
Was soll dieses Gender? Wer ist eigentlich Divers? Wie viele Diverse gibt es? Wo ist der Unterschied zwischen divers, nicht-binär, trans und inter? Solche und ähnliche Fragen höre ich immer wieder. Dieser Blogartikel gibt dir einen Überblick, was diese Begriffe bedeuten und wer damit gemeint ist.
Gender – ein soziologischer Begriff für Geschlecht
Der Begriff Gender kommt aus der Soziologie und bezeichnete früher das soziale Geschlecht im Unterschied zum Sexus, dem körperlichen Geschlecht. Heute ist das komplexer. Die Philosophin Kathleen Stock machte in ihrem Buch „Material Girls“ vier verschiedene Definitionen des Begriffs Gender in der aktuellen Transgender-Debatte aus.
- Gender synonym zu und weniger verfänglich als Sex
- Gender als Beschreibung kultureller Stereotypen, Erwartungen und Normen, die mit einem Geschlecht verbunden sind
- Gender als soziale Rollenzuschreibung
- Gender als Geschlechtsidentität
Inzwischen wird der Begriff Gender oft als Überbegriff für ein mehrschichtiges Konzept von Geschlechtlichkeit verstanden. Danach setzt sich Geschlecht aus mehreren Kategorien zusammen, die jede für sich nicht schwarz-weiß sind.
- Körperliches Geschlecht: Die körperlichen Geschlechtsmerkmale (Sexus).
- Soziales Geschlecht: Die Rolle, die ich in der Gesellschaft einnehme (Geschlechterrolle).
- Psychisches Geschlecht: So fühle ich mich (Geschlechtsidentität).
- Gelesenes Geschlecht: So nimmt mich die Gesellschaft wahr (Geschlechterrolle, Erwartungen, Zuweisungen).
- Sexuelle Orientierung: In wen ich mich verliebe (homo-, hetero-, bi- oder pansexuell, asexuell).
Dies ist ein Modell, wie wir Gender in verschiedene Kategorien aufteilen können. Menschen können sich überall eindeutig im gleichen Geschlecht wiederfinden oder Anteile von allen Seiten mitbringen.
Während das körperliche Geschlecht vor allen Dingen ein Produkt der Natur ist, haben alle anderen Aspekte mehr oder weniger starke kulturelle Einflüsse.
Das Problem dabei: Unsere Vorstellung von Geschlecht ist eine Mischung aus wahrgenommenen Unterschieden unserer Körper, aufgeladen mit zahllosen Vorstellungen, was diese Unterschiede bedeuten. Diese Vorstellungen von Geschlechtlichkeit, wie Mädchen sind, wie Jungs sind, was sie mögen, wie sie sich kleiden, was sie dürfen oder nicht dürfen, lernen wir von klein auf. Wir haben viele Geschlechtervorstellungen so verinnerlicht, dass wir sie für natürlich halten. Das macht das Thema ziemlich kompliziert.
Auch für die Wissenschaft: Denn wenn wir Unterschiede zwischen den Geschlechtern messen, können wir nicht sagen, wie sie zustande kommen. Denn die geschlechtsspezifische Beeinflussung unreifer Körper und Gehirne beginnt teils noch in der Gebärmutter, spätestens jedoch, wenn das Baby geboren wird. Das vielfach wiederholte Baby-X-Experiment zeigt, dass viele Menschen unterschiedlich mit Babys spielen, je nachdem, ob sie sie für einen Jungen oder ein Mädchen halten.
Unsere Identität entwickelt sich im Zusammenspiel von unserem Innen und dem Außen. Einen Teil unserer Identität ist schon mit der Geburt tief in uns verankert. Ich nenne das den Wesenskern. Der ist unveränderlich und macht einen guten Teil unseres Ichs aus. Dieses Ich geht hinaus in die Welt, hat individuelle Interessen, Talente, Dinge, die es mag oder nicht leiden kann. Und für dieses Sosein wird es gelobt und getadelt, bekommt Unterstützung, erfährt Unterdrückung, lernt die Regeln der Gruppe (Gesellschaft), wie es interpretiert wird und wie es sich verhalten sollte, passt sich an oder widersetzt sich. Das kennen wir alle. Jed*er macht die Erfahrung der Sozialisation.
