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Rezension: Material Girls – Kathleen Stock zur Transdebatte

Matial Girls Bild zur Rezension

Kathleen Stock ist mir im Kontext der Transdebatte als Name begegnet. Sie ist die britische Philosophie-Professorin ist, die nach trans-aktivistischen Protesten gegen sie ihren Lehrstuhl aufgab. Sie sei transphob hieß es. Dabei ist das Buch voller Wertschätzung für transidente und intergeschlechtliche Menschen. Worum es wirklich geht, hier die Rezension.

Transdebatte Feminismus | Geschlecht | Kathleen Stock Bücher und Rezensionen, Geschlecht und Gender

Wer ist Kathleen Stock?

Im Buch steht über Stock:

„Kathleen Stock ist analytische Philosophin und hat zahlreiche Publikationen zur Philosophie der Fiktion und der Imagination vorgelegt. (…) Anfang 2021 wurde ihr für ihre wissenschaftlichen Leistungen der Order of the British Empire verliehen. Kurz danach erschien „Material Girls“. Im Oktober 2021 erklärte sie schließlich, auf Grund der anhaltenden transaktivistischen wie gendertheoretischen Anfeindungen gegen sie ihre Professur aufzugeben.“

Am Ende der deutschen Ausgabe von „Material Girls“, erschienen 2022 bei der Edition Tiamat, führt der Übersetzer Vojin Saša Vukadinović ein Interview mit Stock. Darin befragt er sie auch zu den Protesten gegen sie und zu den Hintergründen. Das Buch war im Mai 2021 in Großbritannien erschienen und bekam gute, kritische Rezeptionen, an der Uni führte das zu Problemen. Stock sagt:

„Sie organisierten eine Kampagne gegen mich, indem sie Dinge wie ‚Kathleen Stock ist transphob‘ behaupteten oder ‚Kathleen Stock muss gefeuert werden‘ forderten. Sie stellen ein Manifest online, schalteten eine Website und kreuzten schließlich auf dem Campus auf – maskiert und Transparente hochhaltend (…) Das hielt etwa zwei Wochen an, bis ich gekündigt habe. (…) Ich musste Sicherheitsmaßnahmen für meine Wohnung ergreifen.“ (Seite 340f)

Zurück zum Buch, worum geht es?

„In diesem Buch befasse ich mich mit der Theorie der Geschlechtsidentität. Ich behaupte, dass sie intellektuell vorwiegend verwirrt und konkret schadet. (…) Für den Fall, dass dies unklar sein sollte, möchte ich anmerken, dass ich mich nicht gegen den rechtlichen Schutz von Transmenschen vor Gewalt, Diskriminierung oder Zwangsoperationen ausspreche, sollten hieran Zweifel bestehen. Ich unterstütze diese Schutzmaßnahmen mit Nachdruck.“ (Seite 53f)

Stock kritisiert also eine Theorie über ein menschliches Phänomen, nicht Menschen. Immer wieder in dem Buch betont sie ihren Respekt gegenüber transidenten Menschen. Sie verwendet für Transfrauen weibliche, für Transmänner männliche Pronomen und bleibt stets respektvoll. Und sie kritisiert Hass und Hetze in der Transdebatte auf allen Seiten. Gegen Ende des Buches schreibt sie:

„Generell denke ich, dass alle Seiten gewissermaßen nicht-binär sein sollten: jede sollte von ‚entweder mit uns oder gegen uns‘-Narrativen abrücken und nach Kompromissen suchen, wo es welche zu finden gibt. (…) Transfrauen und Transmänner verdienen jeweils ein nicht-hetzerisches Vokabular, das ihre besonderen Erfahrungen zum Ausdruck bringt und das in die politische und rechtliche Diskussion über ihre besonderen Bedürfnisse einfließen kann.“ (Seite 304)

Was soll daran transfeindlich sein? Wie konnte es passieren, dass diese Frau so angefeindet und bekämpft wurde, dass sie ihren Lehrstuhl für Philosophie aufgab?

Was genau heißt eigentlich transphob oder transfeindlich?

Nach der Lektüre des Buches bin ich erschüttert, wo die Transdebatte in Großbritannien offenbar angekommen ist, und wünsche mir von Herzen, dass wir eine solche Entwicklung für Deutschland abwenden. Derzeit stehen die Zeichen leider in die andere Richtung.

In Zeiten, in denen alle publizieren und sich Botschaften über Socialmedia-Kanäle wie Lauffeuer verbreiten, ist die Diskreditierung von Personen mit Begriffen wie „transphob“, „Nazi“ oder „Cancel Culture“ zur Waffe geworden, die die Existenz von Menschen bedroht. Menschen werden zur „Persona non grata“, für andere zum unmöglichen Umgang gemacht, verlieren ihre Jobs oder Aufträge, bekommen Gewaltdrohungen oder werden gewalttätig angegriffen.

Lesben-Gruppen wurden auf Demos von trans-aktivistischer Seite angegriffen. Transpersonen wurden von Jugendlichen und jungen Männern verprügelt,  zum Teil nicht einmal strafmündig, Malte bezahlte in Münster seinen Mut mit dem Leben, als er sich schützend vor Lesben stellte, die von einem Mann homophob beschimpft wurden. Das ist schrecklich und wir sollten innehalten, wie wir wieder zu mehr Wertschätzung in der Transdebatte kommen.

Betrachten wir die Begriffe „transfeindlich“ oder „transphob“. Was genau bedeuten sie? Im ersten steckt eine tiefe Ablehnung, eine Feindlichkeit, gegenüber transgeschlechtlichen Menschen, im zweiten steckt Angst vor ihnen (Phobie). Beides gibt es. Beides ist abzulehnen, ohne Frage. Transmenschen verdienen ebenso Respekt und Wertschätzung wie alle anderen auch. Aber können wir bei Stock Transfeindlichkeit oder Transphobie finden? Ich wüsste nicht, wo. Über trans- und intergeschlechtliche Menschen äußert sie sich wieder und wieder positiv und wertschätzend.

