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Gendern: Wie werden Artikel und Pronomen gegendert?

Artikel und Pronomen genderneutral

Wenn wir über Berufe, Funktion oder Rollen sprechen und alle Geschlechter inkludieren wollen, hat sich inzwischen der Genderstern verbreitet. Er wird zwischen Wortstamm und weibliche Endung eingefügt und erzeugt so einen Gattungsbegriff, der anzeigt, dass alle Geschlechter angesprochen sind. Aber was machen wir mit den Artikeln und Pronomen? Darum soll es in diesem Blogbeitrag gehen.

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Welchen Artikel verwende ich bei Wörtern mit Genderstern?

Die deutsche Sprache zählt zu den „highly gendered languages“. Das bedeutet: Die Markierung des Geschlechts als männlich oder weiblich ist strukturell tief in die Grammatik geschrieben. Wenn wir zum Beispiel über Berufe oder Rollen sprechen, benennen wir das Geschlecht der Personen direkt mit. Konkret sieht das so aus:

  • Die Ärztin behandelt die Patientin.
  • Die Ärztin behandelt den Patienten.
  • Der Arzt behandelt die Patientin.
  • Der Arzt behandelt den Patienten.

Wenn wir diesen Satz genderneutral schreiben wollen, schreiben wir Ärzt*in und Patient*in und zeigen so, dass es nicht um das Geschlecht geht, sondern um die Situation, den Beruf, die Rolle.

Das Problem: Die Nomen stehen im Singular und fordern einen Artikel. Im Plural ist das unproblematisch, weil es da sowieso nur „die“ gibt. Aber im Singular müssen wir uns entscheiden: der oder die oder der*die oder die*der oder…?

Betrachten wir die Möglichkeiten:

  • „Der*die Ärzt*in behandelt den*die Patient*in“ führt zu einem Sternenhimmel, was die Lesbarkeit stört.
  • „Der oder die Ärzt*in behandelt den oder die Patientin“ ist ziemlich umständlich.

Was ist mit einem Neo-Artikel? Abgeleitet aus den Entwicklungen in anderen Sprachen könnte aus „die“ und „der“ der neue neutrale Artikel „dier“ lauten.

  • „Dier Ärzt*in behandelt dier Patient*in“ funktioniert zwar, ist aber so neu und ungewöhnlich, dass es zumindest derzeit mehr verwirrt als nützt.

Daher plädiere ich für diese einfache und pragmatische Lösung:

  • Die Ärzt*in behandelt die Patient*in.

Durch den Stern im Nomen ist eindeutig klar, dass es hier um den Gattungsbegriff geht, der einen Beruf oder eine Rolle beschreibt, nicht um ein bestimmtes Geschlecht. Und die Lesenden oder Zuhörenden sind nicht so minderbemittelt, dass wir diese Information doppelt und dreifach liefern müssen.

Deklination der Artikel in den vier Fällen

Jetzt fragst du dich vielleicht: Warum die und nicht der oder das? Das ist ganz einfach:

  • „Die“ ist der häufigste Artikel in der deutschen Sprache. Fast die Hälfte aller Nomen im Singular und alle Nomen im Plural werden mit „die“ gebildet.
  • „Die“ passt phonetisch zur Endung, fügt sich also in den Sprachfluss ein.
  • Und „die“ ist einfacher zu deklinieren als „der“ oder „das“.

Lass uns das an einem Beispiel mit Schüler*innen und Klassenzimmern veranschaulichen.

Während der Artikel „the“ im Englischen immer gleich bleibt, verändern sich die Artikel im Deutschen nach Genus, Numerus und Kasus (Fall). Im Genitiv muss im Maskulinum und Neutrum zusätzlich das Nomen angepasst werden. Und während es im Femininum nur zwei Formen gibt, im Neutrum drei, gibt es im Maskulinum vier verschiedene Artikel.

In Anbetracht der Tatsache, dass Deutsch ohnehin nicht zu den leichtesten Sprachen zählt, ist „die“ also das Mittel der Wahl.

Sollten sich irgendwann Neo-Artikel im Sprachgebrauch durchsetzen, empfiehlt es sich, die Deklination am Femininum zu orientieren, weil es dann nur zwei Varianten gibt.

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Falls du dich über die Reihenfolge der Fälle wunderst, weil du sie in der Schule anders gelernt hast. Ich orientiere mich an der Reihenfolge, wie sie für Deutsch als Zielsprache gelehrt werden. Mit dem Nominativ fängt alles an, das ist so etwas wie die Grundform. Akkusativ und Dativ brauchen wir auch in einfachen Sätzen ständig. Der Genitiv dagegen ist für fortgeschrittene Deutsch-Lernende. Er ist deutlich seltener und kommt vor allen Dingen in komplexeren Sätzen vor.

