodiversität, Körperform, Staatsbürgerschaft) Abstufungen Beispiele Behinderung (ohne, leicht, signifikant) Neurodiversität (typisch, leicht divergent, stark divergent) Geschlecht: männlich, weiblich, intergeschlechtlich Sprache: Muttersprache deutsch, Deutsch gelernt, keine Deutschkenntnisse

Ich habe also das Konzept überarbeitet, auf den deutschen Kulturraum übertragen und Körpergeschlecht, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als eigenständige Kategorien behandelt. Birgit Jansen von Bürgie hat meine Überlegungen in eine neue Illustration gegossen. Gemeinsam haben wir das Ergebnis unter die Lizenz CC-BY-ND 3.0 DE gestellt. Das bedeutet, unter Angabe der Quelle, mit Link auf meine Seite und ohne die Grafik zu verändern, darfst du sie verwenden. https://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/

Was hat das „Rad der Macht und der Privilegien“ mit Intersektionalität zu tun?

Der intersektionale Ansatz hilft uns zu verstehen, dass wir alle in bestimmten Bereichen privilegiert und in anderen diskriminiert sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir unsere Privilegien oft gar nicht wahrnehmen. Wenn wir diskriminiert werden, fällt uns das dafür umso deutlicher auf.

Wenn du dich in diesem Rad verorten sollst, wirst du vermutlich sehen, dass du privilegierter bist, als du zunächst angenommen hast. Oder du siehst, dass du in manchen wichtigen Bereichen zwar diskriminiert wirst, in anderen dafür aber Privilegien genießt. Im besten Fall führt das dazu, dass du etwas geduldiger, empathischer und reflektierter mit Menschen umgehst, deren Diskriminierungsmomente du vorher nicht richtig wahrgenommen hast.

Im schlechtesten Fall benutzt du das Rad und machst daraus ein Diskriminierungsranking, bei dem du dich selbst als die diskriminierteste aller Personen siehst. Das wäre eine egozentrische, destruktive und anti-emanzipatorische Herangehensweise.

Kritik am Modell „Rad der Macht und der Privilegien“

Im April 2023 habe ich mein „Rad der Macht und der Privilegien“ auf Linkedin geteilt und hatte den erfolgreichsten Post ever. Fast 100.000 Ansichten in kürzester Zeit. Offenbar habe ich damit einen Nerv getroffen. In den Kommentaren gab es auch ein paar kritische Stimmen zu dem, was im Modell fehlt. Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell. Es ist nicht vollständig. Modelle müssen immer Entscheidungen treffen und reduzieren, damit sie übersichtlich und handhabbar bleiben. Wollte es sämtliche Diskriminierungen und biografischen Möglichkeiten erfassen, wäre es kein Modell mehr und wir landen irgendwann bei 8 Milliarden Individuen. Bitte sei also nachsichtig, wenn dir etwas fehlt.

Altersdiskriminierung

Ohne Zweifel werden Menschen aufgrund ihres Alters diskriminiert. Und dennoch habe ich Altersdiskriminierung aus dem Modell bewusst weggelassen. Denn sie lässt sich nicht in dieser linearen dreigliedrigen Struktur abbilden.

  1. werden sowohl junge wie auch alte Menschen diskriminiert
  2.  werden Frauen anders altersdiskriminert als Männer. Frauen haben eigentlich ihr Leben lang das falsche Alter: könnten schwanger werden, haben kleine Kinder, haben zu wenig Führungserfahrung, weil wegen Kinder in Teilzeit gewesen. Das kommt zu „zu jung“ oder „zu alt“ zusätzlich dazu.
  3. hängt die Altersdiskrimnierung stark von jeweiligen Kontexten ab.

Reduktion für die Übersichtlichkeit

Desweiteren fehlen in den Tortenstücken manchmal Begriffe.

Zum Besipiel fehlt die Meister*in, die als Aufstiegsabschluss im dualen Bildungssystem Deutschlands einem FH-Abschluss gleichgestellt ist. Ebenso die Techniker*in und die Fachwirt*in und vermutlich noch ein paar mehr Bezeichnungen auf ähnlichem Level. Damit wird vielleicht schon klar, warum ich das weggelassen habe. Weil es zu voll und damit zu unübersichtlich wird. Solche Details sollten auf der Tonspur, also mündlich in der Arbeit mit der Grafik geklärt werden.

Gleiches bei der sexuellen Orientierung. Hier fehlen pan- und bisexuell. Und was ist asexuell oder welchen anderen Varianten sexueller Orientierung es noch geben mag? Du siehst: Wollte ich alles abbilden, wäre die Grafik zu vollgestopft und nicht mehr gut zu handhaben.

