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Burka, Kopftuch und säkularer Rechtsstaat

Kirchenfenster als Symbol für Religiosität

Ein Kommentar im Onlineangebot der Welt und Diskussionen dazu auf Facebook sind Anlass für diesen Blogbeitrag. Unter der Überschrift „Wir dürfen uns niemals, niemals dem Islam anpassen“ setzt sich Dirk Schümer mit Fragen der Religionsfreiheit, der Neutralitätspflicht staatlicher Institutionen sowie islamisch begründeten Kleidercodes auseinander.

Mir stößt zunächst die Überschrift auf. Sie impliziert, es gebe eine Forderung, dass sich unsere westliche Gesellschaft islamisieren und man sich jetzt dagegen wehren müsse. Das ist Unsinn. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung steht nicht in Frage. Beziehungsweise nehme ich Bedrohungen für dieselbe aus einer ganz anderen Ecke wahr – die Rechtspopulisten und Nationalisten Europas lassen grüßen.

Burkaverbot Ausgrenzung | Burkaverbot | Extremismus Debatte, Demokratie und Medien

Der Text selbst ist differenzierter, dennoch schreibt der Autor bisweilen einseitig oder tendenziös. Meiner Ansicht nach hat der Text zwei Grundprobleme:

  1. Der Text unterstellt in Deutschland religiöse Unabhängigkeit des Staates.

In Deutschland sind Staat und Kirche nicht wirklich getrennt

Einen Rechtsstaat haben wir. Das ist gut. Laizistisch ist er nicht, nicht einmal 100-Prozent säkular, also unabhängig von der Religion. Der Christengott kommt im Richter- und im Beamteneid vor und das christliche oder christlich-jüdische Abendland wird allenthalben herangezogen, auch und gerade von der Politik, um sich vom Islam abzugrenzen. Wäre Religion wirklich Privatsache, dann dürfte sich ein Politiker in Funktion seines Amtes nicht für oder gegen bestimmte Religionen äußern.

Anders als in Frankreich gibt es in Deutschland staatlichen Religionsunterricht, der Staat treibt Kirchensteuern ein  und in Schulen oder Krankenhäusern hängen Kreuze. Ich wurde in den 70er und 80er Jahren sogar noch von Nonnen und Pfarrern in Amtstracht unterrichtet und der verbeamtete Schulleiter der Grundschule kontrollierte, ob die Kinder auch alle mindestens zwei Mal in der Woche in die Kirche gehen. Das ist heute nicht mehr so, zum Glück. Aber es gibt noch genug Einfluss der Kirchen auf den Staat und staatliches Geld für kirchliche Organisationen. Christliche Organisationen leisten erhebliche Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialleistungen, finanziert mit Steuergeldern, die auch von Nichtchristen entrichtet werden, auch wenn sie als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in ebendiesen Organisationen ausgeschlossen sind. So lange dies so ist, kann jede Religion mit Verweis auf das Grundgesetz eine Gleichbehandlung einfordern. Zurecht.

Strikte Trennung von Staat und Kirche verhindert Konflikte nicht

Man kann darüber diskutieren, ob man diese Vermischung von Staat und Religion richtig findet oder falsch. Und es gibt gute Gründe für beides. Aber man muss eines wissen: Eine strikte Trennung, wie im französischen Laizismus, verhindert weder Diskriminierung noch interkulturelle Konflikte. Das lebt unser Nachbar Frankreich derzeit leider an beiden Fronten vor, der islamistischen ebenso wie der rechtsnationalen. In Frankreich gibt es nicht weniger Rassismus oder Diskriminierung als hier. Ebenso wenig ist Abwesenheit größerer muslimischer Bevölkerungsgruppen wichtig, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sichern. Das zeigen uns derzeit Polen und Ungarn, wo Rechtstaatlichkeit so sehr in Gefahr ist, dass die EU ein Verfahren eingeleitet hat.

Der Eid, den Richter schwören, lautet: „Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“ Der Beamteneid klingt ähnlich. Und mit Gott ist an dieser Stelle sicher weder Allah noch Shiva gemeint.

Natürlich kann ich argumentieren, dass ich als kleines Menschenwesen mir Unterstützung von etwas Größerem und Weiserem wünsche und Gott als Synonym dafür begreifen. Damit akzeptierte ich ein Maß an Religiosität in staatlichem Handeln. Daran muss nichts Schlechtes sein. Ich kann auf das Grundgesetz schwören und mir dabei Unterstützung vom Christengott, von Allah, Jachweh, Buddha oder jedem anderen Propheten wünschen.

Jede Religion muss andere Glaubensrichtungen akzeptieren

Ich persönlich habe nichts gegen Kreuze in Schulen, Krankenhäusern oder um den Hals. Ich bin damit aufgewachsen. Ihren Glauben lassen sich die Menschen sowieso nicht nehmen. Ein gewisses Maß an Frömmigkeit erlebe ich als positiv für das Gemeinwesen. Es verleitet zu Barmherzigkeit, Güte, Ehrlichkeit und friedlichem Miteinander. Denn diese Forderungen sind in allen Weltreligionen verankert. Gefährlich und ausgrenzend wird eine Religion dann, wenn sie ihren Wahrheitsanspruch über den der anderen stellt und wenn sie andere zwingen will, sich ihren Regeln unterzuordnen. Das wussten Herrscher auch schon Jahrhunderte vor unserer Zeit. Jeder soll nach seiner Façon selig werden. Hier unterscheidet sich der Alte Fritz (Friedrich der Große) im 18 Jahrhundert kaum von Boabdil, (Muhammed XII), dem letzten Maurenkönig in Andalusien im 15. Jahrhundert.

