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Sprachwandel: Der Begriff Nazi etymologisch betrachtet

Anti-Nazi-Graffito

„Du Nazi! Nazis raus. Die Nazis…“ Der Begriff Nazi wird heute häufig verwendet, um sich gegen rechtsradikale und rechtsextreme Strömungen zu wehren und abzugrenzen. Es steht auf Transparenten, an Häuserwänden weltweit und wird täglich x-fach in Facebook und anderen sozialen Medien benutzt. Ebenso oft verwehren sich Menschen gegen diese Zuschreibung. „Ich bin kein Nazi“, heißt es dann und Leute fühlen sich zu Unrecht in die rechtsextreme Ecke gestellt. Aber: Woher kommt das Wort eigentlich und welche Bedeutung oder besser, welche Bedeutungen hat es im Laufe der Zeit erhalten? Darum geht es in diesem Text.

Nazi Begriffsbedeutung | Etymologie | Nazi Sprache und Sprachwandel, Debatte, Demokratie und Medien

Der Ursprung: Nazi als Spitzname mit Abwertung

Ignatz war in Süddeutschland und Österreich ein gebräuchlicher Vorname. Nazi war die Koseform von Ignatz und hatte gleichzeitig eine abwertende Bedeutung im Sinne von dumm, peinlich oder ungeschickt. Ich stelle mir das so vor, wie heute der Vorname Horst, der nicht nur ein Vorname ist, sondern auch als Beleidigung und Schimpfwort gebraucht wird (ein Vollhorst, du Horst, was für ein Horst). Im ersten Weltkrieg nannten die Deutschen die Soldaten aus Österreich-Ungarn Nazis.

Nazi als politische Zuordnung

Die Sprachauskunft Vechta zitiert Küpper (Stuttgart 1984) und Spalding (Oxford 1984), welche beide übereinstimmend den Begriff Nazi 1903 auf die Nationalsozialen unter Friedrich Naumann bezogen. Nach Naumann ist heute die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung benannt. Die älteste Verwendung des Begriffs Nationalsozialist weist Cornelia Berning 1887 im Deutschen Adelsblatt nach, wo Otto von Bismarck als solcher bezeichnet wird.

Kurt Tucholsky veröffentlicht 1922 einen Artikel in der Wochenzeitung „Die Weltbühne“ mit der Überschrift „Die Nazis“. Er kritisiert darin einen bestimmten Typus Österreicher. Ob er sich da bereits auf Hitler und die NSDAP bezieht oder etwas anderes meint, darüber sind im Netz unterschiedliche Aussagen zu finden.

Irgendwann in den 20er Jahren jedenfalls wurde der Bedeutungswandel vollzogen. Ein Journalist soll es gewesen sein, der statt der ursprünglich verwendeten Abkürzung Naso für Nationalsozialist von Nazi sprach, wohl wissend um die abwertende Bedeutung dieser Variante. Der Begriff setzte sich durch.

Ein Begriff der Gegner

Vor allem die politischen Gegner machten die Bezeichnung populär. Wurde der Begriff Nazi anfangs noch als Selbstbezeichnung benutzt, so vermieden ihn die Nationalsozialisten später wegen der negativen Konnotation. Mit den Flüchtlingen des Nazi-Regimes wanderte das Wort in die ganze Welt. Die deutschen Exilanten waren es, die Begriffe wie Nazi-Deutschland und Nazi-Regime verwendeten. Und wie das in Fremdsprachen ausgewanderte Wörter so tun, so begann auch der Begriff Nazi im Ausland bisweilen ein Eigenleben zu entwickeln.

Der Nazibegriff international

Sozialisten und Kommunisten in den Ostblockstaaten vermieden den Begriff Nationalsozialist und Nazi oder verboten ihn sogar, weil sie keine Beschmutzung des Wortes Sozialist wollten. Anderswo dagegen, insbesondere in den USA, wurde das Wort populär, veränderte dabei aber auch seine Bedeutung. Nazi im englischsprachigen Raum bezieht sich nicht nur auf die Ideologie und Politik unter Hitler, sondern wird auch als allgemeine Bezeichnung für einen Fanatiker und Extremisten verwendet, der keine Toleranz für eine andere als die eigene Sichtweise hat. So gibt es Antiraucher-Nazis, Jazz-Nazis und Grammatik-Nazis.

Intoleranz, Gewalt und Massenmord sind Kennzeichen der Nazis von damals

Berühmt wurde die Nazi-Ideologie für ihre Intoleranz gegenüber dem Anderen, das waren Juden, Homosexuelle, politische Gegner, Behinderte und alles, was nicht als deutsch und arisch definiert wurde. Die Nationalsozialisten verfolgten einen Zuchtgedanken vom perfekten Menschen, der natürlich durch und durch deutscher Abstammung sein musste, klassifizierten Menschen in 1., 2. oder weniger Güte bis zur Vorstellung, dass bestimmte Menschen nicht lebenswert und daher prima Experimentiermaterial seien oder getötet werden müssten. Eine einzigartige Eigenschaft des Naziregimes war die industrielle Organisation der Ermordung von Millionen von Menschen. Das hatte es bis dahin nicht gegeben.