Und jetzt wird es spannend: Ein Teil dieser Identität bezieht sich auf unsere geschlechtliche Zugehörigkeit, wie wir uns empfinden, sowie auf die sexuelle Orientierung, also in wen wir uns verlieben.
Und hier ist vieles in Bewegung geraten. Sicher ist: Der Mensch pflanzt sich zweigeschlechtlich fort, etwas Drittes gibt es auf der Ebene der Fortpflanzung nicht. Dennoch sind menschliche Körper bei Geburt nicht immer eindeutig männlich oder weiblich. Die Natur experimentiert und probiert aus. So gibt es viele intergeschlechtliche Varianten. Noch vielfältiger wird es, wenn wir den psychischen und sozialen Raum berücksichtigen. Allerdings lassen sich auf der Ebene der Psyche und unserer Gehirne Kultur und Natur nicht mehr präzise trennen.
Klar ist:
- Jeder Mensch hat einen Körper, eine Identität und verliebt sich in bestimmte Typen von Menschen.
- Die Gesellschaft ist voller Geschlechterstereotypen, unterteilt die Menschen in Männer und Frauen und weist ihnen je nach Geschlecht unterschiedliche soziale Räume, Kompetenzen, Talente, Freiheiten und Normen zu.
- Manchmal passt die eigene Identität zu dem, was die Gesellschaft als „richtig“ oder „normal“ wertet. Manchmal zuppelt es an verschiedenen Stellen und manchmal ist es unerträglich unpassend.
Wie viele Menschen sind genderqueer?
Junge Leute sind oft weniger bereit, sich in die Schubladen „Mann“ oder „Frau“ pressen zu lassen. Gallup stellte in einer Umfrage 2020 in den USA fest, dass der Anteil der Menschen, die sich als genderqueer sehen, insbesondere bei jungen Menschen steigt. Während sich in der Generation der vor 1946 Geborenen (Traditonalisten) nur 1,3 Prozent und bei den Babyboomern (1946 bis 1964) 2 Prozent als LGBT (LGBT steht für Lesbian, Gay, Bi und Transgender) sahen, waren es in der Generation X (1965 bis 1980) 3,8 Prozent, bei den Millenials (1981 bis 1996) 9,1 Prozent und bei der Generation Z (1997 bis 2002) 15,9 Prozent.
Das Rheingold-Institut in Köln veröffentlichte im Februar 2022 die Ergebnisse einer Studie zum Genderstern. Eine überraschende Nebenerkenntnis der Forscher*innen: 27 Prozent der Befragten zwischen 16 und 35 Jahren verorteten sich nicht eindeutig als Mann oder Frau, sondern irgendwie dazwischen. Unter jungen Leuten gibt es auch den Begriff der fluiden Geschlechtsidentität.
Das bedeutet nicht, dass alle diese Leute Transgender sind oder schwul oder lesbisch. Es bedeutet eher, dass sie nicht bereit sind, sich den engen heteronormativen Perspektiven auf Geschlecht unterzuordnen.
- Hetero-normativ bedeutet: Geburtsgeschlecht und Identität sind gleich und entweder Mann oder Frau mit einer heterosexuellen Orientierung.
- Genderqueer bedeutet, dass es irgendwo im Konzept von Körper, Identität, Rolle und sexueller Orientierung eben nicht so eindeutig ist beziehungsweise nicht zur heteronormativen Matrix passt.
Die hohe Zahl der Nicht-Zuordnung zu Mann oder Frau bedeutet also am ehesten, dass sich die Befragten selbst männliche und weibliche Eigenschaften zugestehen und offener mit dem spielen, was die Gesellschaft als „männlich“ oder „weiblich“ definiert.
Was bedeutet Geschlechterrolle oder gelesenes Geschlecht?
Wenn uns Menschen in der Öffentlichkeit begegnen, weisen wir ihnen gedanklich sofort ein Geschlecht zu. Wir lesen eine Person als „Mann“ oder „Frau“. Eine Vorstellung davon, eine Person als „nicht-binär“ oder „divers“ zu lesen, haben wir bisher nicht gelernt.
Und wenn sich Menschen andes kleiden oder verhalten, als es die gesellschaftlichen Geschlechtervorstellungen nahelegen, fällt das im günstigsten Fall auf. Im ungünstigen Fall führt es zu Abwertung, Ausgrenzung oder gar zu Gewalt.
