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Genderleicht: Jetzt als Buch – Rezension

Verschiedene Buchtitel Genus-Sprache-Gender

Wer sich mit dem Thema gendergerechte Sprache beschäftigt, kennt vielleicht die Seite genderleicht, ein Projekt des Journalistinnenbundes. Projektleiterin Christine Olderdissen hat jetzt ein Buch geschrieben: Genderleicht – Wie Sprache für alle elegant gelingt. Zum Jahreswechsel 2021/2022 frisch im Duden-Verlag erschienen. Ich habe es gelesen und rezensiert und erzähle in diesem Blogbeitrag, was du erwarten darfst und für wen das Buch geeignet ist.

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Christine Olderdissen erzählt in „Genderleicht“ mit einem Augenzwinkern und in unterhaltsamer Sprache, was es mit der gendergerechten Sprache auf sich hat. Sie greift die Debatte der letzten beiden Jahre auf und verknüpft sie mit Grammatikregeln, wissenschaftlichen Erkenntnissen und historischen Entwicklungen.

Dabei orientiert sich Olderdissen an der Linie des Rechtschreibrates. Klar, der Duden muss sich ja daran halten. Dieser letzte Punkt ist Segen und Fluch gleichermaßen, aber dazu später.

Olderdissen schreibt in ihrem Vorwort:

„Der Rat für deutsche Rechtschreibung sieht zwar Genderzeichen als Fremdkörper, dennoch unterstützt er das Vorhaben, der Sprache mehr Geschlechtergerechtigkeit zu entlocken, genauso wie die Gesellschaft für deutsche Sprache und der Duden. Spielen ist erlaubt, probieren wir also aus, wie weit wir mit dem Genderstern kommen.“

Darum geht es bei Genderleicht – das Buch

Genderleicht ist übersichtlich in 7 Hauptkapitel mit vielen kleinen Unterkapiteln gegliedert. Einzelne wichtige Sätze sind farbig markiert. Beispiele in Kästen herausgehoben. Auf diese Weise muss niemand das Buch von Anfang bis Ende durchlesen, sondern kann einzelne Aspekte schnell nachschlagen.

Im Vordergrund steht die gesellschaftliche Debatte der vergangenen beiden Jahre und viele praktische Fragen, die sich Menschen im Umgang mit gendergerechter Sprache stellen. Wer die Seite genderleicht.de kennt, wird vieles von der Website in dem Buch wiederfinden.

Praktische Fragen und Diskussionspunkte werden also bezogen auf die Regeln im Sprachsystem, auf Lösungsmöglichkeiten und Probleme. Und immer wieder gibt es auch Rückgriffe auf vorhandene wissenschaftliche Studien oder historische Zusammenhänge.

Exemplarisch möchte ich einige Beispiele herausgreifen:

  • Es ist Wunschdenken, dass das generische Maskulinum gleichberechtigt Vorstellungen aller Geschlechter auslöst. Tut es nicht. Dafür gibt es hinlänglich wissenschaftliche Belege.
  • Die Denkleistung, dass „alle“ gemeint sind oder sein könnten, ist eine Zusatzarbeit. Kinder müssen diese Interpretationsmöglichkeit im Laufe ihres Lebens erst lernen. Kleine Kinder nehmen Sprache wörtlich, ein Polizist ist ein Mann, eine Frau ist eine Polizistin.
  • Wir haben eine Benennungslücke. Uns fehlen Wörter für Menschen, die sich in den Kategorien „Mann“ und „Frau“ nicht wiederfinden.
  • Historisch gesehen wird das generische Maskulinum erst ab den 80er Jahren beschrieben. Es war die Reaktion des Linguisten Peter Eisenberg auf Linguistinnen wie Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz.
  • In der Vergangenheit bezeichnete das Wort „Bürger“ ausschließlich Männer. Frauen hatten keine bürgerlichen Rechte. In Deutschland durften Frauen erst 1919 erstmals wählen, in der Schweiz 1971.

„In der Schweiz hingegen wurde den Frauen aufgrund der männlichen Bedeutung des Wortes Schweizer weitere 50 Jahre das Wahlrecht verweigert.“

In den einzelnen Kapiteln geht die Autorin auf viele gängige Argumente ein, darunter die häufig wiederholte Behauptung, gendern werde von oben vorgeschrieben. Richtig ist, dass starke Einflüsse auf das Thema gendergerechte Sprache von der Basis kommen, insbesondere von der jungen Generation.

