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Klasse und Kampf: 14 Erzählungen aus der Arbeiterklasse

Klasse und Kampf Buch am Strand

Klassismus, was ist das? Ein Wort wie ein Fremdkörper für viele, die es betrifft. Neben Rassismus, Sexismus, Antisemitismus gibt es auch den Klassismus, also eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft aus der Unterschicht, der Arbeiterklasse, also die Abstammung von sogenannten „einfachen Leuten“.

Das Buch „Klasse und Kampf“, herausgegeben von Maria Barankow und Christian Baron, erschienen bei Claassen 2021, ist eine Anthologie zum Thema Klassismus: 14 Autor*innen blicken auf die Welt ihrer Herkunft und erzählen 14 Geschichten aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten und Wirklichkeiten im Milieu von Menschen, die zwar viel arbeiten, aber wenig Geld verdienen.

Klasse und Kampf Buchtipp | Klasse und Kampf | Klassismus Bücher und Rezensionen, Diversity und Kommunikation

Klasse und Kampf: Aufwachsen im Arbeitermilieu

Die Autor*innen selbst haben das Milieu ihrer Kindheit inzwischen verlassen. Als Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind sie heute nicht alle und immer reich, dennoch bewegen sie sich in anderen Kreisen mit anderen biografischen Erfahrungen und anderen gesellschaftlichen Codes.

Ihre Geschichten erzählen sie in unterschiedlichen Stilen. Sie geschehen mal auf dem Land, mal in der Stadt, mal aus dem Handwerk, mal aus der Industrie, mit und ohne Migrationshintergründe, mit beiden Elternteilen oder nur einem, Schulabbrecher*innen und Überflieger*innen.

Im Vorwort fragen die Herausgeberin und der Herausgeber:

„Wie entwickelt sich ein Kind, dem durch das Bildungssystem suggeriert wird, dass aus ihm eh nichts werde, während einem anderen durch seine Startposition ein Vorsprung in den Schoß fällt: durch Geld, Selbstvertrauen, die ‚richtigen‘ Sprachcodes, den passenden Habitus oder Beziehungen und Kontakte?“

Arno Frank beschreibt den Widerspruch zwischen Maloche und Studium:

„Wenn ich keine Zementsäcke schleppe, Gerüste mit Dübeln verankere oder Glaswolle hinter Gipsplatten stopfe, studiere ich Politik und Germanistik. Baustelle und Seminar sind oft nur eine Viertelstunde voneinander entfernt – und liegen doch auf verschiedenen Planeten. Bald bin ich mir nicht sicher, auf welchen in gehöre.“

Lucy Fricke erzählt von einer Schulabbrecherin:

„Das Mädchen machte diese Arbeit nicht, um sein Taschengeld aufzubessern, um im Sommer nach Spanien in den Urlaub zu fahren. Sondern weil es nichts anderes konnte – weil es mitten im Leben stand, ohne Ausbildung und Schulabschluss.“

Olivia Wenzel erzählt von ihrem ersten Autokauf, der Panne kurz darauf irgendwo zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und ihrer Angst, als sie, jung, weiblich, PoC, mitten in der Nacht eine Autopanne hat.

Ich spüre, wie der Schweiß in meine Achseln schießt, laufe trotzdem auf den Mann zu ‚tschuldigung, sage ich übertrieben freundlich und kippe ins ‚Thüringische‘, ‚kann ich dich kurz mal was fragen?‘ Mein Dialekt bahnt sich meistens wie von selbst seinen Weg, wenn ich Leuten zeigen will, dass ich mich keinesfalls im Hochstatus ihnen gegenüber wähne. Diverse Handwerker, Neuköllner Schülerinnen, Erfurter Bäcker und Kreuzberger Späti-Betreiber können das bezeugen: eloquent Hochdeutsch zu sprechen finde ich bis heute in unterschiedlichen Kontexten peinlich.“

14 kurze Geschichten zeigen Vielfalt und erleichtern den Zugang zum Thema Klassismus

Die Geschichten sind zumeist autobiografisch geprägt. Dabei ist es nicht wichtig, ob und wie viel tatsächlich genau so geschehen ist und wie viel literarisch gestaltet, verändert, erfunden wurde. Wir wollen ja unterhalten werden.

Und das gelingt. Die Geschichten nehmen die Leser*innen an die Hand und auf die Reise in eine Welt mit vielen unterschiedlichen Aspekten, geeint durch die Klammer: Geld ist immer knapp und bestimmt die Erwartungen, Möglichkeiten, Chancen. Diese Welt steht im Kontrast zur Welt derer, deren Geldsorgen sich eher mit Luxusfragen beschäftigen.

Sie richten die Scheinwerfer auf ganz unterschiedliche Ecken und leuchten sie aus. Sie erzählen von Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken, die die Autor*innen bis heute prägen, ihnen wichtig sind, die sie nicht loslassen. Denn die eigene Biografie ist immer mit an Bord, ganz egal, wo wir uns bewegen.

Buchtipp: Klasse und Kampf als Sommerlektüre

Klasse und Kampf eignet sich prima als Sommerlektüre. Da es 14 kurze Geschichten sind, fordert es das Gehirn nicht zu sehr heraus, obwohl das verbindende Thema dahinter durchaus ernst und komplex ist. Der literarisch-unterhaltende Zugang erleichtert es, sich dem Thema Klassismus zu nähern.

Ich, die Rezensentin, bin selbst ein Kind aus einem Arbeiter- und Bauernhaushalt, komme vom katholischen Dorf. Auch für mich hatte niemand ein Abitur oder gar ein Studium vorgesehen und doch habe ich beides. Das war ganz allein meine Entscheidung. Heute lebe ich als Akademikerin und Bildungsbürgerin in einer Großstadt, habe also eine weite Reise innerhalb deutscher Milieus hinter mir.

Ich fühle mich oft als Übersetzerin zwischen den Welten. Wie die Autorinnen und Autoren der Geschichten, habe auch ich meine ganze eigene Klassismus-Biografie. In fast jeder Erzählung fand sich ein Moment, in dem ich mich wiederfand, den ich ähnlich erlebt oder gedacht habe. Und doch wäre keine dieser Geschichten meine Geschichte.

Klasse und Kampf - Buchtitel von Barankow und Baron

Klasse und Kampf, herausgegeben von Maria Barankow und Christian Baron, 2021, Claasen, Anthologie mit 14 literarischen Erzählungen zum Thema Klassismus.

Hol dir das Buch und lass dich entführen in eine bunte und vielfältige Welt, die wir viel zu oft nicht sehen oder pauschal abwerten und kategorisieren.

Viel Spaß!

Titelbild: Sigi Lieb

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