- Wenn zum Beispiel eine männlich gelesene Person Nagellack trägt, sich schminkt und in luftigen Kleidern unterwegs ist, dann wirkt das zumindest ungewöhnlich. Umgekehrt wundert sich niemand, wenn eine Frau luftige Kleider trägt oder sich schminkt.
- Wenn eine weiblich gelesene Person in Bereichen, die wir „Männerdomänen“ nennen, unterwegs ist, wenn sie nach Macht strebt, sich laut zu Politik, Wirtschaft oder Fußball äußert, Kinder für sie kein Grund sind, im Beruf zurückzutreten, wird das oft kritisiert. Und es wird als normal angesehen, wenn ein Mann den Chefsessel will oder dass ein Vater Vollzeit berufstätig ist.
- Viele Leute finden es ziemlich normal, dass weiblich gelesene Personen ungefragt von fremden Menschen Bemerkungen über ihr Aussehen hören, ihnen nachgepfiffen wird, sie hören, wie toll ihre Kleidung Busen oder Po zur Geltung bringt. Umgekehrt wäre es ziemlich schräg, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit einem Mann hinterherpfeift oder im Büro zu einem Kollegen sagt: „Also Ihr Hemd bringt Ihren Sixpack wirklich toll zur Geltung.“ – „In dieser Hose sieht Ihr Hintern zum Anbeißen aus.“ – Das gleiche gilt auch andersherum: Weiblich gelesene Personen erfahren häufig Negativ-Urteile über Ihr Aussehen bis zu Beleidigungen. Umgekehrt werden überquellende Männerbäuche oder fehlende Hintern nicht öffentlich kommentiert.
Wir werden also aufgrund unserer körperlichen Merkmale in bestimmte gesellschaftliche Rollen gedrängt. Und wenn wir uns anders verhalten, müssen wir uns mit Kritik oder Widerständen auseinandersetzen. Wenn die Reaktionen von außen zu uns passen, uns stärken und bestätigen, fühlt sich das gut an. Wenn wir aber ständig vermittelt bekommen, dass wir anders sein sollen, fühlt sich das schlecht an. Wenn wir auf offene Ablehnung und Ausgrenzung stoßen oder gar auf Hass und Gewalt, ist das gefährlich für uns.
Trans*, Transgender, transgeschlechtlich – Menschen sind mit Geburtsgeschlecht nicht einverstanden
Von Transgender haben die meisten schon mal gehört. Trans* bezieht sich auf die Geschlechtsidentität, also welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt. Transgeschlechtlichkeit oder kurz trans* bedeutet, dass die Person sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das in ihrer Geburtsurkunde steht.
- Transmänner und Transjungs sind geburtsgeschlechtliche Mädchen und Frauen, die sich dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen.
- Transfrauen und Transmädchen sind geburtsgeschlechtliche Jungs und Männer, die sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen.
- Geburtsgeschlechtlich bedeutet: Dem Baby wird zwischen die Beine geschaut, um zu entscheiden: Mädchen oder Junge. Und das wird in die Geburtsurkunde eingetragen. Darunter fallen auch alle Geschlechtsvarianten, die bei Geburt nicht als inter bemerkt werden.
Die Zahl der Menschen, die sich als transident beschreiben, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Ganz besonders stark bei jungen Frauen. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es viel mehr Transmänner als Transfrauen. Das macht Forscher*innen und Ärzt*innen Sorgen und sie rätseln, woran das liegt. Es gibt verschiedene Thesen, aber sicher wissen wir es nicht.
Es gibt wissenschaftliche Hinweise, dass es angeborene Aspekte von geschlechtlicher Identität gibt. Es ist aber auch klar, dass Transgender etwas mit den Geschlechterrollen zu tun hat und die werden von der Gesellschaft konstruiert. Junge Frauen erfahren Sexismus, junge Männer stehen unter dem Druck sich als „echte“ Männer zu beweisen. All das kann Einfluss auf das eigene Erleben haben, aber auch darauf, ob jemand sich traut, das eigene Anders-Fühlen überhaupt zu erzählen. Und ob das eigene Anders-Fühlen Auswirkungen darauf hat, sich mit dem eigenen Körper zu arrangieren oder ob es ein starkes Bedürfnis gibt, an diesem Körper etwas zu verändern.
