Ich arbeite seit vielen Jahren zum Thema gendern. Ich kläre auf, biete flexible Lösungen für unterschiedliche Kontexte, unabhängig davon, welche politische Meinung jemand vertritt. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten in der Sprache alle Geschlechter gleichermaßen zu benennen, mit oder ohne Sonderzeichen. Trotzdem bleibt die mediale und öffentliche Debatte im oberflächlichen und polarisierten Schwarz-weiß-Schema hängen. Statt die Sprache und ihre Möglichkeiten zu betrachten, hängen Leute lieber an Glaubenssätzen fest. Dieser Blogartikel liefert dir Argumente, Definitionen und praktische Beispiele.
Gendern oder nicht Gendern? Das ist die falsche Frage
„Gendern oder nicht Gendern? Das ist die falsche Frage“. Darüber schrieb ich bereits in der August-Ausgabe meines monatlichen Linkedin-Artikels, der als Newsletter abonniert werden kann. Warum ist es die falsche Frage? Weil die deutsche Sprache eine stark gegenderte Sprache ist.
Für Personenbezeichnungen gibt es in der Regel zwei verschiedene Wörter, eines im Maskulinum mit dem Artikel „der“ für männliche Personen, eines im Femininum mit dem Artikel „die“ für weibliche Personen. Diese Geschlechtsmarkierungen werden fortgeführt in Adjektiven und Pronomen. Das heißt: Egal, welche Meinung wir zum Thema haben, die Grammatik zwingt uns dauernd zu Geschlechtsmarkierungen. Damit müssen wir umgehen. Daran ist nichts neu. Diesen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus beschreibt schon Johann Christoph Gottsched in „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ aus dem Jahr 1748. Dort steht:
„Wörter, die männliche Namen, Ämter, Würden oder Verrichtungen bedeuten, sind auch männlichen Geschlechts.“
Johann Christoph Gottsched, Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, 1748
„Alle Namen und Benennungen, Ämter und Titel, Würden und Verrichtungen des Frauenvolkes sind weiblichen Geschlechts.“
Wenn wir also Berufe, Funktionen, Rollen von Menschen benennen, haben wir folgende Möglichkeiten: Wir können das mit dem Begriff für Frauen tun, mit dem für Männer, wir erwähnen beide Geschlechter, wir suchen neutrale Begriffe ohne Geschlechtsmarkierung oder wir benutzen ein Genderzeichen, etwa den Genderstern. Welche Variante sinnvoll ist, hängt vom Kontext ab. Sprache sollte in jedem Fall ihren Zweck erfüllen und den Inhalt, die Botschaft verständlich machen.
Ich investiere viel Arbeitszeit in meine Blogbeiträge, beachte journalistische Kriterien und stelle viel weiterführende Information zur Verfügung. Das alles stelle ich kostenlos für alle zur Verfügung – ohne bezahlte Werbung auf meiner Seite. Aber natürlich muss auch ich im Supermarkt mit Euros bezahlen. Daher freue ich mich, wenn du meine ehrenamtliche redaktionelle Arbeit unterstützt.
Bereits im Januar 2021 schrieb ich in einem Artikel auf diesem Blog ein paar wichtige Argumente zusammen.
Damals, also vor beinahe fünf Jahren, war die öffentliche Debatte noch nicht so vergiftet von der Queer“theorie“ und dem Kampf „woke“ gegen „anti-woke“ – mit einer Bevölkerung, die zwischen diesen ideologischen Polen Orientierung sucht. Solche Orientierung möchte ich mit diesem Text liefern.
Daher als Transparenzhinweis meine Position: Ich spreche mich gegen jede Form von Sprachzwang oder Sprachverbot aus, dafür für Aufklärung, für sachgerechte und pragmatische Lösungen.
Über die Narrative und den politischen Druck sowohl von der woken wie der anti-woken Seite schrieb ich im Februar 2023 unter dem Titel Sprachpolizei(en).
Was bedeutet „gendern“ eigentlich genau?
Wir verwenden den Begriff „gendern“, meinen damit aber oft ganz unterschiedliche Bedeutungen. Eine Definition findet entweder nicht statt oder wird abgelehnt. Was dann passiert: Die Verständigung wird schwierig, es wird populistisch und ein Dialog eskaliert schnell.
