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Woher kommen Gendern, Binnen-I und Genderstern?

Wenn über das Gendern gestritten wird, wird selten über das Gendern gestritten. Oft geht es um das Thema Genderidentitäten oder es geht um Wort-Binnenzeichen wie den Genderstern. In diesem Blogbeitrag betrachten wir die verschiedenen Wortbinnenzeichen und die unterschiedlichen Ideen, die mit dem Thema „Gendern“ verbunden sind.

Am Anfang war die Frau. Und das Binnen-I

Das Thema „geschlechtergerechte Sprache“ beginnt mit der 2ten Welle des Feminismus. Erste Sprachvarianten waren ab den 1960er Jahren Formen wie Autor/-innen. Den Feministinnen ging es um beides:

  1. Frauen mehr Rechte, mehr Freiheit, mehr Macht, mehr Selbstbestimmung einzuräumen.
  2. Frauen in der Sprache sichtbar zu machen.

Die taz-Mitbegründerin Ute Scheub erinnert sich:

Wir taz-Frauen hatten 1980 die erste bundesdeutsche Frauenquote ertrotzt, indem wir streikten und auf einem taz-Plenum kollektiv unseren Busen entblößten. Die taz-Männer waren darob so verblüfft, dass sie willenlos der Einführung der Quote zustimmten.

Ute Scheub in „Was wurde aus dem Binnen-I? auf genderleicht.de

Als Erfinder des Binnen-I gilt der Hörspiel- und Drehbuchautor Christoph Busch. 1981 verkürzte er Hörer/-innen zu HörerInnen. Nach Scheubs Recherchen war es zuerst in einem Flugblatt des Züricher freien Radios LoRa. Die Züricher Wochenzeitung übernahm es und Mitte der 1980er Jahre auch die taz.

Recherche kostet Zeit

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Die feministische Linguistik setzte sich dafür ein, dass Frauen ebenso der Rede wert sind wie Männer. Und dass es nicht angemessen ist, nur Männer zu erwähnen, wenn unter 100 Personen 1 Mann ist und 99 Frauen.

Der Streit darüber, wie in der Sprache damit umzugehen sei, wenn von gemischten Gruppen aus Frauen und Männern die Rede ist, ist uralt. Dazu gehörte auch der Streit, ob für Wörter wie „Weib“, „Fräulein“ oder „Mädchen“ das Neutrum angemessen sei. Goethe entschied sich für „die Fräulein“ und das Femininum.

Ende des 19ten Jahrhunderts klagte Emilie Kempin-Spyri darauf, als Anwältin zugelassen zu werden. Dafür war in der Schweiz das Aktivbürgerrecht nötig, das Frauen zu dieser Zeit nicht hatten. Kempin-Spyri berief sich auf die Schweizer Verfassung, in der es hieß, alle Bürger seien vor dem Gesetz gleich und argumentierte: Bürger meine Männer und Frauen gleichermaßen. Das Gericht verneinte und hielt diese Interpretation für absurd.

Die Sprechpause und das generische Maskulinum

Mitte der 1980er Jahre wurde auch der Glottisschlag erfunden, also die kurze Sprechpause, die heute häufig Thema der Erregung ist. Luise F. Pusch, Sprachwissenschaftlerin und wichtige Akteurin in der feministischen Linguistik schlug diese kurze Pause als Aussprache für das Binnen-I vor. Wobei Pusch nicht den Glottischlag erfand, sondern nur seine Anwendung als Ausprache von Begriffen wie IngenieurIinnen. Die Sprechpause selbst, ein Knacklaut, ist seit jeher Teil der deutschen Sprache, etwa in Wörtern wie „beeilen“ oder „Osterei“.

Während Frauen um gleiche Chancen, Rechte und Repräsentanz, in der Gesellschaft wie der Sprache, kämpften, verschärfte sich der linguistische Streit. Und mit ihm wanderte der Begriff des „generischen Maskulinums“ in die Grammatiken. Und zwar sowohl in der DDR wie in der BRD.