Inter* oder Intergeschlecht oder intersexuell – Babys werden so geboren
Der Begriff inter* oder intergeschlechtlich bezieht sich auf das körperliche Geschlecht. Intersexuell ist der alte Begriff, wird inzwischen aber häufig abgelehnt, weil der Körper ja erstmal nichts mit Sexualität zu tun hat. Intergeschlechtliche Menschen werden mit gemischt-geschlechtlichen Körpern geboren.
Das körperliche Geschlecht setzt sich aus medizinischer Sicht zusammen aus Chromosomen, Gonaden, äußeren Geschlechtsmerkmalen und Hormonen. Auf allen vier Ebenen gibt es nicht nur zwei Ausführungen, sondern viel mehr Varianten. Und alle Ebenen können gemischt auftreten. Die Natur ist bunt.
Intergeschlechtliche Menschen tauchen in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte nur selten auf. Dabei sind sie eine wichtige Gruppe, die in der Vergangenheit stark benachteiligt wurde, weil ihre Körper von der Gesellschaft nicht akzeptiert wurden und sie körperlich wie sozial in die binäre Vorstellung von Mann/Frau gezwungen wurden.
Viele ältere Interpersonen haben Traumata erlitten und sind ungefragt an den Genitalen operiert worden. Wenn ihre Intergeschlechtlichkeit bei Geburt oder im Kindesalter auffiel, wurden sie einfach „passend“ gemacht, sprich zum Mann oder zur Frau operiert. Diese Praxis steht seit Jahren als Menschenrechtsverletzung in der Kritik und wurde 2021 in Deutschland endlich verboten.
Wenn jemand intergeschlechtlich geboren wird, fällt das manchmal direkt bei Geburt auf. Manchmal wird die Intergeschlechtlichkeit erst in der Pubertät entdeckt oder erst, wenn es mit der Elternschaft nicht klappt und sich die Person deswegen untersuchen lässt. Und manche intergeschlechtlichen Personen erfahren ihr Leben lang nichts von ihrer Intergeschlechtlichkeit.
Die meisten intergeschlechtlichen Menschen, die in Deutschland leben, leben in der Rolle als Mann oder Frau. Das tun sie aber nicht immer freiwillig, sondern auch, damit sie akzeptiert und nicht ausgegrenzt werden. Weil so viele Menschen so wenig über Intergeschlechtlichkeit wissen, müssen diese Menschen mit Unverständnis, Ablehnung und Ausgrenzung rechnen, wenn sie sich offen zu ihren Körpern bekennen. Auch Interpersonen können trans sein.
Welche Formen von Intergeschlechtlichkeit gibt es und wie viele Menschen sind das?
Intergeschlecht ist ein Sammelbegriff für viele unterschiedliche Kombinationen von körperlichen Geschlechtsmerkmalen. Beispielhaft stelle ich einige vor:
Relativ häufig gibt es Klinefelter-Menschen, nämlich eines von 500 als männlich gelesene Lebendgeburten. Klinefelter haben mindestens ein Y-Chromosom und mindestens zwei X-Chromosomen. Viele Klinefelter leben in ihrem sozialen Geschlecht als Mann, manche als Frau und wieder andere sagen: Ich bin weder noch.
Auch Personen mit CAIS sind relativ häufig. Das bedeutet: Der Chromosomensatz ist XY und die Personen haben innenliegende Hoden. Die äußeren Geschlechtsme Merkmale dagegen haben sich weiblich entwickelt. Das Baby kommt also mit Vulva auf die Welt. Eine der Ursachen dafür ist die sogenannte Androgen-Resistenz. Das bedeutet: Die embrynolen Hoden produzieren zwar Testosteron, aber die Rezeptoren fehlen oder passen nicht. Das heißt: Die Hoden bleiben innenliegend und die weitere embryonale Entwicklung modelliert äußerlich weibliche Geschlechtsorgane.
Sehr selten sind natürliche Chimären. Das sind Menschen, die ab Geburt zwei Chromosomensätze haben. Das geschieht, wenn zwei befruchtete Eizellen in einem frühen Stadium zu einem Embryo verschmelzen und nur ein Baby entsteht. Im Grunde ist es der umgekehrte Prozess zu einem eineiigen Zwilling, also eine Art zweieiiger Einling. Wenn beide befruchteten Eizellen XX oder beide XY sind, kann es sein, dass die Person ein Leben lang nichts davon weiß. Wenn aber eines der zweiigen Zwillinge ein XX und das andere ein XY ist, dann entsteht eine seltene Form der Intergeschlechtlichkeit.