Wenn aber ohne Begriffsklärung Umfragen angeführt werden, ist der inhaltliche Gehalt der Zustimmung oder Ablehung gleich null. Kaum jemand in der Bevölkerung hat etwas gegen die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“. Das ist in Beidnennung gegendert. Auch wenn von Beschäftigten oder Vorgesetzten die Rede ist, habe ich noch keine Beschwerden gehört. Anders sieht es bei Genderzeichen aus. Diese empfinden tatsächlich viele als ungewohnt bis störend.
In diesem Beitrag vom September 2021 mit einem Update vom März 2023 nehme ich Umfragen unter die Lupe und untersuche, wie du seriöse von manipulativen Umfragen unterscheiden kannst.
Der Begriff gendern ist im Grunde irreführend. Er suggeriert, der Sprache würde etwas hinzugefügt. Das ist falsch. Das Wort meint lediglich, dass mit den Geschlechtsmarkierungen in der Grammatik bewusst so umgegangen wird, dass nicht nur über Männer gesprochen wird, wenn nicht nur Männer gemeint sind. Fans des generischen Maskulinums wechseln meist ins Feminnum, wenn es um Putz-, Pflege- und Hilfsdienste geht, also Putzfrau, Krankenschwester, Sekretärin, Stewardess – obwohl in diesen Berufen Männer arbeiten. Das ist sprachlogisch inkonsistent, aber kulturlogisch eine Sprachgewohnheit aus einer Zeit, in der Geschlechterrollen patriarchal zugewiesen und begrenzt waren.
Schlecht gegendert ohne Genderstern
Ob ein Text gut verständlich und gelungen ist oder nicht, hängt nicht davon ab, ob jemand Gendersterne verwendet oder nicht. Das zeigt folgendes Beispiel vom Tagesspiegel vom 10. September 2025. Der Umgang mit Maskulinum und Feminium in Überschrift und Teaser ist irritierend bis missverständlich. Es entsteht der Eindruck, drei Männer sprechen über eine kriminelle Frau. Tatsächlich sprechen zwei Frauen und ein Mann über eine kriminelle Person männlichen Geschlechts mit weiblichem Geschlechtseintrag.

Marla-Svenja Liebich, geboren als Sven Liebich, verurteilt wegen Volksverhetzung, wird als Frau benannt (Rechtsextremistin). Die beiden weiblichen Autorinnen Paula-Irene Villa Braslavsky und Anna Katharina Mangold werden zum Mann (Wissenschaftler). Der dritte Autor Heinz-Jürgen Voß ist ein Mann und wird als solcher benannt.
Meiner Meinung nach grenzen Überschrift und Teaser an Desinformation. Der kriminielle Mann wird zur Frau. Die Fachfrauen, die zu Wort kommen, verschwinden dagegen aus der Sprache beziehungsweise werden zu Männern. Ich unterstelle keine böse Absicht, aber mindestens grobe Denkfaulheit. Hätte sich der Tagesspiegel für Wissenschaftlerinnen entschieden, wäre der Text wenigstens konsistent im generischen Femininum.
Macht Gendern Frauen unsichtbar?
Ich weiß nicht, ob die Person, die für Überschrift und Teaser verantwortlich ist, sagt, sie habe gegendert oder ob sie der Meinung ist, sie habe nicht gegendert. Im Ergebnis werden biologische Frauen tatsächlich unsichtbar gemacht, während Transfrauen selbstverständlich im Femininum und Männer auch dann im Maskulinum genannt werden, wenn sie in der Minderheit sind.
Frauen verschwinden auch in besonders woken Sprachwelten. Dort werden sie aufgelöst im Akronym FLINTA, manchmal auch FINTA (FLINTA steht für Frauen, Lesben, Interpersonen, Non-Binäre, Transpersoen, Agender; bei FINTA fliegen die Lesben raus, weil sie Frauen eingruppiert werden).
Das ist das Gegenteil von dem, was geschlechtergerechte Sprache möchte. Tatsächlich geht es beim Gendern darum, Frauen in der Sprache zu benennen und sichtbar zu machen. Gendern geht zurück auf die feministische Sprachkritik in den 1970er und 1980er Jahren, maßgeblich geprägt von der Linguistin Luise F. Pusch. Das Thema gendern und geschlechtergerechte Sprache ist also viel älter als der relativ junge Genderstern.