Aber wenn eine Behauptung in die Welt gesetzt wird, wird ihr allzu leicht geglaubt. Und mal ehrlich: Niemand überprüft alle Informationen, das wäre auch nicht zu leisten. In manchen Bereichen kennen wir uns gut aus und merken schnell, wenn etwas nicht stimmen kann. In anderen Bereichen übernehmen wir die Information und glauben ihr. Stock selbst geht im Kapitel über Fiktionen darauf ein:

„Der einzige Grund, warum ich glaube, dass E=MC2 ist oder La Paz die Hauptstadt von Bolivien, ist der, dass mir das jemand gesagt hat. Ich habe nie den Beweis bemüht oder einen Flug angetreten.“ (Seite 225)

Mir ging es ja auch so. Ich habe den Namen Stock mit dem Begriff transphob gekoppelt. Ich blieb zwar kritisch, weil ich die Geschichte dahinter nicht kannte und mich gut genug auskenne, dass ich weiß, dass in dieser hitzigen Debatte zu Transgender und dem Gender Recognation Act in Großbritannien (in Deutschland Selbstbestimmungsgesetz) viel übertrieben wird. Dennoch war das Etikett im Kopf. Und würde ich mich nicht schon recht gut im Thema auskennen, hätte ich um Stock vermutlich einen großen Bogen gemacht. Und das wäre sehr schade gewesen, denn das Buch ist eine echte Leseempfehlung für alle, die verstehen wollen, worum es in der Transdebatte überhaupt geht.

In dem ganzen Buch setzt sich Stock intensiv mit Begriffen und Konzepten auseinander. Sie forscht nach, welche Theorien, Inhalte und Definitionen hinter Wörtern wie Gender, Mann und Frau stecken.

Genau darum geht es ihr. Sie hinterfragt, ob es sinnvoll sein kann, die Konzepte der Begriffe Mann und Frau, wie wir sie gelernt haben, radikal zu verändern. Aber das ist nicht transphob, sondern philosophische Analyse und Denk-Akrobatik.

Stock kritisiert, was sie „Theorie der Geschlechtsidentität“ nennt und arbeitet sich in ihrem Buch Schritt für Schritt und Gedanke für Gedanke daran ab. Mit Fragen, Argumenten, Beispielen und philosophischen Überlegungen. Niemand muss ihrer Argumentation folgen. Wenn sie wer für falsch hält, gilt es, ihr mit Argumenten zu begegnen. Ist das nicht gerade Aufgabe von Wissenschaft? Ist es nicht gerade Aufgabe von Philosophie, theoretische Gedankengebäude zu überprüfen und zu hinterfragen?

Stock dazu:

„In der Philosophie wie im akademischen Betrieb ist es grundsätzlich üblich, Theorien und deren Postulate scharfer Kritik zu unterziehen. Erklärt eine bestimmte Theorie gut, was die Beweise hergeben? Gibt es konkurrierende Theorien, die die Beweislage besser erklären könnten? (…) Solche Fragen automatisch als ‚transphob‘ abzutun, bedeutet, schlechten Theorien einen Freifahrtschein zu erteilen.“ (Seite 55)

Geht es hier also um Wissenschaft oder um Religion?

Was hat die großen britischen transaktivistischen Organisationen, Stonewall und Mermaids, so gegen Stock aufgebracht?

Worum geht es in dem Buch Material Girls?

Stock wendet sich gegen das dogmatisch vorgetragene Mantra „Transfrauen sind Frauen“ und „Transmänner sind Männer“. Und schreibt:

„Transaktivistische Organisationen wie Stonewall stellen alles, was auf diese Frage nicht mit enthusiastischer Zustimmung reagiert, als einen Versuch der ‚Auslöschung‘ von Transmenschen dar, wobei sie strategisch der Tatsache ausweichen, dass es bei der Frage nicht um die Existenz von Transmenschen geht, sondern darum, wie diese korrekt kategorisiert werden.“ (Seite 177)

In ihrem Buch arbeitet sie sich Schritt für Schritt daran ab. Zu Beginn nennt sie vier Axiome, die sie als „Theorie der Geschlechtsidentität“ bezeichnet. Sie schreibt:

„Hier sind vier Axiome des modernen Transaktivismus, die ich in diesem Buch aus verschiedenen Perspektiven prüfen werde.

  1. Sie und ich sowie alle anderen weisen einen wichtigen inneren Zustand auf, der sich Geschlechtsidentität nennt.

  2. Bei manchen Menschen stimmt die innere Geschlechtsidentität nicht mit dem biologischen Geschlecht – männlich oder weiblich – überein, dass ihnen ursprünglich bei Geburt von Medizinern zugewiesen wurde. Das sind Transmenschen.

  3. Nicht das biologische Geschlecht, sondern Ihre Geschlechtsidentität macht Sie zu einem Mann oder einer Frau (oder zu keinem von beiden).

  4. Die Existenz von Transmenschen verpflichtet uns alle moralisch dazu, nicht das biologische Geschlecht, sondern Geschlechtsidentität anzuerkennen und rechtlich zu schützen.“

Und weiter:

„Um diese vier Axiome auf recht einfache Weise zu identifizieren, nenn ich sie „Theorie der Geschlechtsidentität“. Ich bin kritisch gegenüber dieser, nicht aber gegenüber Transmenschen, für die ich wohlwollende Sympathie und Respekt habe.“ (Seite 19f)

„Material Girls“ ist so gegliedert und geschrieben, dass es auch Menschen mitnimmt, die sich bisher noch wenig mit Geschlecht und Geschlechtsidentität auseinandergesetzt haben. Natürlich ist es ein philosophisches Buch. Das heißt: Ganz einfach zu lesen ist es nicht. Mensch muss sich auf komplexe Gedankengebäude einlassen (wollen). Für ein philosophisches Werk ist es aber verständlich geschrieben (Judith Butler oder Pierre Bourdieu sind wesentlich schwerer zu lesen).

Material Girls beginnt nach der Einleitung mit einer kurzen „Geschichte der Geschlechtsidentität“, stellt die Fragen danach „Was ist Geschlecht?“ und „Was ist Geschlechtsidentität?“ und leitet daraus die Frage ab „Was ist eine Frau?“. Ein eigenes Kapitel widmet Stock der Frage „Was ist eine Fiktion?“ – Damit referiert sie auf ihren Forschungsschwerpunkt „Philosophie der Fiktion und der Imagination“

Stock kritisiert immer wieder die Tonalität in der Debatte, in der Argumente nicht mit Argumenten begegnet wird, sondern mit einer ausschließenden Dogmatik. Und so fragt sie im vorletzten Kapitel: „Wie sind wir an diesem Punkt angelangt?“ und formuliert „Ein besserer Aktivismus für die Zukunft“.