Es gibt noch viele weitere Geschlechtsvarianten. Nicht alle DSD (Disorder of Sexual Development) sind intergeschlechtlich. Wenn etwa ein Mädchen ohne Gebärmutter geboren wird oder bei einem Jungen der Harnausgang nicht an der Penisspitze ist, sondern am Schaft, können wir kaum von Intergeschlecht reden. Da ist ja nichts gemischt.
Die Wissenschaft ist sich nicht einmal einig, welche Varianten der geschlechtlichen Entwicklung als Intergeschlecht gelten und welche nicht. Das ist ein Grund, warum die Schätzungen, wie viele Personen betroffen sind, so weit auseinandergehen. Sie reichen von 0,02 bis vier Prozent der Weltbevölkerung. Die UNO geht von 1,7 Prozent aus.
Bei einer konservativen Schätzung von 0,5 Prozent Interpersonen bedeutet das: In einer normalen Grundschule mit 200 Kindern ist statistisch eines der Kinder intergeschlechtlich. Und dieses Kind findet aktuell nicht statt. Nicht in den Büchern, nicht im Unterricht, nicht in der Sprache, nicht in den Räumen. Überall nur Jungen und Mädchen mit klaren Rollenzuweisungen. Das Interkind gehört nirgendwo dazu. Das finde ich bitter und das sollten wir unbedingt ändern, damit sich Kinder aller Körper willkommen und zugehörig fühlen.
Personenstand divers – Wer ist das?
Als divers oder nicht-binär bezeichnen sich Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau sehen. Dabei ist „divers“ der dritte Personenstand (rechtliches Geschlecht) neben „männlich“ und „weiblich“. Die Selbstbezeichnung nicht-binär geht weit über den Personenstand hinaus. Darunter sind neben intergeschlechtlichen Menschen oder Transpersonen auch Leute, die einfach keine Lust auf die Schubladen „männlich“ oder „weiblich“ haben.
Im Personenstandsrecht ist „divers“ bisher enger gefasst. Ein kleiner Rückblick: Bis vor wenigen Jahren gab es im Personenstand, also dem, was in unserer Geburtsurkunde, in der Sozialversicherungsnummer oder im Pass steht, nur „männlich“ und „weiblich“. Seit Ende 2013 konnten Eltern von intergeschlechtlichen Kindern den Eintrag zunächst offen lasen. Seit 1. Januar 2019 gibt es den Geschlechtseintrag „divers“. In Österreich gibt es außerdem die Möglichkeit „inter“ und „offen“. In beiden Ländern kann der Geschlechtseintrag auch gestrichen werden.
Vor dieser letzten Änderung der personenstandsrechtlichen Möglichkeiten gab es in Deutschland und Österreich höchstrichterliche Urteile, dass Interpersonen ein Recht auf einen eigenen positiven Geschlechtseintrag haben. Die Umsetzung ist meiner Meinung nach allerdings noch nicht wirklich durchdacht und hat an mehreren Stellen Probleme.
Diese neuen Regelungen im Personenstandsrecht stehen im Wesentlichen nur intergeschlechtlichen Menschen offen. Nur für sie gibt es diese neuen Geschlechtseinträge über das Standesamt, nicht für Transpersonen. Die können sich zwar als „divers“ eintragen lassen aber nur auf dem Weg über das TSG, der viel aufwendiger und teurer ist.
In Deutschland haben Interpersonen zudem nur eine Variante, „divers“. Varianten wie „inter“ oder „offen“ wie in Österreich gibt es in Deutschland nicht. Die aus dem Englischen kommende Bezeichnung nicht-binär gibt es weder in Österreich noch in Deutschland.
Dabei ist der Begriff „divers“ unglücklich gewählt und viele Interpersonen lehnen ihn ab, zum Beispiel mit der Begründung „Ich habe nicht diverse Geschlechter, sondern eines, meines.“ Manche Interpersonen verzichten auf den Eintrag „divers“ aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung. Andere wollen keine Nachteile durch den Eintrag „divers“ im Reisepass. Hier darf zwar, statt dem Personenstandsgeschlecht auch das Geburtsgeschlecht stehen, allerdings passt das nicht immer zum Phänotyp, also dem Geschlecht, das andere Menschen sehen.