Zur Benennung von Frauen und Männern in der Sprache und den semantischen Vorstellungen, die sich daraus ergeben, gibt es 40 Jahre Forschung mit vielen Studien und unterschiedlichen Studiendesigns. Besonders spannend finde ich die internationale Studie von Gygax und anderen, die zeigt, dass die grammatikalische Geschlechtszuweisung Geschlechterstereotype auch dann überschreibt, wenn es sich um stereotyp weibliche Berufe handelt.
Ob „die Ärztin mit dem Krankenpfleger spricht“ oder ob „der Kosmetiker dem Klienten sanft das Gesicht massiert“, die sprachliche Geschlechtsmarkierung wirkt auf unsere Vorstelllung der benannten Personen. Umso stärker natürlich, wenn sie stereotyp-bejahend ist.
Das ist übrigens ein Vorteil der deutschen Sprache gegenüber dem Englischen, wo „the doctor“ und „the nurse“ grammatikalisch geschlechtsneutral sind, semantisch aber geschlechterstereotyp visualisiert werden.
Eine andere Möglichkeit ist es, Geschlechtsmarkierungen zu vermeiden. Das ist dort sinnvoll, wo entweder alle Geschlechter angeprochen werden sollen oder das Geschlecht keine Rolle spielt. Typische Beispiele sind Begriffe wie Fachkraft, Lehrkraft, Team, Publikum. Im Plural sind auch nominalisierte Partizipien und Adjektive ohne Geschlechtsmarkierung: Studierende, Auszubildende, Vorstandsvorsitzende, Beschäftigte, Vorgesetzte, Kriminelle oder Jugendliche. Das macht dann Männer und Frauen gleichermaßen unsichtbar.
All die oben genannten Formen sind weithin akzeptiert. Die polarisierten Debatten kreisen im Wesentlichen um Wortbinnenzeichen wie den Genderstern.
Was bedeutet der Genderstern?
Der Genderstern ist eine recht junge Entwicklung. Er wurde ab ungefähr 2017 einem breiteren Publikum bekannt. Und seither wird mit Leidenschaft über ihn gestritten. Ich habe in meinen Seminaren und Workshops irgendwann angefangen, meine Teilnehmer*innen zu fragen, was der Genderstern aus ihrer Sicht denn bedeutet.

Die Antworten verteilten sich auf fast alle Antwortmöglichkeiten: Männer und Frauen, Geschlechtseintrag divers oder ohne Eintrag, Interpersonen und Nicht-Binäre, geschlechtsneutraler Gattungsbegriff, ich weiß es nicht. Das Beispiel-Chart ist symptopmatisch für mehrere solcher Umfragen in Workshops.
Es ist bisher also nicht geklärt, wofür der Genderstern nun genau steht. Das handeln wir als Gesellschaft derzeit noch aus, insbesondere über die Art und Weise, wie wir ihn gebrauchen.
Verwenden wir ihn als Kurzform aus der männlichen und weiblichen Bezeichnung? Benennen wir damit Menschen, die aus dem klassischen Muster „Mann“ oder „Frau“ – aus welchen Gründen auch immer – herausfallen? Oder verwenden wir den Begriff eher in einer übergeordneten Form als Gattungsbegriff, ohne spezifische Geschlechtsmarkierung? Nicht weniger unklar ist die Antwort auf die Frage: Wie wende ich den Genderstern richtig an?
Es gibt derzeit mehrere Varianten, wie er gebraucht wird, aber keine klare Regel. Auch die entwickelt sich erst durch unseren Sprachgebrauch. Ich kann dir erzählen, wie ich ihn gebrauche und warum es für mich so am meisten Sinn ergibt. Das ist aber keine Regel.
Wie ich den Genderstern verwende und warum
Für mich ist es zentral, dass ich damit meine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten erweitere,
- dass ich Menschen benennen kann, die aus dem klassischen Bild „Mann“ oder „Frau“ herausfallen,
- dass ich neutral über Berufe oder Rollen sprechen kann,
- dass es grammatikalisch ohne Folgeprobleme funktionert,
- dass es gut lesbar und verständlich ist und
- dass ich die Anwendung und Bedeutung Menschen, die unsere Sprache lernen, erklären kann.
Ich verwende Nomen mit Genderstern als übergeordneten Gattungsbegriff. Am Beispiel: Das Pferd ist der Gattungsbegriff. Die Stute, der Hengst, der Wallach, das Fohlen sind Spezifizierungen mit zusätzlichen Informationen zu Geschlechtsmerkmalen und Alter. So ist für mich die Elektriker*in ein Mensch mit diesem Beruf. Der Elektriker ist ein Mann, die Elektrikerin eine Frau mit diesem Beruf.