Der Begriff Gender mit unterschiedlichen Bedeutungen

Als mein Sohn klein war, haben wir oft und gerne „Tee-Kesselchen“ gespielt. Dabei geht es darum, ein Wort zu erraten, das verschiedene Bedeutungen hat: Birne (Leuchtmittel/Obst) zum Beispiel oder Bank (Geldhaus/Sitzgelegenheit).

Der Begriff Gender ist mehr als ein Tee-Kesselchen, schon eher eine Wundertüte mit vielfältigen Bedeutungen. Gender ist so omnipräsent wie vieldeutig und häufig widersprüchlich. Nicht nur im Deutschen. Gendermarketing macht ungefähr das Gegenteil von dem, was Gender Mainstreaming fordert. Aber schon auf der ganz simplen Ebene des Einzelbegriffs „Gender“ macht Stock vier verschiedene Definitionen aus.

  • Gender 1 als synonyme und weniger verfängliche Alternative zum Begriff „sex“. (Erklärung: Im englischen Sprachraum führte die Frage nach „sex“ wegen der Doppeldeutigkeit mitunter zu belustigten Antworten. Statt das Geschlecht anzugeben, antworteten Spaßvögel schon mal mit „Ja, hab ich.“)
  • Gender 2 als Begriff für „soziale Stereotypen, Erwartungen und Normen von ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘, die sich ursprünglich an biologisch männliche respektive weibliche Menschen richten.“ Diese können von Kultur zu Kultur verschieden sein.
  • Gender 3 als soziale Rollenzuschreibung für zwei Gruppen von Menschen
  • Gender 4 als Geschlechtsidentität

In den folgenden Ausführungen greift sie immer wieder darauf zurück, auf welchen Genderbegriff sie sich jeweils bezieht.

An anderer Stelle setzt sich Stock mit der Frage auseinander, ob es nun mehr als zwei Geschlechter gibt oder nicht und schlägt drei Modelle vor, nach denen wir Geschlecht definieren können.

  • Gameten-Modell: Hier gibt das Vorhandensein von Eizellen oder Spermiem den Ausschlag
  • Chromosomen-Modell: Hier entscheidet das Vorhandensein oder Fehlen eine Y-Chromosoms über das Geschlecht.
  • Cluster-Modell: Hier ist nicht ein einzelner Punkt relevant, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Merkmale, anhand derer wir Mann oder Frau definieren.

Dabei fragt Stock auch immer wieder, wie in diesen Modellen intergeschlechtliche Menschen (DSD) zugeordnet werden können. Sie schreibt:

„Ich behaupte nicht, dass es einfach ist, in solchen Fällen darüber zu entscheiden, was wahr ist. Einige DSD und die daraus resultierenden Morphologien bringen uns an die Grenzen unserer Konzepte. Dennoch haben wir nun unsere drei Anwärterinnen zur Definition dessen zur Hand, was weiblich oder männlich ist. Gibt es also, wie Kritiker meinen, gute Gründe zur Annahme, dass die Überzeugung, es gäbe (nur) zwei Geschlechter, ein Irrtum oder eine Fiktion ist?“ (Seite 70)

Im Folgenden arbeitet sie sich an den Argumenten ab. Ich spoilere jetzt mal: Am Ende kommt Stock zu dem Schluss, dass die drei vorgeschlagenen Definitionen zwar nicht perfekt sind, aber am besten dafür geeignet sind, die Wirklichkeit zu ordnen.

Aus meiner Sicht liegt hier die größte Schwäche in dem Buch: Denn sie berücksichtigt zu wenig, dass intergeschlechtliche Menschen mit ihrer Unbestimmtheit hadern, darin wahrgenommen werden wollen oder im Gegenteil, alles verstecken, was in der Außenwahrnehmung zu Unklarheiten und Irritation führen könnte. Eine dritte Kategorie „Inter“ ist meiner Auffassung nach nötig und hat viele weitere Vorteile. Auf der anderen Seite bin ich sicher, dass Stock diesen Argumenten zuhören und darüber nachdenken würde. Denn die Tonalität in ihrem Buch ist ausgesprochen sachlich.

Warum ist Geschlecht wichtig?

Ein Kapitel widmet Kathleen Stock der Frage, weshalb wir überhaupt zwischen Mann und Frau unterscheiden und warum Geschlecht wichtig ist.

„Der einfachste und offensichtlichste Grund, warum die Geschlechter wichtig sind, ist, dass unsere Spezies ohne sie aussterben würde.“ (Seite 97)

Daher sei die Fähigkeit, das andere Geschlecht zu erkennen, vermutlich so alt wie die Menschheit und auf eine sehr ursprüngliche Weise existenziell. Stock geht darauf ein, dass wir uns beim Erkennen von „Mann“ oder „Frau“ zwar im Einzelfall vertun können, etwa weil das Erscheinungsbild einer Interperson anders ist als ihre Chromosomen und Gameten nahelegen. In den allermeisten Fällen erkennen wir Männer und Frauen jedoch richtig.

Stock geht darauf ein, dass es vielfältige weitere messbare Unterscheidungen von „männlich“ und „weiblich“ gibt. Dabei geht sie auf den ewigen Streit ein, was angeboren sei und was kulturell erworben. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollenerwartung stoßen auf körperliche Unterschiede und unterschiedliche hormonelle Voraussetzungen. Unabhängig davon, ob diese Unterschiede angeboren oder anerzogen sind, ist es wichtig, darüber zu reden.

Ein weiterer Aspekt, weshalb Geschlecht wichtig ist, ist die Medizin. Der Bereich der Gendermedizin ist noch recht jung und hat dennoch schon erhebliche, bisher vernachlässigte Aspekte für die Gesundheit von Männern und Frauen zutage gefördert. Stock verweist auf das Buch „Invisible Women“ von Caroline Criado-Perez, in dem sie zahlreiche Beispiele aufzählt, bei denen biologische Frauen faktisch benachteiligt beziehungsweise schlicht vergessen werden, mit zum Teil tödlichen Risiken für Frauenkörper.

Auch beim Sport spielt der geschlechtliche Körper eine wichtige Rolle in Bezug auf Verletzungsgefahr und fairen Wettbewerb.

Stock verweist auf die Folgen von (der Möglichkeit einer) Schwangerschaft und Stillzeit für Frauen in der Arbeitswelt. Sie geht auf unterschiedliche Betroffenheiten nach Geschlecht ein. So gehen sexuelle Übergriffe und Gewalt weit überwiegend von (körperlichen) Männern aus. Männer verhalten sich oft durchsetzungsorientierter, Frauen nachgiebiger.