Interessant wird es ab den 60er Jahren des 20. Jh., als sich die Grammatiken in zwei radikal unterschiedliche Gruppen hinsichtlich der Behandlung des generischen Maskulinums teilen: in jene, die es explizit beschreiben und jene, die es weiterhin nicht wahrnehmen. Dabei wird von ersteren der Zusammenhang zwischen Genus und Sexus bei den Personenbezeichnungen gesehen, letztere betonen hingegen im Allgemeinen – in Abkehr von den seit Grimm gültigen Positionen -, dass Genus und Sexus nichts miteinander zu tun haben.

Ursula Doleschal, Das generische Maskulinum im Deutschen

Vor allen Dingen Peter Eisenberg verteidigte die Dominanz des Männlichen in der Sprache. Er hatte viel Einfluss und nach und nach hielt das „generische Maskulinum“ Einzug in den Duden, wobei es stets umstritten blieb. 2021 schließlich schaffte die Duden-Redaktion das generische Maskulinum ab und gab der Benennung männlicher und weiblicher Personenbezeichnungen den Vorzug.

Vielfältige Sonderzeichen entstehen ab den 00er Jahren

Zwischenzeitlich sind nach dem Binnen-I eine ganze Reihe neuer Wortbinnenzeichen entstanden, die um die Rolle als Wortbinnenzeichen konkurrieren, im Deutschen vor allen Dingen Genderstern, Genderunterstrich und Genderdoppelpunkt. Zeichen wie das Trema ( ï ) oder der Mediopunkt ( · ) hatten nie große Verbreitung im Deutschen. Das mag schon daran liegen, dass sie auf der Tastatur nur umständlich mit „Sonderzeichen einfügen“ zu erzeugen sind.

Genderunterstrich und Genderstern entstanden Anfang der 2000er Jahren in der queeren Community und in der Zeit, als auch die Queer“theorie“ populärer wurde. Die Zeichen sollten sichtbar machen, dass es neben Männern und Frauen auch uneindeutige Genderidentitäten gibt. Populär wurden Genderstern und Genderunterstrich ab Mitte der 2010er Jahre.

In diese Zeit fiel auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass intergeschlechtliche Menschen ein Recht auf einen eigenen positiven rechtlichen Geschlechtseintrag haben, den es seit 2019 mit dem Eintrag als „divers“ gibt (ab 2013 konnten Interpersonen den Geschlechtseintrag streichen lassen).

In meine Wahrnehmung kam der Genderstern etwa ab 2016 oder 2017. Mit dem Binnen-I war ich nie warm geworden, weil mich Großbuchstaben im Wortinneren störten. Anders als das Binnen-I fügte sich der Genderstern angenehm in meine Schreibe ein. Meinen ersten Blogbeitrag dazu veröffentlichte ich 2018.

Dazu gesellte sich ab 2019 der Genderdoppelpunkt, der mit der falschen Behauptung, er sei barrierefrei, gerne übernommen wurde. Verkauft wurde der Doppelpunkt mit der Erzählung, er würde von Screenreadern korrekt vorgelesen. Das war zwar falsch, weil die Satzzeichenpause länger ist als die Genderpause und Wörter sinnentstellend auseinanderreißt. Aber Menschen glauben gerne, was sie hören wollen.

Im Februar 2021 ließ ich mir von einer blinden Kollegin erklären, warum sie den Genderstern bevorzugt und wie sich Screenreader einstellen lassen. Im März 2021 schrieb der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband auf seiner Website, dass auf Sonderzeichen möglichst verzichtet werden soll, wenn sie aber gewünscht oder benötigt werden, sollte doch bitte der Genderstern gewählt werden. Vom Doppelpunkt rät er ausdrücklich ab.

Inzwischen ist der Unterstrich als Genderzeichen quasi wieder verschwunden. Am häufigsten wird der Genderstern verwendet, gefolgt vom Genderdoppelpunkt. Und nachdem das Binnen-I fast aus der Sprache verschwunden war, erlebt es neuerdings ein Revival, was viel mit den ideologischen Konflikten um biologisches Geschlecht versus Genderidentiäten zu tun hat, weniger mit der Sprache und ihrer Grammatik. Denn das Binnen-I benennt Männer und Frauen, Stern und Doppelpunkt symbolisieren „alle Geschlechter“ oder „alle Genderidentitäten“.

