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Identität – Der Blick der anderen – Folge 04

Identität Flüchtlinge | Gesellschaft | Heimat Diversity und Kommunikation, Heimat und Identität

Als ich das erste Mal mit Ali Bashir am Telefon sprach, war ich hin und weg. Wie kann jemand, der erst seit drei Jahren in Deutschland lebt, so akzentfrei  sprechen? Das war vor einem Jahr. Ali ist 24 Jahre alt, in Libyen geboren und studiert in Deutschland Medizin. Er kann sich einfach keinen anderen Beruf für sich vorstellen, sagt er. Ali spricht Arabisch, Englisch und Deutsch. Neben seinem Studium engagiert er  sich in der Flüchtlingshilfe. Alis Antworten auf seine Fragen zu Heimat und Identität erinnern uns daran, was wir bei anderen Menschen durch Blicke und Gesten bewirken. Viel Spaß beim Lesen!

Identität Flüchtlinge | Gesellschaft | Heimat Diversity und Kommunikation, Heimat und Identität

Interview:

Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Identität oder Identitäten beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Bevor ich nach Deutschland umgezogen bin habe ich nicht so viel über das Thema nachgedacht. Die Frage, wer bist du oder woher kommst du, war immer eine Frage, um einen komischen stillen Moment, indem man nichts zu sagen hat, zu füllen. Dadurch konnte man ein neues Thema finden und zum Beispiel nach Leuten, die aus diesem Ort kommen, fragen. Heutzutage ist das Thema für mich wichtig geworden: Auch wenn ich mein Land nicht besuchen darf, nicht sehr religiös bin und viele Araber nicht wirklich mag, sage ich immer – vielleicht auch aus Protest -, dass ich ein Libyer, ein Moslem und ein Araber bin. Für mich gehört auch meine politische Einstellung dazu und ich bin stolz darauf, auch wenn mich das manchmal in lange Diskussionen bringt.

Bist du oft umgezogen? In welchen Ländern und an welchen Orten hast du gelebt?

Ich bin Ende 2011 das erste Mal nach Deutschland umgezogen.

Gibt es eine Phase in deinem Leben, in der du dich stark umstellen musstest, weil plötzlich alles anders war? Was war das Schwierige?

Als ich aus meiner Heimat fliehen musste und nach Deutschland gekommen bin. Schwierig war erstens die Sprache und zweitens, dass ich alles von Anfang an aufbauen musste. Ich wusste nicht, womit ich anfangen soll. Soll ich erst die Sprache lernen, eine Unterkunft finden, mich um die Finanzierung meines Studiums kümmern? Soll ich weiter studieren oder doch eine Ausbildung machen? Darf ich überhaupt studieren, wie, wo, wann? Es war eine Zeit, in der ich einfach keine Lust hatte, weiter zu denken, weil es alles zu viel und neu war.

Denk bitte an deine Grundschulzeit. Welche Bilder, Gefühle und Erlebnisse aus dieser Zeit sind dir präsent? Was ist dir aus deiner Jugend als besonders wichtig in Erinnerung?

Ich versuche meistens, nicht viel daran zu denken, aber von der Grundschulzeit erinnere ich mich, dass die beste Zeit des Tages die Fahrt von und zur Schule war. Ich bin mit dem Schulbus gefahren und da hatten wir immer viel Spaß. Man wollte nicht nach Hause kommen. Am Gymnasium und an der Uni gab es Zeiten, die ich niemals vergessen kann: zum Beispiel, als ich mit meinen Freunden zusammen gespielt, gelernt, gegessen und alles gemacht habe. Es gab eine Bibliothek, die am Strand war und wir haben dort jeden Tag bis Sonnenuntergang gelernt und nachher am Strand Shisha geraucht, an solche Momente mag ich aber nicht so viel zu denken, da es alles weg ist und nie wieder wiederholt werden kann.

Was bedeutet für dich Heimat und wo fühlst du dich heute zuhause? Welche Bilder, Gerüche oder Gefühle verbindest du mit dem Begriff Heimat?