Beim Thema der sexuellen Orientierung zeigt Stock ihre Irritation darüber, dass Menschen mit Penis als lesbisch gelten sollen, wenn sie sich als Frau identifizieren. Bisher bezog sich homo- oder heterosexuell auf das körperliche Geschlecht, Sex eben. In der transaktivistischen Lesart ist nun aber die Geschlechtsidentität ausschlaggebend, Gender. Das sorgt für viel Verwirrung, für Konflikte und ist ein Grund für die jüngsten Attacken gegen Lesben durch trans-aktivistische Gruppen.

Dabei unterscheidet Stock unterschiedliche Formen transgeschlechtlicher Wirklichkeiten. Manche Transpersonen sind optisch so angepasst, dass sie in ihrem Identitätsgeschlecht gelesen werden, also aussehen wie ein Mann oder wie eine Frau. Hier kämen die drei vorgeschlagenen Geschlechterkonzepte an ihre Grenzen, so Stock.

Sie kritisiert, dass gerade die Transfrauen, die optisch nicht von Frauen zu unterscheiden sind, von Trans-Aktivist*innen als Beispiele angeführt werden, wobei sie in Wirklichkeit durchsetzen wollen, dass auch Transfrauen als lesbisch gelesen werden, die eindeutig männlich aussehen.

Trans-Aktivist*innen

„würden zum Beispiel vermutlich zustimmen, dass Alex Drummond – eine Transfrau im Beirat von Stonewall, die offenbar nicht operiert wurde, keine Hormone genommen hat, von der Morphologie her eindeutig männlich aussieht und sogar einen Vollbart trägt – eine ‚Lesbe‘ sei, weil sie sich zu Frauen hingezogen fühlt.“

Und sie schlussfolgert:

„Damit wird das Konzept lesbisch jedoch sicherlich überstrapaziert.“ (Seite 119)

Stock weist auf das Problem hin, dass homosexuelle Orientierungen mitunter zu einer transgeschlechtlichen Identität umgedeutet werden. Einen weiteren problematischen Effekt sieht Stock in dem Druck auf junge Lesben – ob transident oder nicht – zu sexuellen Kontakten mit Transfrauen. Manche Transfrauen bezeichnen es als Diskriminierung, wenn lesbische Frauen sie wegen ihres Penisses als Sexualpartnerin ablehnen (cotton ceiling).

Stock geht darauf ein, dass die Begriffe „weiblich“ oder „Frau“ in der Sprache angegriffen werden, die Begriffe „männlich“ und „Mann“ jedoch nicht.

Und sie kritisiert britische Medien dafür, von Transfrauen begangene Verbrechen als Frauen-Verbrechen darzustellen (mit Beispielen). Körperliche männliche Menschen verübten mehr als drei Mal so viele gewalttätige und sexuelle Übergriffe als körperliche Frauen. (Die britischen Medien werden auch von der Transfrau Shon Faye kritisiert, deren Buch ich hier rezensiere.)

In einem späteren Kapitel geht Stock näher auf kollektive Erfahrungen und Benachteiligungen von körperlichen Frauen ein und schreibt:

„In diesem Zusammenhang ist es ein Akt politischer Hetze, Männer mit einer weiblichen Geschlechtsidentität in jedwedem möglichen Zusammenhang als Frauen zu behandeln. In der Tat sendet dies eine verächtliche, herablassende Botschaft an Frauen aus.“ (Seite 199)

Was ist Geschlechtsidentität?

Stock setzt sich intensiv mit Konzepten und Definitionen auseinander und überprüft sie auf ihre Logik, die Folgen, die Schwachpunkte. Im Kapitel über Geschlechtsidentität identifiziert Stock verschiedene Modelle, wie Transgeschlechtlichkeit und Genderidentität verstanden werden:

  • SOR-Modell: Danach ist die Geschlechtsidentität ein beständiger Teil des Selbst, der darüber bestimmt, „wer man ‚wirklich‘ ist“.
  • Medizinisches Modell: Geschlechtsdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörung als psychische Krankheit (DSM-5); Anmerkung: Nach dem 2022 in Kraft getretenen ICD-11 nicht mehr als Krankheit definiert, sondern als Zustand mit hohem Leidensdruck
  • Queer-theoretisches Modell: Dieses Modell, das auf Butler zurückgeht, sieht Gender als rein sozial konstruiertes, beobachtbares und wandelbares soziales Stereotyp, das performt wird. Im Unterschied zum SOR-Modell liegt der „Schwerpunkt hier auf der Vergänglichkeit und Fluidität der Geschlechtsidentität“ (Seite 155f)
  • Identifikations-Modell der abweichenden Geschlechtsidentität: Hier geht es darum, dass eine abweichende weibliche/männliche Geschlechtsidentität angenommen wird, wenn sich eine Person stark mit einer bestimmten Frau/einem bestimmten Mann oder Weiblichkeit/Männlichkeit als Ganzes identifiziert. Eine abweichende nicht-binäre Identität identifiziert sich entsprechend beispielsweise mit dem Ideal von Androgynität.

Stock geht auch darauf ein, welche Rolle Geschlechterstereotype in diesen Modellen und unseren Vorstellungen von Gender spielen. Dabei kritisiert sie auch medizinische Kriterien:

„Absolut irre ist es, dass das DSM-5 als Beweis für Geschlechtsdysphorie bei Kindern die Tendenz anführt, Kleidung zu tragen oder mit Spielzeug zu spielen, das mit dem anderen Geschlecht assoziiert wird.“

Und sie erwidert:

„Bei Kindern, die grundlegende Konzepte erst noch entwickeln, kann es kein Bewusstsein dafür geben, dass Kleidung oder Spielzeug speziell als etwas gedacht sind, dass jeweils ‚für‘ Jungen oder ‚für‘ Mädchen ist.“ (Seite 167f)

In ihren weiteren Ausführungen spielt Stock gedanklich mit unterschiedlichen Kombinationen von geschlechtlichen Körpern und abweichenden oder nicht-abweichenden geschlechtlichen Identitäten. Sie fragt, ob alle Menschen eine Geschlechtsidentität haben, ob auch Cis-Personen eine abweichende Geschlechtsidentität haben können und so weiter. Letztlich hängt alles damit zusammen, wie genau wir einen Begriff, ein Konzept definieren.

