Wer darf im Frauensport antreten? Der neue Weltboxverband World Boxing hat am 30. Mai 2025 angekündigt, nur noch Athletinnen im Frauenboxen antreten zu lassen, die sich zuvor einem Geschlechtstest unterzogen haben. Aufsehen erregte die Meldung, weil sie unmittelbar dazu führte, dass eine der Olympiasieger*innen von 2024 dadurch nicht in der weiblichen Kategorie beim Eindhoven Box Cup vom 5. bis 10. Juni 2025 antreten kann: Imane Khelif aus Algerien. Schon vor längerer Zeit hatten der Weltschimmverband World Aquatics und der Weltleichtathletikverband World Athletics entschieden, dass in der Frauenkategorie nur antreten darf, wer keine männliche Pubertät durchlaufen hat. Welche Rolle spielt das Geschlecht beim Sport? Darum geht es in diesem Blogbeitrag.
Ist Imane Khelif nun ein Mann oder eine Frau?
Der Fall Imane Khelif erregte bei den Olympischen Spielen in Paris im Sommer 2024 viel Aufsehen. Es bestanden Zweifel an Khelifs biologischem Geschlecht und die algerische Boxer*in erlebte einen weltweiten Shitstorm, wurde aber auch, ebenso wie Lin Yu-ting aus Taiwan, Olympia-Sieger*in in ihrer Gewichtsklasse. Diskutiert wurde, ob Khelif eine Frau sei oder ein Mann.
Der Volksverpetzer behauptete in einem Beitrag, den er „Faktencheck“ nannte, Imane Khelif sei eine Frau, weil sie bei Geburt als solche registriert worden sei. Ob Khelif XY-Chromosomen habe, sei nicht sicher und selbst wenn, sei sie eine Frau, weil es Kinderbilder von ihr im Mädchenoutfit gibt. Zur Unterstützung des eigenen Narrativs verwiesen die Autoren Thomas Laschyk und Philip Kreißel auf das Beispiel einer Person mit Swyer-Syndrom. Was das ist, dazu später. Bleiben wir bei Khelif und den aktuellen Ereignissen.
Die feministische Zeitschrift „emma“ titelte diese Woche: „Imane Khelif: Aktenzeichen XY gelöst“. Das Online-Magazin „telepolis“ schrieb: „Neues Leak von Geschlechtertest: Olympiasiegerin Khelif wohl biologisch männlich“. Richtig ist, dass Tests vorliegen, nach denen Imane Khelif einen männlichen Karyotyp hat, also XY-Chromosomen. Richtig ist auch, dass bei Khelif erhöhte Testosteronwerte gemessen wurden.
Neu ist daran allerdings nichts. Der jetzt veröffentlichte Test aus einem indischen Labor lag Sport-Journalist Alan Abrahamso bereits im August 2024 vor und er zitierte daraus.
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In New Delhi, another test for each, “to reconfirm the findings of the initial test, which it did,” according to the June 2023 letter the IBA sent to the IOC. The New Delhi lab reports for both Khelif and Lin say the same thing: Result Summary: “Abnormal”. Interpretation: “Chromosomal analysis reveals Male karyotype.” A karyotype means an individual’s complete set of chromosomes. Females have XX chromosomes, males XY. The lab results for each athlete depict the XY chromosomes photographically.
Alan Abrahamson am 3. August 2024 in Wire Sports
Am 9. August 2025, nachdem Khelif Gold gewann, präzisierte Abrahamson in einem weiteren Artikel für Wire Sports:
Both Khelif and Lin submitted to chromosome tests at the May 2022 Women’s World Boxing Championships in Istanbul and again at the March 2023 Women’s World Boxing Championships in New Delhi. Referring to the second tests, the IBA said in a statement issued earlier this week, “The findings were absolutely identical to the first results.” The New Delhi test results for each say “chromosome analysis reveals Male karyotype” – with a depiction of XY chromosomes. The lab is CAP-certified and ISO-certified. 3 Wire Sports has seen these tests.