  • Falls du Fremdsprachler*in bist und den Genitiv nicht kannst: Don’t worry about the Genitiv. Viele Muttersprachler*innen können ihn auch nicht richtig.
  • Falls du den Genitiv beherrschst, sei stolz auf dich, denn viele Muttersprachler*innen beherrschen ihn nicht.

Weiter geht es mit den Pronomen.

Und wie werden Pronomen gegendert?

Pro-Nomen stehen im Satz anstelle von Nomen und ersetzen diese. Das ist praktisch, weil wir so die Nomen nicht ständig wiederholen müssen. Darüber hinaus erfüllen sie unterschiedliche Aufgaben. Während Personalpronomen einfach für das Nomen stehen, zeigen Possessivpronomen zusätzlich Besitzverhältnisse an, Relativpronomen leiten Nebensätze ein. Und all diese Pronomen haben eine Gendermarkierung und werden in den vier Fällen dekliniert.

Das macht die Sache kompliziert. Dabei sind die genannten nur ein Teil der Pronomenarten. Es gibt auch noch Interrogativpronomen, Reflexivpronomen und Indefinitpronomen. Die haben allerdings wenig bis keinen Genderbezug.

Bleiben wir also bei den Pronomenarten, in denen immer auch das Genus berücksichtigt werden muss und daher bei Personenbezeichnungen eben auch das Geschlecht.

Pronomenübersicht

Alle werden in den vier Fällen dekliniert. Bei den Possessivpronomen kommt erschwerend hinzu, dass sie sich in beide Richtungen anpassen müssen:

  • Das ist der Hund seines Vaters, seiner Mutter, seines Kindes, seiner Eltern.
  • Das ist der Hund ihres Vaters, ihrer Mutter, ihres Kindes, ihrer Eltern.

Wem gehört der Hund?

  • ihm
  • ihr
  • ihm
  • ihnen

Es geht also nicht nur um Genus und Numerus des Nomens, das durch ein Possessivpronomen ersetzt wird, sondern ebenfalls um Genus und Numerus des Besitzes, der angezeigt wird. Noch ein Beispiel:

  • Sie ist seine Freundin.
  • Sie ist ihre Freundin.
  • Er ist sein Freund.
  • Er ist ihr Freund.

Wie können wir hier gendergerechte Lösungen finden, ohne so hässliche Konstrukte wie „Er*sie ist seine*ihre Freund*in“ zu produzieren? Klar, wir können solche Sätze vermeiden, indem wir anders formulieren. Aber die Pronomenfrage bleibt damit ungelöst.

Wie können wir also zeigen, dass es jenseits von Mann und Frau eine geschlechtliche Vielfalt gibt? Oder ganz banal: Wie können wir Personalpronomen geschlechtslos also genderneutral verwenden, wenn das Geschlecht zum Beispiel keine Rolle spielt?

Welche Pronomen verwende ich für nicht-binäre Personen?

Im Englischen ist es einfach. Dort hat sich die Verwendung von „they“ und seinen Verwandten (their, them, themself) für neutrale Bedeutungen im Singular oder zur Benennung nicht-binärer Personen längst durchgesetzt. Erläuterungen dazu gibt es sowohl im Merriam Webster als auch im Online Oxford Dictionary.

Aber im Deutschen? Dort ist die Debatte in einer Sackgasse. In der queeren Coommunity und ihren Allies herrscht die Vorstellung vor, dass sich jede Person ihr eigenes Pronomen aussucht. Die Website nibispace.com listet inzwischen mehr als 40 Vorschläge für genderneutrale Personalpronmen auf.

Darunter: en, em, nin, dey, xier, they, sier, xer, zier.

Im mündlichen, direkten Kontakt mit einer nicht-binären Person mag das ja noch funktionieren, wenn mensch sich konzentriert und nicht viel Wert auf Grammatik legt.

Aber wie soll das im Sprachgefüge funktionieren? Wie werden diese Personalpronomen in den vier Fällen dekliniert? Wie heißen die dazugehörigen Posssesiv-, Relativ- und Demonstrativpronomen? Und wie werden die dekliniert?

Auf diese Fragen wissen auch die meisten nicht-binären Personen keine Antwort. Denn nicht-binär zu sein bedeutet ja nicht, gleichzeitig auch Expert*in für deutsche Grammatik zu sein.