Die Begriffe Mann und Frau als Konzept – und die Transdebatte

Wir alle haben Konzepte gelernt und brauchen sie, um die Welt um uns herum zu verstehen und einzuordnen: Konzepte von Mann und Frau, Konzepte von Nahrung und Nicht-Nahrung, von Führungskraft oder Hilfskraft und viele mehr.

„Neue Konzepte lernen wir vor allem dadurch, dass wir von anderen über neue Dinge informiert werden, indem wir Namen sowie Definitionen, Erklärungen oder Beispiele verwenden. Einen Namen auf dieselbe Weise zu verwenden wie andere Menschen auch erleichtert die Kommunikation über die Sache, um die es geht.“ (Seite 180)

Wir bilden Konzepte als Reaktion auf menschliche Interessen aus. So haben die meisten Sprachen wesentlich mehr und genauere Bezeichnungen für Wirbeltiere als für Wirbellose, insbesondere für wichtige Nutztiere.

Im Folgenden geht Stock darauf ein, dass ein Eckpfeiler der „Theorie der Geschlechtsidentität“ darin besteht, radikal neue Konzepte von „Mann“ und „Frau“ zu entwerfen.

Traditionelles Verständnis:

  • Mann – erwachsene Person männlichen körperlichen Geschlechts
  • Frau – erwachsene Person weiblichen körperlichen Geschlechts

Neue Definition gemäß der „Theorie der Geschlechtsidentität“:

  • Mann – erwachsene Person mit männlicher Geschlechtsidentität (unabhängig vom Körper)
  • Frau – erwachsene Person mit weiblicher Geschlechtsidentität (unabhängig vom Körper)

Stock setzt sich mit den logischen Problemen auseinander, die eine solche Definition von Mann oder Frau mit sich bringt, und fragt, welches Konzept sinnvoller zur materiellen Wirklichkeit passt. Ihre Antwort fällt klar für das körperliche Geschlecht als grundlegende Orientierung aus. Denn das entspricht unserer Wahrnehmung.

Das große Problem der Identität als konzeptionelles Bestimmungskriterium ist, dass wir die Identität anderer Menschen nicht sehen können. Wir sehen Körperformen, Haarwuchs, Rundungen und Kanten, und im nackten Zustand sehen wir Penis und Vulva. Wir sehen nicht, was ein Mensch denkt oder fühlt. Das ist für ein Konzept, das uns helfen soll, uns in der Welt zu orientieren, ein massives Problem.

Wie wir unsere Wirklichkeit erleben

Ein Kapitel widmet Stock der philosophischen Auseinandersetzung mit Fiktionen, ihrem Forschungsschwerpunkt. Stock unterscheidet zwischen Wirklichkeit, Fiktion und Immersion. Immersion ist das Eintauchen in eine Fiktion, ohne den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.

Was bedeutet das für die Aussagen „Transmänner sind Männer und Transfrauen sind Frauen“? Nehmen wir sie wörtlich und glauben, dass es keine Geschlechtskörper gibt? Oder verstehen wir sie immersiv? Das heißt, wir tauchen in die Vorstellung ein, wissen aber, dass eine Transfrau mit einem männlichen, ein Transmann mit einem weiblichen Körper geboren wurde und sich ein Geschlecht im körperlichen Sinne nicht umwandeln, sondern nur optisch angleichen lässt.

Stock geht darauf ein, dass es viele praktische und sinnvolle Gründe und Situationen gibt, in denen wir immersiv denken und handeln. Wenn wir in einen Film eintauchen und mit der Hauptrolle mitfühlen zum Beispiel, aber auch, wenn wir aus Höflichkeit bestimmte Wahrnehmungsteile unter den Teppich kehren, um andere nicht zu verletzen.

In Bezug auf Transpersonen meint Stock, dass sie es als höflich erachtet, sie mit den gewünschten Pronomen anzusprechen. Dennoch gibt es verschiedene Anlässe, bei denen eine Transperson die körperliche Wirklichkeit anerkennen muss, etwa in der Medizin, in Sportwettkämpfen, bei Familiengründung oder gegenüber Sexualpartner*innen.

Problematisch wird es aus Sicht von Stock vor allen Dingen dann, wenn andere Menschen sich nicht mehr selbst entscheiden dürfen, ob sie in eine Fiktion eintauschen, sondern genötigt oder gar gezwungen werden, sie zu übernehmen. Sie nimmt das Beispiel einer Transperson im Umgang mit den ihr nahestehenden Personen, wie Eltern oder Kinder. Manche lassen sich auf die Geschlechtsidentität ein, anderen fällt das schwer oder es erscheint ihnen unmöglich.

„Wenn es Verwandten und Freunden gelingt, sich Ihnen zuliebe quasi dauerhaft in diese Fiktion hineinzuversetzen, ist das toll; allerdings hat nicht jeder und jede die Fähigkeit dazu, und es ist kein moralisches Versagen ihrerseits.“ (Seite 239)

Stock plädiert für versöhnliche und pragmatische Lösungen. Und sie verwehrt sich gegen institutionell verordnete Denkvorschriften. Insbesondere die britische Transorganisation Stonewall kritisiert sie scharf.

„Tatsächlich scheint das Ziel von Stonewall darin zu bestehen, Organisationen entweder durch Belohnungen (Branding, Preise, öffentliche Anerkennung) oder Bestrafungen (Transphobie-Vorwürfe, öffentliche Missbilligung) dazu zu bewegen, ihre Angehörigen in die Fiktion zu versetzen, dass Menschen mit weiblicher Geschlechtsidentität Frauen und Menschen mit männlicher Geschlechtsidentität Männer sind. Diese absolut immersive ‚Institutionalisierung‘ der Fiktion, dass Menschen ihr Geschlecht wechseln können, ist aus mehreren Gründen höchst gefährlich.“ (Seite 245)

Als Gründe führt sie an, dass

  • das körperliche Geschlecht weiterhin existiert und für viele Situationen relevant ist,
  • die Redefreiheit und die Freiheit eines Individuums, sich auf eine Fiktion einzulassen oder auch nicht, angegriffen sowie
  • die Wissensproduktion einer Gesellschaft durch erzwungene Immersion behindert wird.