Alan Abrahamson am 9. August 2024 in Wire Sports
In einem Interview mit der französischen Zeitung Le Point zitiert Khelifs Trainer Georges Cazorla einen Endokrinologen, der ebenfalls Tests durchgeführt hatte.
After the 2023 Championship, when she was disqualified, I took the initiative and contacted a renowned endocrinologist at the University Hospital Kremlin-Bicêtre in Paris, who examined her. He confirmed that Imane was indeed a woman, despite of her karyotype and her testosterone levels. He said : “There is a problem with her hormones, and with her chromosomes, but she’s a woman.”
Georges Cazorla im Interview mit Le Point, 14. August 2024
Der Endokrinologe sagt also: Khelif hat XY-Chromosomonen, erhöhte Testosteron-Level, sei aber dennoch eine Frau. Was er nicht sagt, auf welcher Grundlage er den Begriff Frau definiert.
Ja. Rechtlich war Khelif tatsächlich seit Geburt als weiblich eingetragen. Spätestens seit der Pubertät aber ist klar, dass sie biologisch keine Frau ist, sondern eine Variante der Geschlechtsentwicklung hat. Daran ist nichts neu. Solche Fälle gab es auch in der Vergangenheit schon, wie wir später sehen werden. Das Problem für Khelif: In Algerien gibt es keine Möglichkeit, den rechtlichen Geschlechtseintrag zu ändern.
Nachdem die genannten Tests nun veröffentlicht sind, dürfen sich A-Medien von Süddeutsche über Spiegel bis Sportschau, inklusive Correctiv und RND fragen lassen: Warum seid ihr diesen deutlichen Hinweisen im August 2024 nicht nachgegangen? Warum habt ihr journalistisch versagt? Warum habt ihr die Recherchen von Sportjournalist Alan Abrahamson konsequent ignoriert?
Imane Khelif wurde also bei Geburt als Mädchen registriert, ohne im biologischen Sinne weiblich zu sein. Aber was heißt biologisches Geschlecht eigentlich?
Was bedeutet biologisches Geschlecht genau?
Wir leben in einer Welt, in der der Begriff Geschlecht in völlig verschiedenen Bedeutungen verwendet wird. Die einen reden über biologische Voraussetzungen, andere über den rechtlichen Geschlechtseintrag und wieder andere über eine Genderidentität. Und weil darüber gestritten wird, ob eine Birne ein Obst ist oder ein Leuchtmittel, führen diese Debatten zu nichts außer Krawall und Spaltung. Ich habe bereits vor einiger Zeit einen Blogbeitrag geschrieben, der etwas Ordnung in den Dschungel der Begriffe rund um Geschlecht und Gender bringen soll.
In diesem Beitrag geht es um die Frauenkategorie beim Sport und um das biologische Geschlecht, samt ungewöhnlicher Varianten seiner Ausprägung, wie sie bei Khelif und anderen Interpersonen vorliegen.
Die Biologie befasst sich nicht nur mit Menschen sondern mit allen lebenden Organismen und deren Arterhalt, also der Fortpflanzung. Bei der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung braucht es die Gene von zwei Elternorganismen mit unterschiedlichen Keimzellen. Die kleinen Keimzellen (Pollen/Spermien) sind in der Biologie männlich definiert, die großen (Stempel/Eizellen) weiblich. Dabei ist es in der biologischen Definition egal, ob der Organismus tatsächlich fortpflanzungsfähige Gameten (Keimzellen) produziert oder unfruchtbar ist. Was zählt, ist die theoretische Ausrichtung.
In diesem Video erklärt der Account „Gen-au Gen-ommen“ ganz genau, wie in der Biologie auf Geschlecht geblickt wird und was Begriffe wie chromosomales Geschlecht, Genotyp und Phänotyp genau meinen (etwa Minute 13). Etwa ab Minute 18 wird erklärt, warum es beim Geschlecht zwei Spektren gibt, ein männliches und ein weibliches Spektrum, aber eben kein gemeinsames. Es gibt bei einzelnen Merkmalen zwar Überlappungen, aber nicht beim Entwicklungsweg als Ganzes. Der aber ist entscheidend für die biologische Definiton von Geschlecht.