Rechtliche Verstrickungen bei Personenstandswechseln
Viele Gesetze und Regelungen unterscheiden bisher nur in „männlich“ und „weiblich“, was zu zahlreichen Problemen für Menschen mit dem Personenstand „divers“ fähren kann. So klagt eine nicht-binäre Person in Darmstadt auf die Anerkennung der Elternschaft des eigenen Kindes. Das Standesamt fordert eine Adoption, weil im entsprechenden Gesetz „divers“ als leiblicher Elternteil nicht vorgesehen ist. Eine andere Person mit dem Eintrag „divers“ bekam auf einmal keine Einladung mehr zur Mammografie. Die bekommen Frauen ab 50 alle drei Jahre, nicht aber nicht-binäre Personen mit weiblichem Körper.
Problematisch ist auch, wieso Transpersonen und Intergeschlechtliche unterschiedliche Rechtswege beschreiten müssen.
Ebenfalls Probleme gibt es, wenn Personenstand und Phänotyp auseinanderklaffen. Das passierte einer Transperson, die im Sicherheitsbereich des Flughafens gearbeitet hat. Dort dürfen Menschen nur von gleichgeschlechtlichen Menschen abgetastet werden. Relevant ist der Personenstand. Den hatte die betreoffene Person geändert, bevor sie körperlich transitionierte. Sie sah also aus wie eine Frau, war rechtlich jedoch ein Mann. Die Arbeitgeberin war ratlos, der betroffene Transmann frustriert und enttäuscht.
Welcher Personenstand für wen?
Logisch wäre es aus meiner Sicht, dass der Personenstand „divers“ oder „nicht-binär“ allen Menschen als einfacher Verwaltungsakt offensteht, die sich nicht eindeutig oder vollständig mit dem Geschlecht identifizieren, dass ihr Körper nahelegt. Die Gesetze müssen sowieso nachgearbeitet werden und diesen Personenstand integrieren.
Die Geschlechter „männlich“ oder „weiblich“ sollten nur die Menschen haben, deren Körper dies nahelegt beziehungsweise, die in der Öffentlichkeit in diesem Geschlecht wahrgenommen werden. Zusätzlich könnte für alle Menschen die Möglichkeit bestehen, den Geschlechtseintrag offen zu lassen.
Damit kämen wir auch heraus aus diesem Durcheinander und dem Streit darüber, ob Transfrauen Frauen sind. Denn die Antwort fällt logischerweise anders aus, je nachdem, ob ich von der Identität her argumentiere oder vom Körper. Und beides ist real: die Identität und der Körper.
Mit einem Eintrag als „divers“ oder „nicht-binär“ im Personenstand hätten Transpersonen und alle, die über ihre Geschlechtsidentität nachdenken, eine einfache Möglichkeit, den verhassten und als falsch empfundenen Personenstand zu verlassen. Und es ist ja insofern stimmig, dass sie Teile aus verschiedenen Geschlechtern vermischen, etwa den Körper von dem einen, die Identität von dem anderen Geschlecht haben. Ob Transpersonen ihren Körper anpassen wollen, steht auf einem ganz anderen Blatt und kann zu einer anderen Zeit entschieden werden.
Hier findest du weitere Infos, Links und Quellen
Ich habe zu dem Thema Transgender diverse Bücher rezensiert und mehrere Blogbeiträge geschrieben. Du findest sie unter der Rubrik Geschlecht und Gender.
In einem Kunstprojekt Anfang 2021 habe ich versucht, Mann und Frau zu definieren, um daraus abzuleiten, wer alles Divers ist. Hier geht es zum Artikel: https://www.gespraechswert.de/alle-gender-definiere-mann-frau-divers/
In der Kunstaustellung findest du außerdem noch viele andere spannende Auseinandersetzungen mit unseren Vorstellungen von Geschlecht, verschiedene Bilder und Zeichnungen, Gedichte und eine Kurzgeschichte. Von hier aus kannst du zu allen Beiträgen klicken: https://www.gespraechswert.de/alle-gender-kunstausstellung/
Das Projekt Post-Trans von Nele und Ellie erzählt Geschichten von Menschen, die zuerst dachten, sie seien Transgender und an irgendeinem Punkt feststellten, dass dem nicht so war. Es gibt viele Transpersonen, für die die Transition goldrichtig war, aber eben auch welche, für das nicht passte. Und wer sich überlegt, ob sier vielleiht trans* ist, sollte sich viele Seiten anhören, solche, für die es richtig war und solche, die im Nachhinein merkten, dass sie sich geirrt hatten: https://post-trans.com/
Medizinische Aspekte und fachmedizinische Debatte: Transition bei Genderdysphorie: Wenn die Pubertas gestoppt wird, Ärzteblatt
Menschenrechtliche Aspekte im Kontext von Selbstbestimmungsgsetzen: UN kritisiert Trans-Pläne Widerspricht ein Selbstbestimmungsgesetz dem Gleichstellungsgrundsatz?, Schwulissimo
Quellen:
Link zur Gallup-Studie: https://news.gallup.com/poll/329708/lgbt-identification-rises-latest-estimate.aspx
Link zur Studie des Rheingold-Instituts: https://www.rheingold-marktforschung.de/stolperfalle-gendern/
Den Artikel habe ich am 5. Dezember 2022 überarbeitet und mit ein paar Updates versehen.