Stock würdigt die Leistungen von Stonewall für Homosexuellenrechte, kritisiert aber die aktuellen Entwicklungen, bei denen die Interessen von Transfrauen über Interessen anderer queerer Gruppen und über die Interessen von Frauen gestellt und existierende Interessenskonflikte ausgeblendet werden. Sie schreibt:

„Hätte Stonewall seine beträchtlichen finanziellen Ressourcen und seinen Einfluss dafür genutzt, um sich gemeinsam mit Feministinnen für dritte Räume in Institutionen einzusetzen, hätte ein Menge Feindseligkeit und Hass vermieden werden können.“ (Seite 307)

Stock geht auch auf das Thema geschlechtergerechte Sprache ein, die sie in der Übersetzung „geschlechtsinkongruente“ Sprache nennt. Damit meint sie vor allen Dingen, Transpersonen mit ihren bevorzugten Pronomen anzusprechen. Sie geht darauf ein, dass dies als Akt der Höflichkeit vernünftig ist.

Sie verweist aber auch darauf, dass es zu Problemen bei der kognitiven Verarbeitung im Gehirn führt, vor allen Dingen wenn das Passing nicht stimmt, die Person also anders aussieht als es das Pronomen nahelegt. Stock geht auf Forschungen ein, dass unser Gehirn mit Verzögerung reagiert, wenn es widersprüchliche Informationen verarbeiten muss, zum Beispiel das Wort „gelb“ in roter Farbe gedruckt oder das Wort „Frau“ bei einem Menschen mit signifikant männlichen körperlichen Merkmalen (deutlicher Adamsapfel, Vollbart, männliche Muskelverteilung).

Stock geht auch auf das Chaos im Kopf vieler Menschen ein, die Schwierigkeiten haben, Transpersonen richtig zuzuordnen. Auch ich habe es schon erlebt, dass Journalist*innen die Begriffe Transjunge und Transmädchen oder Transmann und Transfrau verwechseln und umgekehrt verwenden. Das mag damit zu tun haben, dass uralte und sehr beständige Konzepte unserer Wahrnehmung über den Haufen geworfen werden. Das machen Gehirne nicht so ohne Weiteres mit.

Butler und Stock – 2 kluge Frauen, 2 Lesben, 2 Positionen in der Transdebatte

Stock kritisiert in dem Buch immer wieder die us-amerikanische Philosophin Judith Butler, deren Theorie von Geschlecht als Performanz von trans-aktivistischer Seite als Begründung angeführt wird. Stock schreibt, Butler sei der Auffassung „Das biologische Geschlecht, Sex, sei vollständig sozial konstruiert.“ (Seite 79)

Ich bin nicht sicher, ob Butlers Vorstellung von der Performanz der Geschlechter wirklich so weit geht, dass sie das körperliche Geschlecht für irrelevant hält oder gar leugnet. Ich glaube nicht. Ich habe sie anders verstanden. Ich gestehe aber auch, dass ich Butler nur in Teilen gelesen habe, weil sie wirklich sehr mühsam zu lesen ist. Insofern stimme ich mit Stock überein, dass der Schreibstil von Butler so komplex und schwer verständlich ist, dass er dazu einlädt, sie falsch zu interpretieren oder das herauszulesen, was die eigene Wirklichkeitskonstruktion zu bestätigen scheint (Confirmation Bias).

Unabhängig davon, wie Butler richtig zu interpretieren ist, wird sie herangezogen, um zu behaupten, dass es kein biologisches Geschlecht gäbe und alles nur eine kulturelle Erfindung sei.

Ich fände es gut, sinnvoll und bereichernd, einen Diskurs dieser beider Frauen zu erleben. Die beiden haben unterschiedliche Meinungen, aber auch eine Menge gemeinsam:

Zwei zeitgenössische Philosophinnen, wissenschaftlich hoch dekoriert, zwei Lesben,  zwei kluge Frauen, die sich tief in unser Denken von und über Geschlecht eingegraben haben, gar in unser Denken und unsere Sprache über unser Denken überhaupt.

Wie großartig wäre ein öffentlicher Diskurs über Gender, Gendertheorie und Geschlechterkonzepte dieser beiden Frauen. Sie könnten höchst philosophisch die Grenzen ausleuchten, wo körperliche Fakten auf kulturelle Interpretation dieser Fakten treffen und zeigen wie wissenschaftliche Erkenntnis auf philosophische Denk-Akrobatik trifft. Auf der Ebene von sachlicher Argumentation, kritisch und wertschätzend, ergebnisoffen. Ich denke, wir alle könnten von so einem Diskurs nur profitieren und lernen.

Das setzt jedoch voraus, dass ein offener Diskurs möglich ist. Und genau hier liegt derzeit das Problem. Statt sich argumentativ mit den Thesen von Stock zu beschäftigen, wurde eine Kampagne gegen sie gefahren. Und wenn sie schon nicht zum Schweigen gebracht werden kann, so kann durch das Narrativ, sie sei transphob, zumindest verhindert werden, dass sich allzu viele Menschen mit ihren Gedanken beschäftigen. Aus meiner Sicht ist das manipulative Agitation.

Ich stimme nicht mit allen Thesen und Gedanken überein, die Stock vorbringt. Aber sie liefert viele wichtige und gute Argumente und vor allen Dingen hilft ihre Auseinandersetzung zu verstehen, worum es überhaupt geht.

Ich bitte alle inständig, verbal abzurüsten. Alle Menschen haben Würde und Respekt verdient. Zur Vielfalt gehört auch die Meinungsvielfalt. Lasst uns demokratisch streiten und Argumente austauschen. Das liefert den besten Erkenntnisgewinn.

Buch und Übersetzung

Kathleen Stock: Material Girls - Buch zur TransdebatteKathleen Stock: Material Girls, 2022, Edition Tiamat, übersetzt aus dem Englischen von: Vojin Saša Vukadinovi

Bestellen entweder in der Buchhandlung ums Eck oder direkt beim Verlag Edition Tiamat.