„Jugendliche und junge Erwachsene sind deutliche Triebfedern des Genderns.“

Leider wird in der emotional geführten Debatte häufig übersehen, dass es viele Formen gendergerechter Sprache gibt, die denen, die sie bekämpfen, gar nicht auffallen.

„Dass Angela Merkel in ihren wenigen Ansprachen als Bundeskanzlerin perfekt gegendert hat, ist nahezu niemandem aufgefallen.“

Das erlebe und erzähle ich auch in meinen Beratungen und Seminaren immer wieder. Geschickt und kreativ kombiniert, brauchen wir nur wenige Gendersterne oder andere Genderzeichen. Das erfordert ein bisschen Umdenken, Kreativität und Gewöhnung. Zähl doch mal, wie viele Gendersterne du in diesem Blogartikel über das Gendern findest. Die Auflösung folgt am Ende des Artikels.

Was mir am Buch Genderleicht gut gefällt

Olderdissen wirbt für Offenheit, Toleranz und ein Spiel mit Sprache. Sprache ist Ausdruck unserer Persönlichkeit und wir müssen es aushalten, dass jemand Sprache so verwendet wie sier (neutrales Neopronomen aus sie und er) es richtig findet. So wie Menschen im Dialekt sprechen, fachsprachlich reden und schreiben oder über die Wortwahl die Zugehörigkeit zu einem Milieu oder einer Szene zeigen.

  • Sie verwebt unterschiedlichste Aspekte der Debatte der letzten beiden Jahre mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, historischen Zusammenhängen oder den Regeln im Sprachsystem. Damit schafft sie Beziehung zwischen linguistischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten.
  • Sie tut das in einer fröhlichen, unterhaltsamen und leicht verständlichen Sprache.
  • Sie liefert viele Tipps, wie gendergerechte Sprache leicht verständlich und elegant gelingt. Manchmal hilft auch einfach weglassen von Wortteilen.
  • Und Olderdissen verweist immer wieder darauf, doch einfach ein bisschen entspannter mit dem Thema umzugehen. Die deutsche Sprache ist so voller Möglichkeiten, mit denen wir spielen können.

Olderdissen beruhigt besorgte Gemüter und versichert:

„am Ende bleibt übrig, was zur Sprachlogik des Deutschen passt. Das ist gewiss.“

Und natürlich sind manche Ängste im Kontext gendergerechter Sprache auch berechtigt. Würde sich durch Sprache nichts ändern, würden wir Sprache nicht ändern.

„Die ganze Wahrheit ist: Genderzeichen haben einen Verzicht auf Privilegien zur Folge. Männer sind sprachlich nicht ganz so präsent, wie sie es gewohnt sind. Der Gewinn ist sprachliche Sichtbarkeit für alle. Und das ist gerecht.“

Das Buch Genderleicht geht auf zahlreiche Fragen ein, die sich im Gebrauch gendergerechter Sprache stellen, dazu die Frage der Anrede, die Trennbarkeit von Wörtern mit Gendersternen oder die Frage, ob eine GmbH oder AG eine Arbeitgeberin oder eine Arbeitgeber ist.

Spoiler: Grammatikalisch sauber ist es eine Arbeitgeberin, gewohnt sind wir Arbeitgeber.

Im Gebrauch gendergerechter Sprache gibt es Wörter, für die es einfache neutrale Lösungen gibt, und solche, die ein bisschen schwierig sind. Eines dieser Wörter ist „Bürger“ inklusive der Zusammensetzungen, die damit verbunden werden.

Am Beispiel „Bürgerhaus“ zeigt Olderdissen, wie Teams vorgehen können, wenn sie für solche Begriffe neutrale Alternativen suchen. Streng genommen ist der Begriff „Bürger“ oder „Bürger*in“ im Zusammenhang mit einer Stadtverwaltung oder einem Gemeindezentrum sachlich falsch. Denn Bürgerin, Bürger oder Bürger*in ist nur, wer die entsprechende Staatsbürgerschaft hat. Und in solchen Gebäuden gehen selbstverständlich auch Menschen anderer Nationalitäten ein und aus.