Ich wünsche mir Gotteshäuser, die Toleranz vorleben. Gotteshäuser, die allen Religionen gleichzeitig offen stehen. Ich weiß, ich bin meiner Zeit mit diesem Denken meilenweit voraus. Dennoch habe ich den Traum, dass eine Nachbarschaft sich gemeinsam um einen Tempel kümmert und jeder darin zu seinem Gott beten darf oder – wenn er keinen Gott hat- auch einfach meditieren – in gemeinsamem Rückgriff auf unser Grundgesetz und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Was die Burka angeht, so habe ich persönlich ein Problem damit. Ebenso wie ich mit Vermummten des Kuklux-Clans ein Problem habe oder mit Vermummten überhaupt. Ich möchte sehen, mit wem ich es zu tun habe. Unter der Vollverschleierung kann sonst jemand stecken. Auch Gestik, Mimik und andere wichtige Elemente der Kommunikation fallen weg. Inwieweit Gesetze zum Vermummungsverbot bei solcher Bekleidung greifen können, kann ich nicht beurteilen. Aber die Burka ist nach meiner Einschätzung kein zentrales Problem.

Der Kern des Problems liegt nicht in der Religion

Das Problem ist doch: Warum driften so viele Menschen in radikale oder extreme Weltbilder ab, ganz gleich ob sie sich religiöser, rassistischer oder nationalistischer Schwarz-Weiß-Malerei unterwerfen? Festzuhalten ist: In den Extremismus driften überproportional Jugendliche und junge Erwachsene ab, die wenig Bildung haben, wenig Halt und Orientierung und oft genug keine gute Perspektive.

Mehr Bildung, insbesondere auch mehr politische Bildung, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Chancengleichheit, das wäre die Antwort. Die ist aber nicht mit einer einfachen Gesetzesänderung zu haben. Das kostet Geld, viel Engagement und braucht Zeit. Zu lange wurden Bildung und sozialer Ausgleich hierzulande vernachlässigt. Da müssen wir ansetzen. Ein weiteres Problem sind viele Momente der Alltagsdiskriminierung und Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Und hier kommt das zweite Problem, das ich mit dem Text habe.

  1. Der Text wirkt in einigen Formulierungen spaltend und ausgrenzend gegen islamische Symbole oder setzt sie mit Fundamentalismus gleich.

Alltagsdiskriminierung und Pauschalisierungen wirken radikalisierend

Ich zitiere eine Stelle aus dem Artikel „Es ist klar, dass überzeugte Muslimas unter ihren Kopftüchern, Schleiern oder sogar Burkas das genau andersherum sehen: Der säkulare Rechtsstaat muss allen Gläubigen das Recht gewähren, die religiösen Gebote in Alltag und Beruf zu befolgen. Muss er das tatsächlich? Und wäre in einer solchen Gesellschaft der Leidensdruck islamischer Fundamentalisten wirklich geringer?“

Der Autor unterstellt nicht jeder Muslima mit Kopftuch, eine Fundamentalistin zu sein. Dennoch fehlt mir die Abgrenzung und Differenzierung. Nur weil ein Mensch Symbole seiner Religion mit und an sich trägt, vertritt dieser Mensch nicht automatisch eine radikale oder fundamentalistische Auslegung dieser Religion.

In einem christlich geprägten Land sollten wir wissen, wie unterschiedlich heilige Bücher ausgelegt werden. Das ist im Islam nicht anders. Natürlich stehen im Koran gewaltverherrlichende Textstellen, in der Bibel aber leider auch. Es kommt auf die Auslegung an. So lange wir das in der Diskussion nicht ausreichend berücksichtigen, finden wir keine vernünftigen Lösungen. Wenn ich ständig alles am Islam in einen Topf werfe und als bedrohlich darstelle und dabei ausblende, dass es auch im Christentum extrem konservative und radikale Auslegungen gibt, wirke ich trennend statt vereinend.

Gemeinsam für Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit

Ich bin sicher, der überwältigende Teil der Muslime in Deutschland ist völlig einverstanden mit unserem Grundgesetz und schätzt die Freiheitsrechte, ist dankbar, dass ein starker Staat ihm Freiheiten gewährt, die ihm in so manch anderem Land verwehrt würden. Mit all diesen Menschen möchte ich mich einsetzen gegen Nationalismus, Rassismus, Extremismus, ganz gleich welche Religion oder sonstige Zugehörigkeit sich dessen Vertreter auf die Fahnen schreiben. Ich möchte mich einsetzen für unsere demokratisch-freiheitliche Grundordnung, für Toleranz, Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtstaatlichkeit.

Hier ein paar Links:

Der kritisierte Artikel: http://hd.welt.de/politik-edition/article157617114/Wir-duerfen-uns-niemals-niemals-dem-Islam-anpassen.html

Deutsches Richtergesetz auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Richtergesetz

Amtseid für Beamte: https://dejure.org/gesetze/BBG/64.html

Säkular: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4kular

Laizismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Laizismus

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5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich gebe dir weitgehend recht. Radikalisierung in jeglicher Form macht mir Angst, und Menschen, die sich (aus Angst?) verstecken – hinter Burkas, Sonnenbrillen, Bäumen, Mauern, Schimützen, Motorradhelmen oder was auch immer – machen mir auch Angst. Weil ich sie nicht im Blick behalten, ihre Reaktionen nicht einschätzen kann. Vielleicht hilft es, den Leuten, die sich aus Angst verstecken, vorsichtig die Angst zu nehmen, damit sie es nicht mehr als nötig erachten, anderen Angst zu machen. Ich weiß aber auch: Das ist schwierig.

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