Gendern ist kein deutsches Phänomen

Gendern ist kein deutsches Phänomen. Auch in anderen Sprachen gab und gibt es Debatten um geschlechtergerechte Sprache. Das Französische hat eine wirklich komplizierte Lösung mit teils mehrern Mediopunkten in allen Wörter mit Geschlechtsmarkierung. Im Spanischen und Portugiesischen konkurrierten X und @ als Genderzeichen, wobei das @-Zeichen das Rennen gewonnen hat. Es symbolisiert die für diese beiden Sprachen typisch männliche Endung -o und typisch weibliche Endung -a in einem Zeichen. Gesprochen wird es „e“.

Im Englischen sind die meisten Nomen grammatikalisch geschlechtsneutral oder können leicht neutralisiert werden und es gibt nur einen Artikel. Deshalb kommt die Sprache ohne Wortbinnenzeichen aus. Auch ein geschlechtsneutrales Pronomen etablierte sich schnell. Nachdem zunächst verschiedene Varianten konkurrierten, setzte sich „they“ und seine Verwandten „them“, „their“ und „themself“ durch. Denn diese Formen waren bereits im Englisch eines William Shakespeare und einer Jane Austen gebräuchlich und kehrten aus der Verangenheit zurück ins moderne Englisch.

Trotzdem gab und gibt es erboste Debatten über das Gendern. Allerdings nicht wegen grammatikalischer Probleme. Gestritten wurde und wird über Wörter wie Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Onkel oder Tante. Frau oder Mann. Wobei vor allem die weiblichen Varianten von Aktivist*innen aus dem queer“theoretischen“ Umfeld angegriffen werden.

Obwohl es im Englischen eigentlich eine Unterscheidung zwischen „sex“ (biologisches Geschlecht) und „gender“ (soziale Gendervorstellungen) gibt, wird um die Bedeutung dieser Wörter heftig gerungen. In Großbritannien führte der Streit darüber, ob das Wort „sex“ im britischen Antidiskriminierungrecht das biologische Geschlecht meint oder die Genderidentität zum Urteil des Obersten Gerichts im April 2025.

Die lesbische Philosophin Kathleen Stock hatte sich in ihrem Buch „Material Girls“ 2021 den Vorstellungen der Queer“theorie“ gewidmet und wurde dafür so lange mit Hass und Hetze bedrängt, bis sie ihren Lehrstuhl in Sussex aufgab. Die Universität Sussex wurde 2025 zu einer Geldstrafe von 585.000 Pfund verurteilt, weil sie weder die Meinungsfreiheit an der Universität noch Stock als Menschen ausreichend geschützt hatte.

Ideologische Aufladung schadet dem Bestreben nach einer geschlechtergerechten Sprache

Wenn über Gendern gestritten wird, wird selten über Gendern gestritten. Es wird über die Vorstellungen von Geschlecht und Gender dahinter gestritten. Das ursprüngliche Anliegen, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen, gerät dabei aus dem Blickfeld. Nicht nur bei denen, die sowieso der Meinung sind, dass es genügt, wenn Männer benannt werden.

Auch bei denen, die angeblich für Inklusion werben, aber Frauen als eigene Kategorie exkludieren. Frauen sind auf einmal nicht mehr Frauen, sondern Menstruierende oder Personen mit Gebärmutter. Dabei sind auch Mädchen vor der Menstruation weiblich und Frauen ohne Gebärmutter oder nach der Menopause bleiben Frauen. Einen vergleichbaren Angriff auf männliche Begriffe gibt es nicht. Es heißt nicht Penis-Habende, Prostataträger oder Hodenbesitzer und auch nicht Ejakulierende. Männer bleiben Männer.

Streit um den Genderstern und die Rolle von Geschlecht und Gender in der Srache, Symbolbild von zwei streitenden Figuren mit einer Figur in der Mitte, die die dazwischen steht und die beiden Streitenden auf Abstand hält.

Das zeigt meiner Meinung nach, dass diese woke Konzept ebenso ein patriarchal-männliches Bias hat, wie das Konzept der Gendergegner. Es waren kritische Beiträge über den Sprachgebrauch und die Vermeidung des Wortes Frau, die im Juni zu einer Hetzkampagne gegen die Feministin und Schriftstellerin Getraud Klemm führten und zum Canceln des zuvor bestellten Beitrags in einem feministischen Sammelband führten.