Für mich ist Heimat da, wo ich mich wohl und nicht fremd fühle. Manchmal fühle ich mich hier in Deutschland schon zuhause, bis ein Moment kommt in dem ich einen rassistischen Kommentar höre oder ein Terrorattacke passiert und ich den Hass in den Augen mancher Leute sehe, da denke ich mir: NEIN, du bist nicht zuhause. Das ist nicht meine Heimat und ich darf mich nicht daran gewöhnen, mich hier wohl zu fühlen. Das ist nur eine Illusion. Das größte Bild, das ich mir vorstellen kann, ist leider schwer zu beschreiben: der Geruch von unserem Essen, das Mittelmeer, das Gefühl, als ich in meine Heimatstadt gefahren bin und mich mit meiner große Familie getroffen habe. Das Gefühl im Ramadan und beim Zuckerfest, die Freude, die man überall in der Stadt gefühlt hat. Solche Sachen kann ich hier nicht mehr haben.

Stell dir vor, du musst wegziehen in eine weit entfernte Stadt oder sogar in ein anderes Land. Welche drei Dinge brauchst du unbedingt, damit du am neuen Ort ankommen kannst?

Vor 2011 hätte ich gesagt, dass drei Dinge zu wenig sind, jetzt denke ich, dass ich nur meine Schulzeugnisse und Unileistungsnachweise mitnehmen würde. Alles anderes kann ich entweder nicht mitnehmen oder muss es hinter mir lassen. Manchmal soll man nicht an die verlorene Sachen denken, damit man weiter leben kann.

Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ist in Deutschland alltäglicher Gegenstand von Smalltalk. Jeder vorhandene oder fehlende Dialekt oder Akzent, das Aussehen und andere Merkmale werden zum Anlass von Fragen, manchmal aus Neugierde, manchmal um über etwas anderes als das Wetter zu reden und manchmal belastet von Vorurteilen und Erwartungen. Was denkst du über die Frage und wie gehst du damit um, wenn du auf deine Herkunft angesprochen wirst?

Es hängt immer davon ab, wer fragt und wie er fragt. Wenn ich merke, dass die Person aus Interesse oder einfach  so, damit etwas gesagt wird, fragt, antworte ich normal und frage auch, wo er oder sie herkommt. Aber wenn ich merke, dass es abwertend oder rassistisch gemeint ist, dann sage ich: „Aus Düsseldorf“, und schaue die Person so an, dass sie nicht mehr fragt. Oder ich frage, warum es sie interessiert. Manchmal sage ich aber auch einen Namen von irgendeiner kleinen Stadt aus meiner Heimat. Da blickt man manchmal schon in fragende Gesichter, vor allem wenn ich frage: „Wie, kennst du das nicht?“ oder „Hast du keine Geographie in der Schule gelernt?“. Dann hören sie meistens auf zu fragen. Die Frage ärgert manchmal schon, aber genauso ärgert das Thema Wetter.

Gibt es andere Fragen als die nach der Herkunft, die du gefühlt jedes Mal gestellt bekommst, wenn du auf neue Menschen triffst? Welche und was machst du, wenn du davon genervt bist?

Ja, die Frage nach Religion oder was ich über das oder die, was dort passiert, oder bestimmte Gruppen denke. Als ob ich für alles verantwortlich bin und mich immer äußern muss. Ich sage einfach, dass ich keine Lust habe, über das Thema zu reden. Einmal ist mir der Kragen geplatzt: Auf einer Party fragte mich ein eher rassistisch eingestellter Kommilitone zum Islam aus. Irgendwann sagte ich, sein Gehirn sei zu klein, um das zu verstehen und ich würde ihm die Unannehmlichkeit sparen. Er hat nie wieder etwas zu solchen Themen gefragt.

Gibt es einen Glaubenssatz, der dich leitet und begleitet?

Zeit löst alles. Es gibt nichts mehr zu verlieren.

Was ist für dich die größte Herausforderung unserer derzeitigen Gesellschaft?

Man muss sich immer äußern, man muss alles wissen, nur weil man von dort kommt und es werden immer bestimmte Verhaltensweisen erwartet, je nachdem wo man herkommt und welche Religion man hat.

Wenn du die freie Wahl hättest, wo möchtest du gerne leben?

Wenn nicht in Libyen, in einem anderen arabischen Land, am Mittelmeer, am ehesten Ägypten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Bild ist von i-stock, lachris77; Bilder von sich selbst kann Ali nicht zeigen. Zu gefährlich, sagt er. Aus Libyen konnte er nur die Bilder mitnehmen, die er in sich trägt.

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