Das heißt, ich kann den Genderstern auch verwenden, wenn ich gar nicht weiß, ob tatsächlich jemand mit Geschlechtseintrag „divers“ unter den Benannten ist oder welcher Genderidentität sich jemand zuordnet. Das weiß ich oft schlicht nicht und brauche trotzdem Wörter.
Weil es keine Zusammenfassung aus männlich und weiblich ist, sondern ein eigenständiger dritter Begriff, benötigt dieser nur ein Genus. Ich nutze das Femininum, weil es sich phonetisch anbietet und weil es einfacher zu deklinieren ist als das Maskulinum. Es ist ohnehin das häufigste Genus. Im Singular sind fast die Hälfte aller Nomen im Femininum. Diese Interpretation spart Gendersterne, verbessert die Lesbarkeit, vermeidet grammatikalische Folgeprobleme und entpolitisiert die Sprache.
Mit dieser Interpretation des Gendersterns ist es völlig egal, ob jemand überzeugt ist „Es gibt nur zwei Geschlechter“ oder denkt „Geschlecht ist ein Spektrum“. Der Beitrag „Geschlecht und Gender: Ordnung im Begriffsdschungel“ vom Februar 2024 versucht, diese polarisierte Debatte etwas zu entzerren und zu differenzieren.
Wie kann ich so gendern, dass mein Text angenehm zu lesen ist?
Fluffig gegendert bedeutet, dass viele Menschen gar nicht bemerken, dass der Text gegendert ist. Welche Form wann passend ist, hängt von der gewünschten Aussage, dem Kontext und der Zielgruppe ab. Es gibt eigentlich immer mehr als eine Möglichkeit, einen gewünschten Inhalt zu kommunizieren.
Wenn ich in Debatten schreibe, dass meine Texte durchweg gegendert sind, habe ich schon gehört: „So wie Sie gendern, ist das ja ok, so ohne Genderstern“. Interessante Einschätzung. Denn ich benutze den Genderstern, aber offenbar so umsichtig und selten, dass er nicht sonderlich auffällt.
Ich nutze gut verständliche neutrale Alternativen. Das sind nicht nur neutrale Nomen. Es kann sein, dass ich ein Nomen zum Verb umwandle oder manchmal auch einfach Wörter mit Gendermarkierung streiche. Es gibt immer mehr als eine Möglichkeit, die gewünschte Ausssage in Sprache zu packen.
Ich vermeide Dogmatismus und benutze Sprache als agile Spielwiese. Welche Form passt, ist immer abhängig vom Kontext. Das kann manchmal auch auch ein generisch verwendetes Maskulinum sein, etwa in einer Aufzählung von Volksgruppen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich jemand eine Volksgruppe monogeschlechtlich vorstellt, die würde innerhalb einer Generation aussterben. Im Zentrum steht: Welche Sprachwirkung erzeuge ich bei meinem Gegenüber?
Ich setze Gendersterne sparsam dort ein, wo ich sie für sinnvoll halte. Bei manchen Wörtern fehlen gut verständliche Alternativen oder es ist wichtig zu kennzeichnen, dass es nicht um eindeutige Geschlechtlichkeiten geht.
Rechtschreibung: Ist der Genderstern falsch?
Die Frage, ob der Genderstern falsch ist, lässt sich klar mit „nein“ beantworten. Der Genderstern ist nicht geregelt. Der Rechtschreibrat hat ihn Ende 2023 der Gruppe der Sonderzeichen zugeordnet. In dieser Gruppe sind Zeichen wie §, %, & oder auch @ und #, also Zeichen, die wir zwar in der Schriftsprache verwenden, die aber nicht in der Amtlichen Rechtschreibung geregelt werden.
Der Rechtschreibrat ist ein deskriptives Gremium. Er beschreibt, wie wir Sprache verwenden und entwickelt die Regeln weiter. Seine Aufgabe ist nicht normativ, er bestimmt also nicht, wie sich Sprache entwickelt. Und er ist schon gar nicht zuständig dafür, gesellschaftspolitische Fragen zu beantworten. Diesen Diskurs müssen wir als Gesellschaft führen.
Bisher ist auch nicht anderswo geregelt, wie der Genderstern zu verwenden ist. Es gibt verschiedene Varianten, manche fügen sich recht logisch in die Schriftsprache ein, andere torpedieren diese Logik. Das ist besonders dort der Fall, wo der Stern als visuelles Zeichen verwendet wird, um bestimmte Gruppen als „besonders“ darzustellen, sonst aber inkonsistent formuliert wird.