Olderdissen empfiehlt, kreativ und spielerisch an die Sache heranzugehen. Sammelt im Team möglichst viele Wörter rund um das, was in diesem Gebäude passiert und wozu es dient. Heraus kommen vielleicht Begriffe wie Stadthaus, Gemeindehaus, Stadtverwaltung, Begegnungszentrum, Stadtteilzentrum, Rathaus… Je nachdem, was in dem Gebäude genau geschehen soll, lassen sich so die passenden Wörter finden, die sachlich korrekt benennen, was gemeint ist und dabei alle Menschen einschließen und willkommen heißen.

Im Buch findet sowohl die Sprechlücke (Glottisschlag) ihren Platz als auch unterschiedliche Sozialisationserfahrungen bei älteren Personen, je nachdem, ob sie in der DDR oder BRD aufgewachsen sind. Denn im Osten waren Berufstätigkeit von Frauen sowie Frauen in technischen sowie handwerklichen Berufen sehr normal, während Frauen im Westen ihren Männern per Gesetz zu dienen hatten und Männer darüber entscheiden durften, ob und was ihre Gemahlinnen arbeiten dürfen. Diese Gesetze wurden erst nach und nach zurückgenommen.

Ein schönes Beispiel über die sprachlich gestützte Genderbias im Kopf liefert Olderdissen am Beispiel Arzt/Ärztin. An den Unis studieren schon lange mehr Frauen Medizin als Männer, die Medizin wird weiblich, heißt es schon seit 20 Jahren auf Fachkonferenzen. Unter den approbierten Ärzt*innen gibt es inzwischen ebenso viele Frauen wie Männer. Trotzdem fragen Patient*innen die Ärztin vor ihrem Krankenbett: „Wann kommt denn jetzt der Arzt?“ – Würden sie wohl kaum tun, wenn sie den Begriff generisch verstehen würden. Tun sie nicht. Die semantische Absicht kann als gescheitert betrachtet werden.

Im Buch gibt es noch mehr zu entdecken. Lies es einfach selbst.

Was ich im Buch vermisse

An manchen Stellen finde ich das Buch zu ungenau oder mir fehlen Aspekte. Das kann natürlich daran liegen, dass ich sehr tief im Thema bin und mich seit Jahren intensiv  mit gendergerechter und inklusiver Sprache befasse.

Drei Beispiele:

1

Zwar geht Olderdissen darauf ein, dass kleine Kinder Sprache wörtlich nehmen, ein Polizist und Pilot folglich nur ein Mann sein kann, sonst wäre es ja eine Polizistin oder Pilotin. Leider fehlt der Verweis darauf, dass auch Künstliche Intelligenz (KI) Sprache wörtlich nimmt und nicht zwischen generisch und spezifisch, ernst oder ironisch unterscheiden kann. Das hat zur Folge, dass die generische Verwendung maskuliner Begriffe zu einer Verschärfung der Diskriminierung von Frauen und nicht-binären Personen durch KI führt. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir mehr geschlechtliche Vielfalt in Sprache abbilden. Denn das sind die Daten, mit der KI lernt. Ein solcher Verweis hat mir gefehlt.

2

Etwas unglücklich und zu kompliziert dargestellt finde ich den Bereich mit dem Partizip I. Hier verstrickt sich Olderdissen meiner Auffassung nach zu sehr. Eine klare Aussage, wie ich sie von der Redaktionsleiterin des Duden, Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Anfang 2021 in einer Online-Veranstaltung hörte, hätte ich hilfreicher gefunden, gerade im Kontext, dass es sich bei dem Buch um ein niedrigschwelliges Angebot handelt: Ein Partizip I kann eine Tätigkeit beschreiben oder einen Status.

Beispiele Status: Studierende, Auszubildende, Alleinerziehende, Vorstandsvorsitzende, Arbeitssuchende etc.

Olderdissen liefert auch solche Beispiele, besonders gut fand ich Erstgebärende, auch weil ich es noch nicht auf dem Schirm hatte: Erstgebärende werden während der gesamten Schwangerschaft und kurz nach der Entbindung so genannt, nicht nur während der Geburt.