Und was machen wir, wenn wir einen Text schreiben, in dem mehrere nicht-binäre Personen mit unterschiedlichen Pronomen vorkommen? Wenn ens zusammen mit xier nins in ninsens Haus besucht. Dann erzählt nin, dass nin zier vermisst? Das versteht kein Mensch mehr. Eine solche Sprachanwendung ist das Gegenteil von inklusiv. Das wäre sehr exkludierend, eine Geheimsprache für wenige Eingeweihte.

Außerdem brauchen wir eine Anwendung, wenn es ganz allgemein darum geht, alle Geschlechter zu integrieren, ohne eine konkrete Person zu benennen, etwa wenn es um einen Beruf geht und dafür Pronomen nötig sind.

Einfacher Merksatz: Pronomen sind keine zweiten Vornamen.

Deshalb lass uns für eine mögliche Lösung kurz über den Tellerrand in andere Sprachen schauen. Was können wir daraus für das Deutsche lernen?

Was können wir aus anderen Sprachen lernen?

Im Englischen ist es, wie erwähnt, deutlich einfacher. Denn dort gibt es nur einen Artikel und weniger Fälle, also auch weniger Variantenreichtum an Pronomen.

Statt der, die das gibt es nur the. The pupil ändert sich nur im Genitiv in the pupil’s. Im Deutschen gibt es alleine im Singular sechs Varianten, davon vier im maskulinen, zwei im femininen Singular.

Artikel Englisch-Deutsch-Vergleich

Daher sind Anleihen aus dem Englischen für das Deutsche nur begrenzt hilfreich. Denn sie passen nicht zur Komplexität der deutschen Grammatik. Besser bei den romanischen Sprachen. Sie gehören ebenfalls zu den „highly gendered languages“ und haben ähnlich komplexe Herausforderungen, wenn es darum geht, genderneutrale Lösungen zu finden.

Im Spanischen oder Französischen gibt es noch keine offiziellen, von den Sprachakademien abgesegnete Lösungen für genderneutrale Pronomen. Dennoch sind diese Sprachen weiter als das Deutsche. Hier bilden sich Neo-Pronomen aus einer Kombination der männlichen und der weiblichen Form:

  • Französisch: il und elle werden zu iel oder yel
  • Spanisch: el und ella werden zu ele oder elle

Wenn wir das auf Deutsch übertragen, könnte es so aussehen (Tabelle):

  • die und der werden zu dier
  • sie und er werden zu sier
  • sein und ihr werden zu sihr beziehungsweise sihre und sihres

Pronomenübersicht mit genderneutraler Alternative

Da diese Formen sich aus dem Sprachsystem ableiten, lassen sie sich auch in den vier Fällen deklinieren. Beim Personalpronomen sieht das dann so aus: Nominativ sier, Akkusativ sier oder sien, Dativ sier, sien oder siem und Genitiv siener (Tabelle).

Personalpronomen mit genderneutraler Alternative

Weil es bei den Possessivpronomen zu unübersichtlich wäre, verzichte ich auf eine tabellarische Darstellung. Aber da funktioniert es genauso. Angelehnt an die Deklination der weiblichen oder männlichen Pronomen ließe sich sihr in alle Richtungen deklinieren und ins Sprachssystem integrieren.

Beim Artikel und Relativpronomen sähe die Deklination zum Beispiel so aus: Nominativ und Akkussativ dier, Dativ und Genitiv diem.

Artikel in 4 Fällen - mit genderneutralem Vorschlag

Natürlich könnten wir die Deklination eines neutralen Artikels und Relativpronomens auch von der männlichen Form ableiten. Aber dann wird es halt komplizierter. Und ich plädiere ja immer für einfache, nachvollziehbare und pragmatische Lösungen.

Solche Neo-Artikel und Neo-Pronomen tauchen bisher nur sehr selten im Sprachgebrauch auf und sind weithin unbekannt.

Mir geht es in dem Beitrag nicht darum, zu sagen, was gut oder richtig ist, sondern darum, zu zeigen, warum die individuelle Pronomenwahl eine Sackgasse ist, welche Anforderungen geschlechtsneutrale Artikel und Pronomen erfüllen müssen und nach vorne zu denken und eine Möglichkeit zu präsentieren. Was sich letztlich entwickeln wird, entscheidet die Sprachgemeinschaft gemeinsam durch ihren Sprachgebrauch.

Wenn es jetzt noch keine neutrale Lösung gibt, was mache ich dann mit den Pronomen?