Über den Übersetzer Vojin Saša Vukadinović schreibt Wikipedia:

„Vukadinović studierte Geschichte, Germanistik und Geschlechterforschung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Basel. 2008 bis 2010 war er Stipendiat am Graduiertenkolleg Geschlecht als Wissenskategorie der Humboldt-Universität zu Berlin, von 2011 bis 2015 wissenschaftlicher Assistent am Zentrum Gender Studies der Universität Basel. Von 2015 bis Ende 2017 war er Koordinator des Graduiertenkollegs des Zentrums Geschichte des Wissens der Universität Zürich und ETH Zürich.[8] Er promovierte an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit zur politischen Gewalt in der Bundesrepublik.“

Coverfoto: Edition Tiamat, Beitragsbild/Titel: Sigi Lieb

 

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14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich möchte hier einige Links ergänzen:
    August 2023
    Nach einem Spiegel-Interview über Geschlecht und Gender mit Paula-Irene Villa Braslavsky, brach über die Gender-Studies-Professorin der LMU-München ein Shitstrom auf Twitter herein. Vor allen Dingen kritisiert wurde dieser Ausschnitt des Gesprächs:
    „SPIEGEL: Und was ist Geschlecht?
    Villa: Meine Standardantwort ist: Geschlecht ist eine biosoziale, kulturell bedeutete, historisch gewordene, kontextvariable, andauernd gemachte, träge, bedingt verfügbare Geschlechterdifferenzierung, die intersektional mit anderen sozialen Differenzen verbunden ist und Ungleichheit generiert.“
    https://www.spiegel.de/kultur/lgbtq-interview-mit-der-soziologin-paula-irene-villa-braslavsky-zur-debatte-ueber-trans-a-ddda20e7-a577-4a3e-bee2-cf778935bedc

    Ich verstehe, was Villa Braslavsky meint, jedenfalls glaube ich, das zu verstehen: Gechlecht basiert auf der biologischen Grundlage zweigeschlechtlicher Fortpflanzung, ist aber bereits in der körperlichen Ausformung komplexer und hat vor allen Dingen viele soziale und kulturelle Komponenten, die unsere Geschlechterbilder prägen. Auch haben wir Geschlecht wissenschaftlich nicht in allen Facetten verstanden. (So würde ich es definieren).

    Ich verstehe aber auch, dass Leute, die nicht Soziologie studiert haben, sich darüber empören. Weil es unverständlich ist. Ob das klare Bekenntnis zur evolutionären Zweigeschlechtlichkeit (plus Misch-Varianten) absichtlich fehlt oder einfach dem komplexen Soziologie-Sprech zum Opfer fiel, muss Villa Braslavsky selbst beantworten. Ich hatte die Aussage wohlwollend interpretiert.

    Im Streit um die Kampagne gegen die britische Philosophie-Professorin Kathleen Stock, hatte Villa Braslavsky Partei ergriffen, und zwar in durchaus problematischer Doppelmoral. Sie rechtfertigte indirekt den Hass und die Gewalt gegen Stock damit, dass Transpersonen zu den diskriminiertesten aller Gruppen gehörten.
    Ganz abgesehen davon, dass ein Diskriminierungsranking niemandem hilft, sondern nur Probleme bereitet, halte ich diese Doppelmoral für falsch:
    Ich bin überzeugt: In einer demokratischen Gesellschaft dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen.
    Es ist falsch, Gewalt, Aggression und Hass zu legitimieren, indem eine Gruppe als besonders diskrimiert gelabelt wird. Mobbig, Hass und Hetze sind immer falsch. Körperliche Gewalt ebenso.
    Und alle haben das Recht, ihre Bedenken, Interessen und Argumente vorzubringen. Ihnen ist mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen.
    Meinungsvielfalt ist konstituierendes Merkmal einer Demokratie. Es gibt keine Vielfalt ohne Meinungsvielfalt.
    Hier zwei Links:
    Andrej Reisin im November 2021 in Übermedien: https://uebermedien.de/65160/die-professorin-und-der-mob-wenn-medien-vor-lauter-empoerung-nicht-mehr-den-konflikt-erklaeren/
    Uwe Steinhoff auf seinem Blog, ebenfalls November 2021: https://uwesteinhoff.com/2021/11/13/leicht-zu-beurteilen-wer-hier-wie-fundamentalistisch-ist-warum-die-gender-studies-professorin-villa-braslavsky-zum-fall-der-gemobbten-genderkritischen-philosophin-kathleen-stock-besser-geschwiegen-hat/

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  2. […] Radikale Anhänger*innen der Queertheorie treten mitunter ziemlich aggressiv auf und fordern von anderen, die Sprache nach ihren Wünschen zu benutzen. Andernfalls seien sie faschistisch, Nazis, transfeindlich, wollten Transpersonen auslöschen oder würden deren Genozid unterstützen. – Insbesondere auf der Hass-Schleuder Twitter können die Übertreibungen offenbar nicht krass genug sein. […]

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  3. Auf Twitter trendet diese Woche mal wieder JK Rowling und das Narrativ, sie sei transphob. Erschreckencerweise geht sogar eine bekannte deutsche Anti-Diskriminierungs-Stiftung mit diesem Narrativ, ohne es zu prüfen.
    Und dann begegnete mir die Recherche einer britischen Journalistin. Sie hatten den Auftrag, einen Text über 20 transpohobe Äußerungen Rowlings zu schreiben und als Ally nahm sie den Auftrag begeistert an. Am Ende fand sie keine einzige und wurde gefeuert.
    Wir brauchen journalistische Integrität, Recheche, echte Faktenchecks. Und nicht das Nachplappern irgendwelcher Narrative.
    Hier die ganze Geschichte: https://www.scotsman.com/news/opinion/columnists/jk-rowling-transphobic-how-i-went-from-spreading-this-false-narrative-to-seeing-right-through-it-ej-rosetta-3961211

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  4. Ergänzung, um Missverständnissen vorzubeugen, die verletzen könnten.
    Der Begriff „Fiktion“, den Stock verwendet, ist ein Fachbegriff. In dem gemeinten Kontext sind auch Geld, Firmen oder politische Systeme Fiktionen, denn wir können sie nicht anfassen, wie Bäume Körper, Häuser. Eine GmbH oder eine Demokratie existiert, weil wir gemeinsam daran glauben – und sogar Regeln dafür haben. Dass ich für einen 50-Euro-Schein mehr bekomme als für einen 10-Euro-Schein liegt nicht am Materialwert, sondern an der Fiktion des Geldes. Und weil wir alle daran glauben, funktioniert es.
    Danke an die Transfrau, die darüber verletzt war und mir das schrieb, so dass ich das überhaupt bemerkt habe.