Aber, wie erwähnt, die Herleitung finde ich zu kompliziert.

Bedauerlich ist außerdem ein Fehler zum Begriff Studierende, über den sich ja in der Anti-Gender-Fraktion so viele aufregen. Olderdissen schreibt, der Begriff „Studierende“ sei seit etwa 2005 im Gebrauch. Das ist falsch, zudem unklar bleibt, woher diese Zahl kommt. In meiner Welt war der Begriff Studierende bereits in meiner Studienzeit Anfang der 90er Jahre ziemlich normal und gebräuchlich. Aber auch damals war er nicht neu. Professorin Carolin Müller-Spitzer weist mit einem Dokument aus der Bayerischen Staatsbibliothek nach, dass der Begriff bereits 1796 verwendet wurde: „Verzeichniß der Studirenden, welche sich in dem Churfürstlichen Schulhause zu München durch Talente und Fleiß ausgezeichnet, und Preise erhalten haben“ (1796); https://bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB10341844, und zwar als Statusbeschreibung, nicht als Tätigkeit.

In einem FAZ-Artikel von 2016 schreibt Philipp Felsch:

„Doch sind die „Studierenden“ kein Neologismus aus jüngeren Genderdebatten. Kein Geringerer als Johann Gottlieb Fichte, der erste Rektor und einer der Urheber der heutigen Humboldt-Universität, sprach die Erstsemester in seiner Antrittsrede von 1811 mit diesem Titel an. Ein halbes Jahrhundert vor Zulassung der ersten weiblichen Studenten verband er damit allerdings keinerlei geschlechterpolitische Intentionen.“

Zum Ausgleich für diese Ungenauigkeit liefert die Autorin sympatisches Angeber*innen-Wissen für Menschen ohne Latinum oder solche, die nur noch Restwissen von ihrem Latinum besitzen:

„Student und Demonstrant sind auch Partizipien, genauso wie Studierende und Demonstrierende. Sie kommen aus dem Lateinischen: stundens wie demonstrans sind jeweils das Partizip I im Nominativ Singular und bedeuten studierend bzw. zeigend, darlegend.“

3

Das Kapitel zum Umgang mit Titeln erscheint mir zu deutschland-lastig. In Österreich, wo Titel bekanntlich sehr viel wichtiger genommen werden als in Deutschland, gibt es längst Lösungen für weibliche Bezeichnungen. Das österreichische Bundeskanzleramt empfiehlt das hochgestellte „in“ oder „a“, also Prof.in oder Mag.a. Dort geht es eher darum, wie wir geschlechtsneutrale Titel schaffen können, eine Möglichkeit ist das hochgestellte „x“, also Prof.x oder Mag.x.

Linie des Rechtschreibrates als Fluch und Segen – oder: Was ich im Umgang mit Genderzeichen anders sehe

Kommen wir zu dem, was ich eingangs als Fluch und Segen gleichermaßen bezeichnet habe. Olderdissen veröffentlicht im Duden-Verlag und der ist an die Linie des Rechtschreibrates gebunden. Das ist einerseits gut, weil es zeigt, dass der Rechtschreibrat geschlechtergerechte Sprache wichtig findet und Interesse daran hat, Lösungen für den Teil der Wirklichkeit zu ermöglichen, für den uns bislang Wörter fehlen (inter*, trans*, nicht-binär). Und sie erklärt die Anwendung von Genderzeichen entlang des bestehenden Sprachsystems mit all den komplizierten Fällen, die es ja gibt.

Ein Beispiel:

Einfach: Maria Müller ist Pilotin, nicht Pilot. Denn das wäre grammatikalisch falsch. Es sei denn, Maria sieht sich als nicht-binär, dann wäre Pilot*in richtig. Weil hier alle Buchstaben der männlichen Form auch in der Form mit Genderstern auftauchen, wird das als regelkonform toleriert, wenn auch der Stern selbst nicht Teil dieser Regeln ist.

Kompliziert: Bei Wörtern mit Vokalwechseln (Koch/Köchin, Bauer/Bäuerin, Arzt/Ärztin), Wörtern mit eigenen männlichen Endungen nach dem Wortstamm (Kollege/Kollegin, Kunde/Kundin) sowie bei Movierungen etwa im Genitiv (des Autors/der Autorin) gibt es aber Probleme. Ebenso bei Artikeln und Pronomen.