Bis wir sich in der deutschen Sprache akzeptierte Lösungen für neutrale Pronomen durchsetzen, mische ich die Varianten:

  • Ich umgehe umständliche Sätze durch andere Formulierungen.
  • Ich verwende die Beidnennung.
  • Wenn es nicht weiter stört, verwende ich ab und zu auch sie*er oder seine*ihre.
  • Und wenn es im Kontext passt, probiere ich die obigen Neopronomen aus.

Was soll das mit den Pronomen hinter den Namen?

Kommen wir nun zum letzten Abschnitt in diesem Blogbeitrag und aus den dunklen Tiefen grammatikalischer Strukturen wieder in das Licht des alltäglichen Sprachgebrauchs. Du hast bestimmt schon gesehen, dass manche Leute hinter ihrem Namen in Klammern Pronomen angeben. Warum tun sie das?

Das hilft, Menschen im richtigen Geschlecht anzusprechen. Denn über die Pronomen erkennen wir, ob Sigi (sie/ihr) eine Frau oder Sigi (er/ihm) ein Mann ist. Bei nicht-binären Sigis steht zum Beispiel (dey/denen) oder (nin) oder oder oder. Die Problematik dieser Vielfalt habe ich in diesem Blogbeitrag erläutert.

Diese Angaben sind auch bei den gängigen Pronomen oft nicht stringent. Wenn wir Personal- und Possessivpronomen im Nominativ angeben, müsste es heißen (sie/ihr) und (er/sein). Aber wie gesagt: Nur weil jemand Deutsch spricht, ist die Person keine Expertin für deutsche Grammatik.

Dennoch ist die Information hilfreich: Denn so wissen wir, ob wir eine Person als Mann, als Frau oder ohne Geschlechtszuschreibung ansprechen, zum Beispiel in der Brief- oder Mailanrede.

Denn mal ehrlich: An welches Geschlecht denkst du bei Gabriele, Simone oder Andrea? Bist du sicher, dass das stimmt? Im deutsch-kulturellen Kontext sind es Frauennamen, im italienisch-kulturellen Kontext Männernamen.

Ohne eindeutiges Geschlecht sind auch Sascha, Kim, Luca, Pascale, Dominique sowie viele Kurzformen traditioneller Namen wie Alex, Micha oder Chris.

Dazu kommen all die Namen aus anderen Kulturkreisen, bei denen wir überhaupt keine Geschlechtervorstellung mit dem Namen verbinden.

Gleichzeitig wird es als sehr unangenehm empfunden, wenn jemand im falschen Geschlecht angesprochen wird. Als Sigi weiß ich ein Lied davon zu singen, misgendert zu werden. Einmal im Jahr kann so ein Fehler passieren, kein Ding. Drei Mal die Woche als Herr Lieb angesprochen zu werden, ist deutlich zu viel.

Und das, obwohl ich mein Geschlecht in jeder E-Mail angebe. Es steht hinter meinem Linkedin-Profil und wer mich auf einem Foto sieht, entwickelt wohl kaum die Vorstellung, ich sei ein Mann.

Mein Tipp also zum Abschluss:

  1. Mach es anderen einfacher, indem du zum Beispiel in deinem E-Mail-Fuß hinter deinen Namen angibst, was die richtige Ansprache ist.
  2. Bevor du andere adressierst, prüfe nach, ob die Anrede stimmt oder lass zumindest eine Geschlechtszuweisung weg.

Der eigene Bauch ist hier kein guter Ratgeber, denn was er vorschlägt, hängt von privaten subjektiven Erfahrungen und von stereotpyen Bildern ab. Und die haben wir alle. Prüfe also lieber doppelt, statt deiner spontanen Eingebung zu vertrauen.

Hilfreiche Links

Bilder: Titelbild und alle Grafiken/Tabellen: Sigi Lieb

Darf ich die Tabellen verwenden?

Die verwendeten Tabellen Grafiken sind alle von mir, Sigi Lieb. Du darfst sie unter der CC-Lizenz CC BY-SA verwenden. Das heißt: du darfst sie kopieren, verändern (zum Beispiel in deinem Unternehmensdesign anpassen) und für eigene Zwecke verwenden (zum Beispiel für einen Genderleitfaden). Mich als Urheberin musst du angeben. Ob die Nutzung kommerziell ist oder nicht, ist egal.  Wenn du die Tabellen veränderst, musst du das transparent machen (zum Beispiel: angepasste Verson nach Angabe Urheberin). Auch vom Original veränderte Versionen müssen unter den gleichen Bedingungen lizenziert werden.

Mehr zu CC-Lizenzen: https://medienkompass.de/creative-commons-lizenzen-ueberblick/

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