Ein kleiner wirtschaftspolitischer Exkurs

Manche Anhänger rechter Strömungen behaupten, Nazis seien eigentlich Linke. Sie beziehen sich darauf, dass ein Nationalsozialist schließlich ein Sozialist sei. Ein beliebtes Ablenkungsmanöver und inhaltlich nicht zu halten.

Zum einen: Ein Wort macht noch keinen Staat. Die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR, war schließlich auch nicht demokratisch.

Zum anderen ist das Argument auch sonst nicht stimmig. Inzwischen ist in der Fachwelt sogar umstritten, ob Hitlers Wirtschaftspolitik überhaupt keynesianisch war. Sozialistisch im engeren Sinne war sie nie. Privateigentum war unter Hitler normal und selbstverständlich. Es wurden nicht Großbesitzer enteignet, um das Eigentum dem Staat bzw. dem Volk zu geben. Enteignet wurden Juden und Systemfeinde, deren Besitz in private Hände weitergegeben wurde, an Firmen und an Privatleute, die der NSDAP nahe standen bzw. nützlich waren. Vetternwirtschaft und Korruption wären die treffenderen Begriffe. Nicht wenige Firmen und Familienclans in Deutschland, die heute sehr wohlhabend sind, haben ihren Reichtum in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht.

Was bedeutet Nazi heute?

In welcher Bedeutung der Begriff Nazi heute verwendet wird, lässt sich gar nicht so eindeutig definieren. Wiktionary schlägt zwei Bedeutungen vor: Einerseits meint das Wort nach wie vor die Anhänger des Nationalsozialismus. Andererseits wird es als Schimpfwort und Beleidigung aufgeführt gegenüber ausländerfeindlichem, rechtsextremem oder extrem autoritärem, undemokratischem Auftreten. Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache und Openthesaurus schlagen beide dieselben Synonyme für Nazi vor, nämlich: Faschist, Nationalsozialist, Rechtsextremist, Rechtsradikaler, Brauner (ugs.), Braunhemd (ugs.), Fascho (ugs.), Rechter (ugs.).

Manchmal wird das Wort undifferenziert als Schimpfwort eingesetzt, meist um jemandem eine rassistische Gesinnung und einen Mangel an Toleranz zu unterstellen, manchmal vielleicht nur einfach so als Beleidigung. Diese undifferenzierte Verwendung beleidigt – wie ich meine – nicht nur das Gegenüber, sondern vor allem die Opfer des Naziregimes unter Adolf Hitler. Denn wenn es beliebig und inflationär eingesetzt wird, verharmlost es die Verbrechen der Nazis.

Die häufig geäußerte Zurückweisung durch Ausländerfeinde, Völkisch-Nationale, Rechtspopulisten, Rechtsradikale, Rechtsextreme, Reichsbürger oder Identitäre, sie seien keine Nazis, ist aber ebenso unwürdig. Die Trennlinie zwischen gerade noch tolerierbaren Ansichten im rechten demokratischen Spektrum und Positionen außerhalb davon, ist sicher schwer zu ziehen. Wenn aber Menschen Rassetheorien anhängen, sich als gewalttolerant oder gewaltbereit Andersaussehenden und Andersdenkenden gegenüber zeigen, ist die Schnittmenge mit der Ideologie von damals doch recht hoch. Und dann halte ich die Zuschreibung auch für gerechtfertigt. Natürlich weiß ich nicht, wer wie weit gehen würde, hätte er oder sie die Macht dazu. Da mögen einige darunter sein, die dann noch zurückschrecken. Andere nicht. Und ehrlich gesagt, will ich es nicht darauf ankommen lassen, es herauszufinden. Die Anhänger der NSDAP haben sich in den 1920er Jahren sicher auch noch nicht träumen lassen, welche Vernichtungsmöglichkeiten sie ein Jahrzehnt später haben und umsetzen würden.

Differenzieren müssen wir trotzdem

Dennoch ist es nicht ok, jeden, der die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel kritisiert, als Nazi abzustempeln. Denn Kritik gehört zu einer Demokratie dazu. Und Kritik muss eine Demokratie aushalten. Sie ist Bestandteil der Meinungsfreiheit. Auch wenn die Meinung anderer manchmal weh tut. Wir müssen also differenzieren. Und wir müssen argumentieren. Uns an Fakten halten. Behauptungen belegen bzw. Quellen nennen. Zwischen Fakt und Bewertung des Fakts unterscheiden. Und ruhig bleiben. Nicht auf Provokationen eingehen. Falschmeldungen aufdecken. Beim Thema bleiben. Irgendwo habe ich gelesen: Jeder Nazi ist ein Rassist. Aber nicht jeder Rassist ist ein Nazi. Das stimmt. Es gilt aber auch: Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. Hier gibt es eine Menge zu tun. Meist gelingt es besser, wenn man sich nicht einer Sprache bedient, die die Gräben weiter aufreißt und Zuhören verhindert.

Für den Text habe ich diese Quellen verwendet:

Bildquelle: Das Foto wurde von Sabine Klement (Fotografin) zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür.

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1 Kommentar

  1. […] Ähnliches passiert mit dem Begriffen Nazi, Faschist*in oder faschistoid. Wenn diese Wörter beliebig als Schimpfwort und Beleidigung verwendet werden, verlieren sie ihre Bedeutung und verwässern die Begriffe für ein rassen-ideologisches und rechts-totalitäres Menschenverständnis. […]

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