In der Linie des Rechtschreibrates sollen Wörter nur dann mit Stern versehen werden, wenn die Weglassprobe funktioniert. Wie genau das geht, erklärt Olderdissen in Genderleicht. Das führt dazu, dass Wörter wie Anwält*in im Singular nicht empfohlen werden, Anwält*innen im Plural aber schon.

Diese Feinheiten und Unterschiede zu erklären und so ein bisschen Licht auf unser Sprachsystem (Grammatik, Regeln) zu werfen, das ist der Segen.

Kommen wir zum Fluch:

Weil im Rechtschreibrat bisher keine Einigkeit darüber besteht, inwieweit der Sprachgebrauch das Sprachsystem verändern darf, sind manche „systemtreuen“ Lösungsangebote sperrig und verkopft. Besonders im Singular kommt es zu unschönen Sternhäufungen oder vermehrter Beidnennung.

Beispiel:

Entlang der Linie des Rechtschreibrates wird für Wörter wie Ärztin oder Kunde vorgeschlagen, wahlweise die Beidnennung zu verwenden oder beide Begriffe mit einem Stern zu verbinden, also Kunde und Kundin oder Arzt*Ärztin.

Das Problem: Solche Konstrukte machen Texte länger, holpriger, schwerer lesbar und fördern eher die Ablehnung gendergerechter Sprache. Denn am Ende muss Sprache verständlich und leicht anwendbar sein.

Kommen wir zur Lösung:

Ich bin zum Glück wie die meisten anderen Menschen, die Deutsch benutzen, nicht an die Linie des Rechtschreibrates gebunden. Ich darf also frei spielen und nach sprachschönen Lösungen suchen, die verständlich und einfach zu erklären sind. Natürlich müssen sie zum Sprachsystem passen, sie dürfen es aber auch sanft verändern.

Nochmal kurz die Sachlage:

  • Wenn das E bei Kundschaft wegfällt ist es kein Problem, bei Kund*in soll es aber eines sein?
  • Wenn der Vokal bei Ärzte im Plural wechselt, kräht kein Hahn danach, auch das Adjektiv ärztlich funktioniert wunderbar, aber bei Ärzt*in soll es ein Problem sein?

Ich sage: Nope. No problem. Die Lösung ist ein einfacher Kniff: Wenn ich das Nomen mit Stern nicht mehr als Zusammenfassung von zwei Wörtern begreife, sondern als eigenständiges neues Wort, brauche ich mir um diese grammatikalischen Spitzfindigkeiten keinen Kopf mehr zu machen.

Der Arzt ist ein Mann, die Ärztin ist eine Frau und der Begriff Ärzt*in ist richtig, wenn der Beruf geschlechtsübergreifend benannt wird, das Geschlecht der Person unbekannt ist oder es sich um eine nicht-binäre Person handelt.

Und so wie ich benutzen bereits sehr viele den Stern. Weil es praktisch ist, einfach und weil es verstanden wird. Es verändert nicht das Sprachsystem in seinen Grundfesten, sondern dehnt es nur ein bisschen, baut es aus und macht Platz für neue Interpretationen.

Bisher noch keine Tendenz oder Einheitlichkeit bildet sich bei den Artikeln heraus. Die Empfehlung in Genderleicht sagt, den Singular möglichst vermeiden, denn im Plural gibt es kein Artikelproblem, weil wir nur einen Pluralartikel für alle Geschlechter haben, nämlich „die“. Aus Erfahrung weiß ich aber, manchmal ist der Singular einfach schöner, manchmal ist er sogar zwingend nötig.

Auch hier bin ich pragmatisch und sage:

  • Im Singular ist „die“ der häufigste Artikel. 46 Prozent aller Nomen im Singular werden mit „die“ gebildet.
  • Dazu kommt, dass sich das feminine Genus leichter beugen lässt.
  • Der Stern im Nomen markiert bereits die geschlechterübergreifende Bedeutung, ist also eindeutig.

Daher finde ich es legitim, für die Sternen-Nomen den Artikel „die“ zu verwenden. Ich sage also: die Ärzt*in oder die Manager*in.