Diskutieren lässt sich auch, ob das Englisch-Niveau als eigene Kategorie aufgeführt werden sollte. Einerseits ist es die internationale Business-Sprache. Andererseits gibt es auch viele Berufe, die fast kein oder gar kein Englisch benötigen und in wieder anderen Bereichen ist es eher vorteilhaft, eine Sprache wie Arabisch oder Türkisch zusätzlich zu Deutsch zu können.

Meine Empfehlung. Wenn du selbst von einer solchen Feinheit betroffen bist, sortiere die gefühlt dort ein, wo es für dich am besten passt.

Wie intersektional ist die queerfeministische Intersektionalität?

In letzter Zeit ist immer wieder von Feminismus, Radikal-Feminismus, Anti-Feminismus, Queer-Feminismus oder intersektionalem Feminismus die Rede. Auf unterschiedliche feministische Sichtweisen und Strömungen einzugehen, wäre ein eigener Blogbeitrag oder gleich das Buch von Lucy Delap: Feminisms – also Feminsmen (Der deutsche Titel ist leider bescheuert).

Ich möchte mich hier nur mit dem Aspekt „intersektionaler Feminismus“ beschäftigen. Unter dieser Verschlagwortung werden teilweise Texte und Thesen produziert, die den intersektionalen Ansatz in sein Gegenteil verkehren. Und bei denen ich auch Probleme habe, sie noch als feministisch zu markieren.

Ja, es ist richtig, auch Männer in den Feminismus einzubeziehen. Wenn ich Feminismus als emanzipatorisches Gegenmodell zu Patriarchat begreife, dann fordert Feminismus alle Menschen aller Geschelchter dazu auf, sich von stereotypen Rollenbildern zu befreien.

Aber es ist grundfalsch, die Diskriminerungskategorie Sex zu leugnen oder sie Gender unterzuordnen. Eine solche Sichtweise ignoriert die weltweite Diskriminerung von XX-Personen sowie von Interpersonen, die mit Vulva geboren werden. Sie werden nicht wegen ihrer Identität diskriminiert, sondern wegen ihres geschlechtlichen Phänotyps und wegen ihrer potenziellen Gebärfähigkeit. Sie haben weniger Rechte, weniger Räume, strengere Regeln und Kontrolle über ihr Leben.

Was kann der intersektionale Ansatz?

Der intersektionale Ansatz trägt dem Rechnung, dass ein Weißer Mann aus sozio-ökonomisch schwierigen Verhältnissen, mit geringen Deutschkenntnissen, ohne Aufenthaltsstatus ebenfalls eine mehrfach diskriminierte Person ist.

Intersektionalität trägt dem Rechnung, dass eine Person auf allen drei Ebenen – Körper, Identität und sexuelle Orientierung – diskrimiert werden kann. Und sie verhindert, dass eine wohlsituierte erfolgreiche Weiße Transfrau plötzlich als diskriminierter gilt als eine geburtsgeschlechtliche Frau und Mutter, die früh Verantwortung in der Familie übernehmen musste, weshalb sie keine Karriere machen konnte und darüber hinaus in einer gewalttätigen Ehe gefangen ist, weil sie finanziell abhängig ist.

Eine Schwarze Person aus reichem, gebildetem und bestens vernetztem Elternhaus, die selbst einen hohen Bildungsabschluss hat, die Landessprache beherrscht und Eigentum besitzt, wird immernoch wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert, hat aber in anderen Diskriminerungsklassen erhebliche Privilegien.

Der intersektionale Ansatz soll uns also helfen, strukturelle Mehrfachdiskriminerung zu erkennen und unsichtbare Diskriminierungskategorien sichtbar zu machen. Aber er dient nicht dazu, einen Diskriminerungswettbewerb zu veranstalten.

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Bild: Grafik Birgit Jansen nach Inhalten von Sigi Lieb

Ein Spiel mit Goethe, Gender und Chat-GPT

Drei kleine Roborter auf blau gestreiftem Hintergrund. Der in der Mitte steht vor einem Karton und hält einen Luftballon. Über ihnen stehen ihre Namen: Gender, Chat GPT, Goethe. Darüber die Überschrift: Lass uns spielen.

In den Debatten zum Thema geschlechtergerechte Sprache wird immer wieder das Narrativ der Dichter und Denker bedient und behauptet, Goethe wäre vom Gendern entsetzt. Aber ist das wirklich so? Ich halte ihn eher für jemanden, der mitgemacht und vielleicht sogar eigene Varianten entwickelt hätte. Goethe spielte mit Sprache und testete ihre Grenzen aus. Ich habe auch ein bisschen gespielt: mit ChatGPT.

Was kann die KI, über die alle reden? Was nicht? Ich habe mit ChatGPT darüber gesprochen, wie Goethe und andere Schriftsteller*innen aus der Vergangenheit zum Thema Sprachwandel und Diskriminierung in der Sprache wohl stehen würden. War lustig. Wurde fast ein Gespräch daraus. Aber nur fast. Am Text ist deutlich zu spüren, dass ein Bot antwortet. Lest selbst.