Bilder: Sigi Lieb
Ich wünsche mir, dass jedes Kind nur einen/ zumindest einen neutralen Namen erhält. Eltern würden sich mit dem Thema beschäftigen müssen, was zu schnellerer Akzeptanz in der Gesellschaft führt. Viele weitere Probleme wären damit beseitigt.
Lieb*er Kim, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich fürchte, das löst überhaupt keine Probleme.
Wenn eine Person ihren Namen ablehnt, kann das verschiedene Gründe haben. Auch neutrale Namen können als unpassend und falsch empfunden werden.
Wenn eine Person unter Geschlechtsdysphorie leidet, hat das weniger mit ihrem Namen zu tun, sondern vor allem damit, dass sie geschlechtsmarkierende Körperteile ablehnt.
Wenn eine Person unter den Geschlechterstereotypen leidet, dann ändern die sich ja nicht, nur weil die Person anders heißt.
Ich habe einen neutralen Namen und werde dauernd in Mails als Mann angesprochen, im alltäglichen Umgang als Frau behandelt.
Was hilfreich wäre, nicht nur im Kontext von Gender, dass Menschen ihren Vornamen einfach ändern lassen können. Und damit Behörden Beständigkeit und Nachvollziehbarkeit haben, bei Erwachsenen nur alle 10 Jahre, bei Jugendlichen in kürzeren Abständen. Außerdem könnte es für Kinder/Jugendliche eine einfache Möglichkeit geben, zusätzlich zu ihren personenstandsrechtlichen Namen, ihren Rufnamen eintragen zu lassen.
Das ist nur ein kleiner Baustein. Das große Rad sind die Geschlechterstereotype. Wenn wir die abbauen, hilft das allen.
[…] Andere wollen keine Nachteile durch den Eintrag „divers” im Reisepass. Hier darf zwar, statt dem Personenstandsgeschlecht auch das Geburtsgeschlecht stehen, allerdings passt das nicht immer zum Phänotyp, also dem Geschlecht, das andere Menschen sehen. Vollständige Antwort anzeigen […]
[…] Andere wollen keine Nachteile durch den Eintrag „divers” im Reisepass. Hier darf zwar, statt dem Personenstandsgeschlecht auch das Geburtsgeschlecht stehen, allerdings passt das nicht immer zum Phänotyp, also dem Geschlecht, das andere Menschen sehen. Vollständige Antwort anzeigen […]
[…] hier gibt es noch mehr Erhellendes dazu. Danke, […]
[…] Lass uns am Anfang beginnen. Transsexuelle, so der alte Begriff und Transgender, so der neue Begriff, gibt es schon immer und auf der ganzen Welt. Mit Transgender werden Menschen bezeichnet, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen als ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. (Einen Blogbeitrag zu Begriffen rund um Gendervielfalt gibt es hier.) […]
[…] schon diskutiert wurde. Auf meiner To-do-Liste wartet hierzu ein eigener Blogartikel auf Umsetzung. Eine Blogartikel, der die relativ neuen Begriffe trans, cis, divers, nicht-binär und Gender erklär…, gibt es […]
[…] Wenn du mit den ganzen neuen Wörtern ein bisschen lost bist, in diesem Blogbeitrag erkläre ich, was „Gender“, „trans“, „inter“ …. […]
Danke für diesen wichtigen und so gut aufbereiteten Beitrag. Ich hoffe, dass Dein Text viel Beachtung findet!