Fettschrift auf Social-Media-Plattformen ist nicht barrierefrei. Denn dabei handelt es sich nicht um Formatierungen, sondern um eine Umwandlung in Unicode-Symbole, die nur so aussehen, als wären sie die entsprechenden Buchstaben. Nun sagen manche, das Problem liege nicht daran, dass Leute Fettungen mit Unicode simulieren, sondern dass Plattformen wie Linkedin keine Formatierung ermöglichen. Aber geht das so einfach? Oder gibt es dann andere Probleme? Darum geht es in diesem Blogbeitrag.
Barrierefreiheit ist wichtig. Und für viele Unternehmen oder Projekte, die staatliche Förderung bekommen, auch gesetzlich vorgeschrieben. Das Wissen um redaktionelle Barrierefreiheit und die Bedeutung darum, ist für die meisten aber nach wie vor diffus beziehungsweise kaum vorhanden.
Anlass dieses Blogartikels ist das Posting eines blinden Mannes. Claudio Zeni erklärte letzte Woche auf Linkedin, wie Fettungen bei ihm vom Screenreader vorgelesen werden. Er schreibt:
Nehmen wir als Beispiel das fette Wort Business: Der Screenreader liest es mir nicht mehr als Wort „Business“, sondern sagt bei jedem Buchstaben die Art von Buchstabe. Also: „Mathematischer fetter Großbuchstabe B, mathematischer fetter Kleinbuchstabe U usw…
Claudio Zeni auf Linkedin
Andere Geräte buchstabieren, also „Be-U-Es-I…“. Browser, die diese Unicode-Varianten nicht auslesen können, zeigen stattdessen Kästchen. Auch Bots und Crawler haben Probleme.
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Warum können Screenreader Unicode nicht richtig vorlesen?
So wie die Frage formuliert ist, ist sie nicht ganz korrekt. Denn eigentlich ist Unicode sogar dazu da, dass Screenreader Schrift richtig vorlesen. Jedes Zeichen bekommt eine Art Katalognummer, die eindeutig und unabhängig von Gerät oder Software das gleiche bedeutet. Der Großbuchstabe A zum Beispiel hat die Unicode-Nummer U+0041.
Authored-up und ähnliche Tools umgehen den Plaintext auf Social-Media-Plattformen. Wenn du aus dem A ein fettes A machen willst, nimmt Authored-up ein anderes Zeichen, das einem fetten A möglichst ähnlich sieht, aber eine andere Unicode-Nummer hat, in dem Fall die Unicode-Nummer U+1D400 (mathematisches großes A fett).
Das sieht dann vielleicht fett oder kursiv aus, hat aber für den Screenreader, Bot oder Crawler, also die Maschine, eine andere Bedeutung.
Wenn du also via Authored-up oder anderen Tools Fettschrift oder Kursivschrift erzeugst, ist es ungefähr so, wie wenn du in deinen Text in lateinischer Schrift einfach mal ein paar kyrillische Buchstaben oder chinesische Schriftzeichen einfügst, vielleicht weil sie dir besser gefallen.
Das kyrillische Zeichen н bedeutet N.
Das kyrillische Zeichen Р bedeutet R.
Besonders hinderlich ist es, dass ausgerechnet die Textteile, die der Autor*in besonders wichtig sind, maschinell nicht mehr lesbar sind, also zum Beispiel die Hook oder die Überschriften.
Unicode-Missbrauch produziert Zeichensalat
Nochmal zum Verständnis. Um auf Plattformen Fettschrift zu simulieren, werden Unicode-Zeichen benutzt, die so ähnlich aussehen wie der gewünschte Buchstabe, im Unicode-Katalog aber etwas gänzlich anderes bedeuten.
Schauen wir uns das am Beispiel des Wortes „wichtig“ an.

Die Unicode-Zeichen für die Buchstaben lauten „U+0077 U+0069 U+0063 U+0068 U+0074 U+0069 U+0067“. Der Screenreader liest das Wort „wichtig“ vor.
Wird Unicode dagegen missbraucht, um Fettschrift zu simulieren, lauten die Unicode-Zeichen „U+1D42E U+1D422 U+1D41C U+1D421 U+1D42D U+1D422 U+1D420“.

Der Screenreader tut nun – je nach Anbieter und Version – Folgendes. Entweder
- liest er die Buchstaben einzeln vor: „Wye Eye See Aitch Tee Eye Gee“ beziehungsweise „We, I, Ze, Ha, Te, I, Ge“.
- Alternativ liest er die mathematischen Bedeutungen vor.