Diese ideologische Aufladung der Sprache und die Forderung, homosexuell als homogender zu betrachten, hat zu starken Gegenbewegungen geführt, darunter viele Feministinnen und Homosexuelle sowie Transpersonen, die ihre medizinische Transition abgeschlossen haben und sich binär definieren.

Die queer-woke Seite differenziert nicht und beschimpft alle pauschal wahlweise als rechts oder behauptet sie würden rechte Narrative verbreiten. Als sei Feminismus und der Kampf für Homosexuellenrechte jemals rechts gewesen. Die Bedrohung durch tatsächlichen Rechtsextremismus wird dadurch meiner Meinung nach verharmlost und verschleiert. Und solcherlei Dogmatismus schadet der Akzeptanz von LGBTIQA. Im Viefaltsbarometer 2025 gab es vier Fragen zu LGBTIQA. Dabei sank vor allen Dingen die Akzeptanz von Transgender seit 2019 deutlich. Transmann Till Amelung schreibt darüber im Blog der Initiative Queer Nations.

Wie können wir die Sprache und den Genderstern ent-politisieren?

In meinen Sprachgebrauch wanderte der Genderstern ganz ohne das ganze Denkgebäude der Queer“theorie“. Das habe ich mir selbst erst später nach und nach erschlossen. Für mich war es einfach ein Zeichen, mit dem ich einerseits Begriffe neutralisieren konnte und andererseits auch Menschen in die Sprache einschließen, die den Geschlechtseintrag „divers“ haben oder „keinen Eintrag“.

Denn wir haben ja wirklich eine Benennungslücke. Uns fehlt bei vielen Personenbezeichnungen ein Gattungsbegriff, der den Beruf, die Funktion oder Rolle benennt, ohne gleichzeitig ein Geschlecht zu benennen. Im vorangegangenen Beitrag stelle ich meine Lösung vor, wie gut lesbare geschlechtergerechte Texte gelingen, ohne die Sprache zu politisieren. In meiner Variante ist es egal, ob die Leser*in auf die biologische Zweigeschlechtlichkeit fokussiert oder auf die Vielfalt möglicher Genderidentitäten. Beides ist möglich.

Ich bin nicht sicher, ob der Genderstern noch zu retten ist, aber ich wünsche es mir. Denn ich finde, der Genderstern schließt, sparsam eingesetzt, wichtige Benennungslücken. Zumindest so lange, bis uns für Gattungsbegriffe eine bessere Lösung einfällt.

Quellen:

Angela Steidele: Klassisch Gendern. Gottsched, Lessing, Goethe und ihre Bekanntinnen und Verwandtinnen, DLF, 29. Dezember 2024, https://www.deutschlandfunk.de/gottsched-lessing-goethe-und-ihre-bekanntinnen-100.html

Christine Olderdissen: Luise F. Pusch und der Genderstern, genderleicht, 10. Dezember 2020, https://www.genderleicht.de/luise-f-pusch-und-der-genderstern/

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband: Gendern, https://www.dbsv.org/gendern.html

Sara Hensler: Eine kurze Geschichte der gendergerechten Sprache, SRF, 2. Juni 2021, https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/minenfeld-gendersternchen-eine-kurze-geschichte-der-gendergerechten-sprache?utm_source=chatgpt.com

Ursula Doleschal: Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne, Linguistik online, 2002, https://www.researchgate.net/publication/26402386_Das_generische_Maskulinum_im_Deutschen_Ein_historischer_Spaziergang_durch_die_deutsche_Grammatikschreibung_von_der_Renaissance_bis_zur_Postmoderne

Ute Scheub: Was wurde aus dem Binnen-I?, genderleicht, 18. Februar 2021, https://www.genderleicht.de/geschichte-des-binnen-i-taz-mitgruenderin-ute-scheub/

Wikipedia: Geschlechtergerechte Sprache, https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtergerechte_Sprache?utm_source=chatgpt.com

Genderstern Binnen-I | Genderdoppelpunkt | Gendern Gendern, Geschlecht und Gender
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