Das gilt auch für Varianten, wie Turner (X0), Klinefelter (XXY) oder andere DSD-Varianten, die aus biologischer Perspektive klar zu einem der beiden biologischen Geschlechter gehören, auch dann, wenn sie unfruchtbar sind. Dass es im rechtlichen Sinne hierzulande oder in Österreich weitere Möglichkeiten des rechtlichen Geschlechtseintrags gibt oder dass der rechtliche Eintrag geändert werden kann und es für beides gute Gründe gibt, ist ein anderes Thema. Aber der rechtliche Eintrag ist eben kein valides Kriterium für faire Bedingungen im sportlichen Wettkampf.
Für die Fairness im Frauensort ist vor allen Dingen ein Aspekt relevant: Hat durch eine männliche Pubertät eine Virilisierung in Richtung Mann stattgefunden? Diese Frage betrifft einerseits Transpersonen, also Menschen die sich einem anderen als ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, und andererseits Interpersonen, also Menschen wie Khelif, bei denen eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.
Varianten der Geschlechtsentwicklung und ihre Auswirkungen auf sportliche Fairness
Varianten der Geschlechtsentwicklungen, Englisch Differences of Sexual Development, kurz DSD, bezeichnet alle anatomisch untypischen Entwicklungen geschlechtsspezifischer Merkmale. Nicht alle dieser Varianten gelten auch als intergeschlechtlich. Das vorneweg.
In diesem Blogbeitrag soll es vor allen Dingen um die Varianten gehen, die Fragen aufwerfen, in welche Kategorie beim Sport diese Person passt und warum.

Aus der Tabelle geht hervor, dass es einerseits auch XX-Varianten gibt, bei denen es ohne Behandlung zu sportlichen Vorteilen kommen kann. Insbesondere bei PCOS (Polyzystisches Ovar-Syndrom) ist das jedoch eher theoretisch, da diese DSD häufig mit Übergewicht einhergeht.
Andererseits zeigt die Tabelle, dass nicht alle XY-Varianten mit DSD Leistungsvorteile gegenüber Frauen haben. Es kommt entscheidend darauf an, ob das Testosteron vermännlichend (androgene Effekte, Virilisierung) wirkt.
Ein Beispiel ist CAIS, die vollständige Androgenresistenz. Das bedeutet, ein biologisch männlicher Embryo (XY-Karyotyp mit SRY-Gen und ausgebildeten Hoden, die Testosteron produzieren) kann dieses Testosteron nicht verarbeiten und entwickelt sich weiblich weiter. CAIS-Personen sehen ihr Leben lang aus wie Frauen und können nichts daran ändern, weil Testosteron nicht wirkt. Logischerweise haben Menschen mit dieser Intervariante keine Leistungsvorteile im Frauensport.
Bei PAIS (partieller Androgenresistenz) kommt es darauf an, wie stark sie ausgeprägt ist und wie stark Testosteron noch wirkt, ob sie Leistungsvorteile haben oder nicht.
Eine DSD, die in der Tabelle nicht auftaucht, aber beim Volksverpetzer erwähnt wird, ist das sogenannte Swyer-Syndrom, medizinischer Name auch: Gonadendysgenesie, 46, XY-Typ. Hier liegt eine Genmutation vor, die dazu führt, dass die Entwicklung von Hodengewebe gestört ist beziehungsweise ausbleibt. Das bedeutet, ein XY-Embryo entwickelt äußere weibliche Organe (Vulva, Eileiter, Gebärmutter), bleibt mangels funktionierender Keimdrüsen aber unfruchtbar. Allerdings kann eine Swyer-Person mit einer Eizellenspende schwanger werden. Da die Hoden nicht entwickelt sind, erfolgt auch keine Vermännlichung, weshalb es keine Vorteile im Sport gibt.