- Oder die Sprachausgabe schweigt.
Auch Browser können Probleme mit der Darstellung haben. Manche können diese Varianten korrekt darstellen. Bei anderen erscheinen nur Kästchen, statt des gewünschten Wortes in Fettschrift.
Dann soll Linkedin doch einfach Fettschrift ermöglichen!
Zeni betont, er verstehe durchaus, warum Fettschrift für Sehende eine Lesehilfe ist. Und das ist sie ja wirklich. Mit semantischen Informationen wie Fettungen, Kursivsetzungen, Farben, Schriftgrößen oder Schriftarten lenken wir das Auge und helfen ihm, Informationen zu erfassen.
Zeni fordert daher, Linkedin möge das Problem beheben und Fettschrift ermöglichen. Er sagt „So schwer ist das nicht“. Aber: Stimmt das? Ist es wirklich ein Klacks und das Problem ist gelöst? Warum macht es Linkedin dann nicht? Und warum machen es auch andere Plattformen nicht.
Auch bei X, Threads, Facebook, Instagram, TikTok gibt es keine Formatierungen. Alle folgen dem Prinzip Plaintext statt Richtext. Ausnahmen gibt es bei Linkedin-Artikeln (Richtext) und bei Facebook-Gruppen und Facebook-Messenger (Markdown).
Aber was bedeutet das und wo ist der Unterschied?
Was ist der Unterschied zwischen Richtext und Plaintext?
Wenn wir Blogartikel auf WordPress schreiben oder Texte in Word, auch bei Artikeln und Newslettern auf Linkedin schreiben wir im Richtext-Format. Das heißt, die einzelnen Zeichen können mit zusätzlichen Informationen ergänzt werden, zum Beispiel „strong“ – nicht in Anführungszeichen sondern in Spitzen Klammern. Die spitzen Klammern von HTML lasse ich hier weg, sonst würde dieser Text gefettet.
Wenn wir in WordPress, Word oder anderen Richtext-Formaten schreiben, brauchen wir kein HTML und keine eckigen Klammern. Wir klicken einfach auf den Button „b“ oder „fett“ und im Hintergrund wird diese Information hinzugefügt.
„Strong“ signalisiert dem Screenreader, dass es sich um besonders wichtigen Inhalt handelt, was dieser in der Betonung berücksichtigt. Dies entspricht den Web Content Accessibility Guidelines, kurz WCAG, also dem internationalen Standard für digitale Barrierefreiheit.
Bei Plaintext ist dagegen nur Text möglich, ohne zusätzliche Gestaltungsoptionen. Die meisten Social-Media-Plattformen arbeiten mit Plaintext. Aber warum?
Der Hauptgrund dürfte sein: Plaintext ist schneller und sicherer.
- Mit Richtext kann leichter Schadcode verbreitet werden.
- Das System braucht mehr Rechenleistung und wird langsamer.
- Die einheitliche Darstellung auf unterschiedlichen Geräten und Browsern wird mit Richtext komplizierter.
- Die App würde mit Richtext langsamer, nicht gerade nutzungsfreundlich.
- Einheitliche Schrift, Schriftgröße, Schriftfarbe wie im Plaintext entspricht auch dem Interesse der Plattformen nach einem einheitlichen und konsistenten Design.
All das ist relevant für die User Experience und einheitliche Qualität der Lesbarkeit der Inhalte. Ganz zu schweigen von einer Reizüberflutung für reizempfindliche Menschen.
Kann Markdown eine Lösung sein?
Neben Richtext-Editoren gibt es auch die Möglichkeit, mit Markdown Fettschrift, Kursivschrift oder Überschriften zu erzeugen. Das scheint im Facebook-Messenger möglich (ich selbst nutze ihn nicht, deshalb „scheint“). Markdown funktioniert mittels Anweisungen durch Stern und Raute. Und das ist gleichzeitig das Problem.
Stern und Rautezeichen erfüllen bereits als sichtbare Zeichen Funktionen im Text, ob als Genderzeichen, als Markierung für ein Pflichtfeld oder als Fußnotenersatz. Die Raute ist etabliert als Hashtag.
Grundsätzlich lässt sich mit Hilfe von Back-Slash („\“) unterscheiden, ob ein Stern oder ein Rautezeichen als Schriftzeichen oder als Formatierungsbefehl gemeint ist. Das ist aber für Laien nicht intuitiv, sondern muss erst gelernt werden und benötigt ein Mindestmaß an technischem Verständnis. Deshalb löst Markdown das Problem nicht wirklich. Es ist schlicht nicht massentauglich.