Wem das zu weiblich ist, kann einen Neoartikel verwenden. Hier würde sich „dier“ anbieten. Als neutraler Artikel und Relativpronomen lässt er sich problemlos movieren und in das Sprachsystem integrieren. Die Movierung sollte sich dabei grundsätzlich mehr an „die“ als an „der“ oder „das“ orientieren, weil es dann einfacher ist.

Bisher sind solche Formen allerding sehr ungewöhnlich und nicht verbreitet. Ähnlich verhält es sich mit Neopronomen. Bisher gibt es eine große Vielfalt von Pronomen, die von der Queer-Community vorgeschlagen werden, aber noch keines, das sich durchgesetzt hätte.

Auch auf das Thema Neopronomen und andere Besonderheiten geht Olderdissen in Genderleicht ein.

Gendergerechte Sprache – kein Grund zur Hysterie

Ich stimme mit Olderdissen und dem Duden-Verlag überein: Entspann dich und spiele mit den Möglichkeiten der Sprache. Deutsch ist so schön und vielfältig, so beweglich und präzise. Am Ende werden sich die neuen Formen durchsetzen, die von einer Mehrheit der Deutschsprechenden als hilfreich und praktisch angesehen und daher benutzt werden.

Funfact

Am meisten Redezeit auf das Thema gendergerechte Sprache verwenden diejenigen, die behaupten, dass es Zeitverschwendung sei. Olderdissen zitiert den Tagesspiegel, der in einer aufwendigen Datenanalyse von Postings auf Twitter und Facebook untersucht hat, wer den Gender-Begriff verwendet.

„Der ursprünglich linke Gender-Begriff wird inzwischen am meisten von Rechten genutzt.“

Diejenigen, denen das Thema wichtig ist, machen einfach und reden nicht dauernd darüber. Denn die Energie sollten wir ja nun wirklich in den Abbau diskriminierender Strukturen stecken. Unsere Sprache entwickelt sich sowieso so, wie die meisten sie benutzen. Und das wiederum hat etwas mit gesellschaftlichen Gegebenheiten und ihrem Wandel zu tun. Wenn wir also über das Thema gendergerechte Sprache reden, dann doch besser über das Wie und das Warum. Also, warum es viele wichtig finden und wie es leichter, besser, schöner geht. Das stiftet wenigstens Nutzen.

Wenn du jetzt unsicher bist, wie du mit dem Thema Gender in der Sprache umgehen sollst. Olderdissen verwendet die gleiche Faustregel, die ich meinen Seminarteilnehmenden und den Unternehmen auch regelmäßig mitgebe: Es ist umso wichtiger, das Gender einer Person wertzuschätzen, also auf Gendergerechtigkeit im Satz zu achten, je deutlicher ein Mensch vor dem geistigen Auge erscheint.

Also: Probier dich aus. Hab Geduld. Die Gewohnheit kommt mit der Übung.

Welche Duden-Bücher zum Thema gendergerechte Sprache brauche ich?

Auf einem Foto auf Linkedin lag eine gelbe Ausgabe von Anja Steinhauer und Gabriele Diewald neben dem neuen grünen Buch von Christine Olderdissen. In den Kommentaren darunter die Frage: „Ist das grüne Buch neu von 2021 oder 2022? Meins ist von 2018, also nicht mehr frisch. Welches ist besser? Oder gleich beide?“

Ja, das grüne Buch ist neu und zum Jahreswechels 2021/2022 frisch erschienen. Vom gelben Buch gibt es zwei, ein dünnes von 2017 und ein dickeres von 2020.

  • Das „Handbuch geschlechtergerechte Sprache“ (2020) ist die umfangreichere Variante von „Richtig gendern“ (2017). Es enthält neben den Beispielen, wie das mit der gendergerechten Sprache funktioniert, viele Informationen zum wissenschaftlichen Diskurs und zahlreiche Anwenungsbeispiele von Briefen über Pressemeldungen und Reportagen bis zu Stellenausschreibungen.
  • Das Buch „Genderleicht“ hat einen anderen Fokus. Es ist unterhaltender geschrieben und geht nicht so sehr in die Tiefe. Es geht eher von der gesellschaftlichen Debatte aus, um dann zu zeigen, was es damit in der Sprache auf sich hat.