In der Praxis taucht im Frauen-Leistungssport immer wieder die gleiche DSD-Variante auf: 5-alpha-Reductase-Mangel. Hier sorgt ein Enzymmangel dafür, dass die männliche Entwicklung beim Embryo untypisch verläuft und das Baby mit einer Art verkümmertem Penis geboren wird, der auch leicht als vergrößerte Klitoris gedeutet werden kann. Sie werden bei Geburt oft als Mädchen registriert. Anders als Personen mit CAIS erleben sie in der Pubertät eine Vermännlichung und damit die typischen Leistungsvorteile gegenüber biologischen Frauen.
Zu dieser DSD-Variante gibt es einen lesenswerten Roman von Jeffrey Eugenides. Im Mittelpunkt steht eine Person mit 5-alpha-Redcutase-Mangel und ihre griechsch-amerikanische Familiengeschichte. 2003 bei Rowohlt erschienen, gibt es bald eine Neuauflage im dtv-Verlag.
Khelif, Yu-Ting, Banda, Semenya und Schinegger: Inter-Beispiele aus dem Frauensport
5-alpha-Reductase-Mangel ist eine seltene DSD-Variante. Die Häufigkeit (Prävalenz) ist nicht bekannt. Allerdings gibt es einige Regionen, in denen sie gehäuft auftritt. Im Leistungssport der Frauenkategorie jedoch tritt 5-alpha-Reductase-Mangel um ein Vielfaches öfter auf als in der Gesamtbevölkerung. Die Forscher*innen der oben genannten Studie schätzen 140 Mal häufiger. Das ist insofern logisch, da diese vermeintlichen Frauen biologisch männlich sind und die Sportvorteile männlicher Körper haben. Aber dies zuzugeben, fällt mitunter schwer.
Spätestens ab der Pubertät bemerken sie, dass sie anders sind als andere Mädchen. Je nach kulturellem Umfeld sind sie mit dieser Wahrnehmung aber alleine und haben niemanden, mit dem sie offen darüber reden können. Gerade stark hetero-normativ geprägte Kulturen tun sich schwer mit diesen Varianten, bei der sich ein Baby, das zunächst aussieht wie ein Mädchen als Junge entwickelt. Kulturelle Normen aber sind der Natur egal: Die Vermännlichung findet einfach statt.
Sportfunktionäre wissen das natürlich. Für sie zählt aber etwas anders mehr: Geld und Ruhm und Macht. Dabei helfen Personen mit männlichen Leistungsvorteilen im Frauensport.
5-alpha-Reductase-Mangel wird nicht nur bei Khelif als wahrscheinlichste Intervariante vermutet, sondern ebenso bei der taiwanesischen Boxer*in Lin Yu-Ting, der südafrikanischen Läufer*in Caster Semenya, der sambischen Fußballer*in Barbra Banda und bei der österreichischen Ski-Weltmeister*in von 1966, Erika Schinegger. 1967 wurden für die Teilnahme an den Olympischen Spiele 1968 Geschlechtstests eingeführt. Dabei stellte sich für Erika heraus, dass sie biologisch männlich ist. Und der Ski-Verband reagierte gemäß seiner eigenen Interessen.
Dem österreichischen Verband sei es im Prinzip nur darum gegangen, »die Goldmedaille zu erhalten«, sagte Erik Schinegger 2018 dem Journalisten David Pesendorfer in einem Interview für News.at. Schinegger, bei der Untersuchung erst 19 Jahre alt und als Tochter einer Kärntner Bauernfamilie aufgewachsen, wurde gezwungen, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Über die konkreten Ergebnisse der Untersuchung informierte der Verband sie dagegen nicht. Außerdem legte man der völlig verunsicherten und schockierten jungen Frau einen zweiwöchigen Urlaub in Nordafrika nahe, mit der Begründung: »Wenn jemand stirbt, redet man noch eine Woche von ihm, bei dir wären es halt dann 14 Tage, dann ist Gras über die Sache gewachsen.« Erika sollte Erika bleiben, Hormonbehandlung und Brustoperation wurden in Aussicht gestellt: »Sie sagten, danach wäre ich eine zertifizierte Frau.« Ein Sportfunktionär habe sogar Skiläufer unterschreiben lassen, dass sie mit Erika Sex gehabt hätten – was beweisen sollte, dass sie eine richtige Frau sei.