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Die Sprachpolizei(en) und gendergerechte Sprache

Polizeifigur in Uniform mit Sonnenbrille, weiblichen Rundungen und Mikro in der Hand. vor sehr kleinem Polizeiauto iun Landschaft, ironische Darstellung. Text: Achtung! Achtung! Hier spricht die Sprachpolizei! Bitte folgen.

Die einen kriegen Blutdruck beim Wort „gendern“ und sehen im Genderstern den Untergang des Abendlandes. Andere regen sich auf, wenn jemand das Wort Frau benutzt oder Transfrau als zusammengesetztes Nomen schreibt. Und wieder andere gehen steil, wenn jemand das Wort cis verwendet. Allen gemeinsam: Sie wollen anderen vorschreiben, was und wie sie zu schreiben haben. Ich erteile Sprachzwang grundsätzlich eine Absage: Ich spreche und schreibe so, wie ich es für richtig halte.

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Die sieben Säulen der Resilienz

Resilienz stärken - Kraft für stürmische Zeiten

Der Begriff Resilienz ist zum Buzzword geworden. Unter dem Etikett wird allerhand verkauft, leider auch Angebote, die wenig bis nichts mit Resilienz zu tun haben. Daher hier zunächst einmal, was Resilienz nicht ist: Selbstoptimierung.

Höher, schneller, weiter, besser, mehr… das sind die Adjektive, die unsere Resilienz herausfordern wie Viren unser Immunsystem. Sie können also nicht das Ziel von Resilienz sein. Und wenn dir so etwas begegnet, hinterfrage kritisch, worum es wirklich geht.

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Gender und Affen: Was wir von Primaten lernen können (Rezension)

Bonobo in Lola mit Text: Geschlecht, Sex, Gender: Was können wir von Primaten lernen?

Geschlecht, Sex, Gender. Welchen Einfluss hat die Natur, welchen die Kultur? Dieser Streit ist uralt und wird sehr emotional ausgetragen. Besonders die Transgender-Debatte verläuft polarisiert. Da lohnt ein Blick zu unseren nächsten Verwandten, den Bonobos und Schimpansen: Was können wir von ihnen über unsere Natur und Kultur lernen? Der Primatenforscher Frans de Waal hat hierzu ein Buch geschrieben.

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Rechtschreibregeln: klipp und klar erklärt – Rezension

Buchcover "Rechtschreibung klipp und klar erklärt" von Annika Lamer auf farbigem Hintergrund mit Scrabble-Buchstaben

Können Rechtschreibregeln leicht und fröhlich sein? Kann Rechtschreibung Spaß machen? Das kommt ganz darauf an. Mit Annika Lamer würde ich sagen, ja. In ihrem Buch „Rechtschreibung klipp und klar erklärt“ zeigt sie die wichtigsten Rechtschreibregeln und ihre Ausnahmen unterhaltsam und mit vielen Merkhilfen.

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Wie viele Geschlechter gibt es denn nun wirklich?

Zahl der Geschlechter Symbolbild

Wie viele Geschlechter gibt es denn nun wirklich: zwei, drei oder unendlich viele? Die einfache Antwort: Das kommt darauf an, welchen Geschlechterbegriff du verwendest. Der Streit, der insbesondere auf Twitter sehr gehässig ausgetragen wird, ist nicht zu lösen, weil unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Definitionen des gleichen Begriffes verwenden. Das ist ein bisschen so, wie wenn sich zwei Personen darüber zerstreiten, ob eine Birne ein Obst oder ein Leuchtmittel ist. Aber der Reihe nach: Read more

Gendern: Wie werden Artikel und Pronomen gegendert?

Artikel und Pronomen genderneutral

Wenn wir über Berufe, Funktion oder Rollen sprechen und alle Geschlechter inkludieren wollen, hat sich inzwischen der Genderstern verbreitet. Er wird zwischen Wortstamm und weibliche Endung eingefügt und erzeugt so einen Gattungsbegriff, der anzeigt, dass alle Geschlechter angesprochen sind. Aber was machen wir mit den Artikeln und Pronomen? Darum soll es in diesem Blogbeitrag gehen. Read more

Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld – Rezension Fachbuch

Symbolbild mit Transflagge - Buchcover

Transidentität und drittes Geschlecht im Arbeitsumfeld ist ein Fachbuch mit Beiträgen von David Scholz, Anna Svea Fischer und Jessica Heun, herausgegeben von David Scholz, erschienen bei Springer, 2022. Das Buch richtet sich an alle, die im Arbeitsumfeld mit dem Thema Trans und Transition zu tun haben und zeigt Möglichkeiten, wie Transpersonen unterstützt werden können. Im Fokus stehen dabei rechtliche Aspekte und organisationale Herausforderungen. Read more