Wie kann ich auf Social-Media-Plattformen barrierefrei Übersicht schaffen?
Wie kannst du auf Linkedin und anderen Social-Media-Plattformen dann deinen Content übersichtlich, barrierefrei und gut lesbar präsentieren?
Zunächst mal, indem du eine klare inhaltliche Struktur hast und Absätze machst. Das ist bereits die halbe Miete. Wir lesen schließlich ganze Bücher ohne dauernd mit visuellen Extras bombardiert zu werden.
Sparsam eingesetzt helfen dir Emojis, um deine Hook hervorzuheben oder mittels Aufzählungszeichen Übersicht zu schaffen. Logischerweise stellt sich direkt die Folgefrage: Sind Emojis barrierefrei?
Sind Emojis barrierefrei?
Die Antwort lautet: Das kommt ganz darauf an, welche Emojis du wie nutzt. Emojis können grundsätzlich von Sprachausgaben vorgelesen werden. Das Problem liegt woanders:
- Sprachausgaben lesen alle Emojis vor. Das dauert und kann nerven, vor allen Dingen, wenn dies ohne Informationsgewinn ist.
- Viele Emojis sind mehrdeutig und werden unterschiedlich verstanden, können also verwirren (übrigens nicht nur beim Hören, auch beim Sehen).
Deshalb solltest du bei der Emoji-Nutzung drei Dinge beachten:
- Verwende nur einfache und eindeutige Emojis.
- Setze sie sparsam ein, dort wo sie wirklich nötig sind, damit dein Text leicht konsumierbar ist.
- Betrachte deinen Text mit den Augen und den Ohren. Funktioniert er für beide?
Für wen ist es relevant, dass Screenreader richtig vorlesen?
Ich habe auf Linkedin gefühlt schon mehr als hundert Mal kommentiert, dass auf Fettschrift verzichtet werden soll, weil diese Teile für Sprachausgaben nicht funktionieren. Entweder lesen sie Blödsinn vor oder sie schweigen. Ich habe in diesem Blogartikel ausführlich erklärt, warum.
Oft höre ich dann. Ja, das weiß ich schon, aber für Sehende ist es eine Hilfe und auf die paar Blinden verzichte ich dann eben. Ganz abgesehen davon, dass ich eine solche Perspektive ziemlich exkludierend finde, ist sie auch inhaltlich falsch.
Es sind nicht nur blinde Menschen, die sich Texte vorlesen lassen. Durch die inzwischen fast überall zugänglichen Text-to-Speech- und Speech-to-Text-Angebote nutzen immer mehr Menschen die Variante, die ihnen mehr zusagt. Manche hören lieber, andere lesen lieber und für wieder andere, hängt es vom Kontext ab, welche Variante sie bevorzugen.
Wir sollten Barrierefreiheit digitaler Inhalte also nicht als zusätzliche Aufgabe für wenige Menschen betrachten, sondern als Usability, Nutzungsfreundlichkeit und Service für alle, die sich für unsere Inhalte interessieren. So kann jeder Mensch selbst entscheiden, ob er deinen Content lesen oder hören möchte.
Fazit: klare Struktur, Absätze, wenige eindeutige Emojis hilft Sehenden und Blinden. Für mehr Barrierefreiheit.
Quellenverzeichnis
Claudio Zeni: Das Problem ist nicht, dass fette Schrift nicht barrierefrei ist, Linkedin, 15. Oktober 2025 https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7384468272903053312/?commentUrn=urn%3Ali%3Acomment%3A(activity%3A7384468272903053312%2C7384506161359659009)&dashCommentUrn=urn%3Ali%3Afsd_comment%3A(7384506161359659009%2Curn%3Ali%3Aactivity%3A7384468272903053312)
Portal Barrierefreiheit: WCAG 2.2: veröffentlicht am 5. Oktober 2023, aktualisiert im Dezember 2024, Bundesministerium des Inneren, https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/wcag/wcag_2_2/wcag-2-2-node.html
Sigi Lieb: Barrierefrei schreiben – eine Sprache für alle, https://www.gespraechswert.de/barrierefrei-schreiben/
Transparenzhinweis: Für die technischen Hintergründe habe ich Grok als Recherche-KI genutzt. Das gilt insbesondere für die Katalognummern der Unicode-Zeichen und ihrer Bedeutung.
Unicode.org: https://home.unicode.org/technical-quick-start-guide/
Web Content Accesibilty Guidelines: https://www.w3.org/TR/WCAG22/