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    • Was trägt dieser Artikel deiner Meinung nach zu dem hier diskutierten Buch bei? Stock setzt sich für transidente Menschen ein, sie wehrt sich gegen ein theoretisches Gebilde, dass Geschlecht vom Körper unabhängig sei und welches allein die Identität als relevant betrachtet. Dagegen wehren sich auch Transpersonen. Denn die Identität sehe ich niemandem an.
      Da es in dem Artikel um die USA geht. Dort sehen wir, wohin das führt. Das Leben wird für Transpersonen und Homosexuelle gefährlicher statt sicherer.
      Körper und Identität sind wichtig. Eine Transperson kann ihr Erscheinungsbild angleichen. Aber selbst das gelingt nicht immer zufriedenstellend. Und wenn sie das tut, funktioniert ihr Körper gemischtgeschlechtlich. Spätestens im Krankenhaus kann es lebenswichtig sein, das Geburtsgeschlecht zu erkennen und zu berücksichtigen. Dem Körper ist es völlig egal, welche Identität ihn bewohnt. Lies dir gerne auch mal diesen Blogartikel durch: https://www.gespraechswert.de/trans-gender-feminismus-selbstbestimmung/

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  5. Wenn jemand schreibt „so wie Du bist, das kann es nicht geben“ empfinde ich das als Angriff auf meine Existenz und als „Feindlichkeit“.
    Ich möchte darauf hinweisen, dass der Tenor von Frau Stock ist, dass Transfrauen in der Regel nicht „passen“ – meiner Ansicht nach ist das unzutreffend. Transmänner, die Testo genommen haben und schon Bart tragen und mit tiefer Stimme sprechen, passen fast immer. Aus der mir bekannten Community hat die Mehrzahl der Transfrauen ihr Passing erreicht. Auffallen tun natürlich nur diejenigen, die nicht passen, weil sie noch nicht so weit sind oder zu schlechte körperliche Voraussetzungen mitbringen. Diejenigen, die ihr Passing erreicht haben, werden im Alltag nicht erkannt. Ich unterstelle eine beträchtliche selektive Wahrnehmung.

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    • Hast du ihr Buch gelesen? Oder wenigstens die Rezension hier? Ich habe das Gefühl, du sitzt einer ideologischen Propaganda auf, die das Leben für Transpersonen am Ende gefährlicher macht. Und das kann doch keiner wollen.
      Ich habe ihr Buch gelesen und kann diesen von dir behaupteten Tenor nicht finden im Gegenteil, Stock: „Für den Fall, dass dies unklar sein sollte, möchte ich anmerken, dass ich mich nicht gegen den rechtlichen Schutz von Transmenschen vor Gewalt, Diskriminierung oder Zwangsoperationen ausspreche, sollten hieran Zweifel bestehen. Ich unterstütze diese Schutzmaßnahmen mit Nachdruck.“ Im ganzen Buch spricht Stock wieder und wieder ihre Wertchätzung für Transpersonen aus, differenziert DSD und spricht sich für deren Schutz aus.
      Sie differenziert auch genau bei diesem Passing und kritisiert, dass Menschen mit Vollbart und männlicher Vollausstattung als Frauen gelten sollen. Und das überfordert die Gehriine, und die Gesellschaft und das gefährdet queere Sicherheit. Das sag nicht nur ich, sondern auch viele Transpersonen.

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  6. Kommentar zu „Absolut irre ist es, dass das DSM-5 als Beweis für Geschlechtsdysphorie bei Kindern die Tendenz anführt, Kleidung zu tragen oder mit Spielzeug zu spielen, das mit dem anderen Geschlecht assoziiert wird.“
    Und sie erwidert:
    „Bei Kindern, die grundlegende Konzepte erst noch entwickeln, kann es kein Bewusstsein dafür geben, dass Kleidung oder Spielzeug speziell als etwas gedacht sind, dass jeweils ‚für‘ Jungen oder ‚für‘ Mädchen ist.“ (Seite 167f)

    Ich bin Transfrau, *19.02.1957. In meinem vierten Lebensjahr bin ich ich-weiß-nicht-wieviele Male von meinem Vater bis hin zu Blutergüssen verprügelt worden, unter anderem, weil ich Puppen haben wollte, die ich nicht bekam, und männliches Spielzeug aus Zorn zerbrochen und kaputtgemacht habe. Ich habe eine Amnesie von 02/1960 – 12/1960 und habe eine pDis (partielle dissoziative Identitätsstörung), mit der ich zu leben gelernt habe, die mich aber mein gesamtes Leben lang begleitet hat.
    Frau Stock mag Zweifel am Identitätsgefühl von 3 oder 4-jährigen Kindern haben, es als „absolut irre“ zu bezeichnen, widerspricht meiner persönlichen leidvollen Lebenserfahrung, ist schlicht beleidigend und einer „Philosophin“ unwürdig. Wieviele Trans-Menschen hat Frau Stock persönlich interviewt? Oder sind es ihre puren Gedankenkonstrukte, die sie an keinerlei Realität überprüft hat? Dass Frau Stock sich den Ruf „transfeindlich“ eingehandelt hat, kann ich sehr gut nachvollziehen.

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    • Liebe Annemarie, vielen Dank für deinen Kommentar. Das tut mir leid, was dir widerfahren ist. Wir müssen daran arbeiten, dass so etwas nicht passiert. Ich bin seit dem Kindergarten damit konfrontiert, dass ich offensichtlich nicht genderkonform gestrickt bin. Ich sollte dauernd Dinge anziehen oder tun oder mir wurde etwas verboten, weil ich ein Mädchen bin. Ich fand Papas Werkstatt, Eisenbahn, schnitzen, Kräfte messen immer viel spannender als Mamas Küche oder Puppen. Später wurde mir oft gesagt, ich sei „nicht weiblich genug“ oder wurde für Verhalten sanktioniert, für das Männer in den Himmel gelobt werden.
      Kinder sollen spielen, womit sie wollen und in ihrem Sosein gefördert werden. Jungs dürfen so zart sein, wie es ihnen entspricht und Mädchen dürfen so wild sein, wie es ihnen entspricht, Interkinder ebenso.
      Styling, Interessen oder Spielsachen haben kein Geschlecht. All das sind kulturelle Stereotype. Kathleen Stock lehnt sie ab, weil sie Menschen unfrei machen und in Geschlechterbilder erziehen, egal ob das für diese Menschen passt oder nicht. Deshalb kritisierst sie, dass eine Diagnostik solche Stereotype verwendet. Sie kritiserst also, dass Stereotype, die wir abbauen wollen, damit Kindern nicht so etwas passiert, wie dir, als Diagnostik herangezogen werden. Stock würde sich dafür einsetzen, dass Menschen wie dein Vater bestraft werden.
      Über transidente Menschen schreibt Stock durch und durch wertschätzend und setzt sich für ihren Schutz ein.
      Wie definierst du „Feindlichkeit“?

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