Ich habe schon mehrfach erboste Diskurse darüber gelesen, wo sich jemand an dem Begriff Frauenarzt stört, aber nicht etwa am Maskulinum „-arzt“, obwohl die große Mehrheit in diesem Fachgebiet Frauenärztinnen sind. Nein, das Wort „Frauen-“ war Stein des Anstoßes und sollte durch „Gyno-“ ersetzt werden. Wobei „Gyno-“ einfach nur das griechische Pendant zu Frau ist. Solcherlei ideologischer Schnickschnack torpediert tatsächlich unsere Sprache und hat nichts mit Gendern zu tun.
Warum du bei mir in älteren Texten das Wort „cis“ findest, in neueren aber nicht mehr
Und damit kommen wir zum vorletzten Punkt dieses Beitrages. Im Zuge der Debatte um Transgender kam auch der Begriff Cisgender auf, in der Kurzfrom trans und cis. Zunächst habe ich es, ohne mir groß darüber Gedanken zu machen quasi als Gegenstück zu trans verwendet.
Nach und nach hatte ich aber zunehmend Probleme damit. Das hat vor allen Dingen zwei Gründe.
1. Der Fokus bei „cis“ liegt auf Identiäten nicht auf Geschlecht.
Ich bin biologisch weiblich, mein rechtlicher Geschlechtseintrag ist weiblich, ich bin also weiblichen Geschlechts. Ich stehe mein Leben lang im Konflikt mit Gendervorstellungen, die mir aufgrund meines weiblichen Körpers angedient oder zugewiesen wurden und meine Handlungsräume beschränkten. Und die vor allen Dingen nicht zu mir passten. Ich war ein Tomboy. Und ich bediene bis heute mehr männliche als weibliche Stereotype.
In einem Interview bei herCareer wurde ich 2023 gefragt, was ich denn ankreuzen würde: Mann, Frau oder Divers. Ich antwortete „Frau. Das entspricht meinem Körpergeschlecht und meinem Personenstand, nicht unbedingt meiner Identität.“
Das Begriffspaar „cis“ und „trans“ suggeriert, alle Menschen hätten eine Genderidentiät, die entweder zu den Genderstereotypen des eigenen biologischen Geschlechts passt (cis) oder davon abweicht (trans). Danach müsste ich mich als trans bezeichnen, bin ich aber nicht. Mit meinem Körper ist alles ok. Die Sterteotype sind es nicht. Mir sind diese ganzen Selbstbezeichnungen inzwischen politisch und ideologisch viel zu sehr aufgeladen. Ich mag mich mit gar nichts davon identifizieren.
Zum anderen macht der Zusatz „cis“ biologische Frauen (und seltener Männer) zu einer Untergruppe ihrer selbst. Das biologische Geschlecht wird durch eine selbstgewählte Identität ersetzt. Interessanterweise passiert dies sprachlich vor allem gegenüber Frauen, selten bei Männern. So gibt es auch kein männliches Pendant zu FLINTA, das bleiben Männer. Die in diesem Denken allerdings zum ultimativen Feind erklärt werden, egal ob schwul, hetero oder bi.
2. In queer-aktivistischen Kreisen wird „cis“ oft abwertend verwendet.
Dazu kommt, dass in queer-aktivistischen Kreisen der Begriff „cis“ oft abwertend verwendet wird. Trans ist das Gute und Wahre. Cis ist das Verdächtige, das trans bedroht. Dabei wird „trans Frau“ oder „trans Mann“ auch noch anders geschrieben als „Cis-Frau“ oder „Cis-Mann. Trans wird dann manchmal zusätzlich mit Sternchen verziert. Das entbehrt jeder Sprachlogik, erschwert das Verständnis und ist tatsächlich ein Angriff auf die Sprache. Das ist keine Sprache, die in irgendeiner Weise wertschätzend oder inklusiv ist.
Was bedeutet Transfrau und Transmann?
In den letzten Wochen begegnete mir mehrfach eine falsche Verwendung des Begriffs Transmann, wo eigentlich Transfrau gemeint war. Zum Beispiel am 5. September 2025 in der NZZ.