Du musst dich also entscheiden, wie tief du in das Thema einsteigen willst. Das Handbuch geschlechtergerechte Sprache ist ein Fachbuch. Genderleicht hat einen niedrigschwelligeren Zugang und ist eher locker geschrieben.

  • Und wenn ich hier schon diverse Duden-Werke zum Thema vergleiche, möchte ich noch auf ein anderes Buch verweisen. In Sprachkampf beschäftigt sich Prof. Hennig Lobin mit den Kämpfen gegen Sprachwandel, sowohl in der Geschichte als auch heute, in Bezug auf Anglizismen wie auf das Thema Gender. Sehr interessantes Hintergrundwissen für alle, die zum Beispiel als Pressevertretungen immer wieder mit der politischen Dimension des Diskurses konfrontiert werden.
  • Lektor*innen und alle, die es sehr genau mit der Sprache nehmen, seien noch auf dieses Fachbuch verwiesen: Der grüne Duden hat seine Farbe geändert und ist jetzt blau. Der „Duden der sprachlichen Zweifelsfälle“ ist im November 2021 in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen.

Kaufe beim lokalen Buchladen

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Coverbild Genderleicht Buch

Christine Olderdissen
Genderleicht: Wie Sprache für alle elegant gelingt
Taschenbuch, 16 Euro inkl. MwSt.
ISBN: 978-3-411-75675-9
Erscheinungsdatum: 17.01.2022
1. Auflage

Du kannst im Buchladen deines Vertrauens anrufen, das Buch oder die Bücher bestellen, die du möchtest und sie im Regelfall direkt am nächsten Tag dort abholen. So kommst du mal raus aus dem Homeoffice, kannst dir die Beine vertreten und wer weiß, vielleicht warten inmitten des realen Raums noch weitere Entdeckungen auf dich, die dir helfen, nützen, gut tun.

Ich finde es immer sehr erhaben und besonders, wenn ich in einer Buchhandlung oder Bibliothek stehe. Der Geruch von Papier löst Bewunderung und Demut aus, angesichts des ganzen Wissens, der Kreativität, der Geschichte und Geschichten, die mich an einem solchen Ort umgeben.

Gendersterne zählen – die Auflösung

Ich habe dich im ersten Teil des Artikels aufgefordert: „Zähl doch mal, wie viele Gendersterne du in diesem Blogartikel über das Gendern findest.“

Hier kommt die Auflösung: Ohne Leerzeichen mehr als 20.000 Zeichen. Davon 17 Sterne, meistens um beispielhaft den Einsatz des Gendersterns zu zeigen. Du siehst: Gendergerechte Sprache geht elegant und entspannt. Probier es aus, hab Geduld und sei gnädig, wenn nicht alles sofort gelingt. Nutze deine Energie und streite dafür, diskriminierende Strukturen zu beseitigen.

In eigener Sache

Wenn du findest, dass ich Sachen Gendergerechtigkeit einen guten Job mache, freue ich mich über deine Stimme. Bis zum 18. Februar 2022 kannst du im Public Voting für mich stimmen. Ich bin nominiert für den Impact-of-Diversity-Award in der Rubrik Gender Inclusion. Mein Projektname: Undoing Gender Stereotypes. Hier geht es zur Abstimmung.

[su_box style=“glass“ box_color=“#587338″ title=“Richtig gendern im Businessalltag – Online-Seminar“]

In unregelmäßigen Abständen biete ich freie Seminare zum Thema gendergerechte Sprache an: Kompakt, lebendig und praxisnah vermittle ich in 2 Modulen zu je 3 Stunden ein Rund-um-Paket zum Warum und Wie der gendergerechten und inklusiven Sprache

Aktuelle Termine:  Am Desktop in der rechten Spalte oben. Oder, egal ob am Handy oder Desktop auf der Seite Seminartermine.

[su_button url=“mailto:mail@gespraechswert.de?subject=Anmeldung Online-Seminar richtig gendern“ style=“flat“ background=“#587338″ icon=“icon: envelope-o“]Anmeldung Seminar Richtig gendern im Businessalltag[/su_button]

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Bilder: Cover kommt vom Dudenverlag, Titelbild mit vielen Büchern Sigi Lieb

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