Im Teaser heißt es, Graham Linehan habe Frauen aufgefordert, Transmännern „in die Eier“ zu schlagen. Die Autorin hat sich offenbar nicht ausreichend informiert und falsch übersetzt, gemeint waren Transfrauen. Transmänner sind im biologischen Sinn Frauen, aber eben mit männlicher Genderidentität. Transfrauen sind biologisch Männer mit weiblicher Identität.
Das zu lernen, ist für viele Menschen schwierig genug. Es ist für die betroffenen Transpersonen aber wichtig, dass sie im Identitätsgeschlecht angesprochen werden. Das respektiere ich. Noch mehr Verwirrung oder eine Leugnung biologischer Fakten lehne ich ab.
Im Original-Tweet heißt es „transidentified males“, also „transidentifizierte Männer“. Das ist die Schreibweise aus der genderkritischen Bubble, also das Gegenstück zu „trans Frau“ aus der queer-aktivistischen Bubble. Von Journalist*innen erwarte ich, dass sie sich soweit informieren, dass sie diese Begriffe inhaltlich wie politisch interpretieren können und ich wünsche mir, dass sie selbst eine möglichst ideologiefreie Sprache verwenden.
Mir sind diese Sprachvarianten politisch zu sehr aufgeladen. Und ich halte sie sprachlich nicht für sinnvoll. Ich wünsche mir stattdessen, dass Frauen, Männer und alle, die nicht in diese binäre Gruppe passen, sprachlich repräsentiert werden können – und zwar ohne die Sprache zu politisieren. Ich wünsche mir, dass wir in der Sprache und in den Bildern darauf achten, Geschlechterstereotype abzubauen, statt sie via Identiät zum Nonplusultra zu erheben.
Wie frage ich richtig nach der Anrede?
In Online-Formularen sehe ich oft Drop-down-Menüs mit der Auswahl: Herr, Frau, Divers. Das führt dann zu Pannen-Anreden wie „Hallo Divers Name,

Oder im Dropdown-Menü wird gefragt: männlich, weiblich, divers, kein Eintrag. Und dann kommt so etwas heraus: Sehr geehrte*r weiblich Name,

Begriffe wie „männlich“, „weiblich“, „divers“ sind rechtliche Geschlechtseinträge, aber keine Anreden. Wenn du im Dropdown-Menü nach der Anrede fragst, genügt: Herr, Frau, keine. Die folgenden Anreden sind dann logischerweise zum Beispiel
- Sehr geehrter Herr Name,
- Sehr geehrte Frau Name,
- Sehr geehrt*er (Vorname) Name,
Alternativen gibt es mit
- Hallo Vorname,
- Guten Tag, Vorname Nachmane,
und andere bekannte Formen.
Dort wo der Geschlechtseintrag abgefragt werden muss, müssen alle vier in Deutschland möglichen Alternativen abgefragt werden. Das ist für Anrede-Formulare aber nicht relevant.
Du siehst, es gibt gute und vernünftige Gründe, ein bischen nachzudenken, wie wir mit Geschlechtsmarkierungen in der Sprache umgehen. Deutsch ist zwar keine leichte, dafür aber eine präzise, flexible und sehr lautmalerische Sprache. Ich möchte dich einladen, dich mit ihr zu bschäftiegen. Und was immer du sagen möchtest: Achte darauf, dass deine Sprache in sich logisch, lernbar und vestehbar bleibt.
Quellen und weiterführende Literatur
Johann Christoph Gottsched: Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, 1748, online verfügbar in Münchner Digitalisierungszentrum, Scan 198 und 204, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10583647?page=204,205&q=%28%22Namen,+%C3%84mter,+W%C3%BCrden+oder+Verrichtungen+bedeuten%22%29
Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache, Suhrkamp, 2. Auflage 2017 (Erstauflage 1984)
Luise F. Pusch: Gegen das Schweigen. Meine etwas andere Kindheit und Jugend, Aviva Verlag, 2023
Pascal Gygax, Ute Gabriel, Oriane Sarrasin, Jane Oakhill: Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians and mechanics are all men, April 2008, https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01690960701702035
Rechtschreibrat, Ergänzungspassus Sonderzeichen: https://www.rechtschreibrat.com/amtliches-regelwerk-der-deutschen-rechtschreibung-ergaenzungspassus-sonderzeichen/
Rechtschreibrat: https://www.rechtschreibrat.com/geschlechtergerechte-schreibung-erlaeuterungen-begruendung-und-kriterien-vom-15-12-2023/