Bernhard Torsch, in „Die verdiente Medaille“, 2021
Erika entschied sich anders und wurde zu Erik. Erik Schniegger wäre auch im Männer-Leistungssport angetreten. Dort jedoch scheiterte er an der toxischen Männlichkeit. Er wurde gemobbt und ausgegrenzt. Und musste sich anderweitig ein neues Leben aufbauen. Was ihm glücklicherweise gelang. Zu seiner Lebensgeschichte gibt es ein Buch und einen Film. Hier ist Schinegger im Interview zu sehen:
Was bedeutet Geschlecht für den Sport?
Welche Rolle das biologische Geschlecht im sportlichen Wettkampf spielt, hängt zunächst von der Sportart selbst ab. Beim Reiten etwa gibt es gar keine Geschlechtertrennung. Aber auch beim Schießen oder Dartspielen oder beim Schach sind mir keine signifikanten Leistungsvorteile durch eine männliche Pubertät bekannt. Anders ist das bei der Leichtathletik, beim Schwimmen oder beim Gewichtheben.
Bei Kontaktsportarten wie Boxen, Fußball oder Basketball kommen zu den Leistungsvorteilen für Personen mit männlicher Pubertät zusätzlich noch Verletzungsrisiken für XX-Personen. Das kommt einerseits durch die Wucht testosteron-veränderter Körper. Und andererseits trifft diese auf ein statisch anderes Skelett. Das führt dazu, dass ein Transmann einerseits Vorteile durch Testosteron hat und gleichzeitig wegen XX-Skelett bei einem Zusammenprall einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt ist.
Was wir brauchen, ist also weniger eine zwanghafte Definition, wer sich nun als Mann, als Frau oder als Nicht-binär zu identifizieren hat. Die Verwirrung für Betroffene mit DSD ist auch so schon schwer genug. Wie sie leben wollen, sollten sie selbst entscheiden. Ebenso sollen Transpersonen ihr Leben in Frieden leben können.
Was wir aber brauchen, sind klare Regeln für sportliche Fairness und Sicherheit. Denn beim Schwimmen oder Laufen treten keine Identitäten und auch keine Ausweispapiere gegeneinander an, sondern Körper. Deshalb braucht es auch am Körperlichen orientierte Regeln, wie ein fairer und sicherer Wettkampf kategorisiert wird.
Die spannende Frage lautet: Welche durch die Pubertät verursachten Leistungsunterschiede bleiben. Welche verändern sich durch gegengeschlechtliche Hormonbehandlungen?
Inzwischen liegen mehrere Studien vor, die sich explizit mit der Leistungsentwicklung bei einer Transition befassen. So beschreibt Hunter et al, dass die Leistung von Transfrauen durch eine gegengeschlechtliche Hormonbehandlung zwar sinkt. Dennoch bleibt ein Leistungsvorteil gegenüber biologischen Frauen messbar:
In longitudinal observations (386), transgender women in the US Air Force performed a slower 1.5-mile run time (~8%) at 2–2.5 yr of follow-up but maintained a performance advantage of 12% over cisgender women. Given that 1.5-mile run times are highly correlated (r = −0.89) with V˙O2max (390), it is possible that the greater endurance performance is associated with a larger aerobic capacity and is advantageous for transgender women.
Sandra Hunter et al in „The Biological Basis of Sex Differences in Athletic Performance“
In Langzeitstudien bei Läufen über knapp 2,5 Kilometer (1,5 Meilen) war nach zwei bis zweieinhalb Jahren Hormontherapie immernoch ein Leistungsvorteil von etwa 12 Prozent messbar. Die Autor*innen vermuten, dass dies mit dem größeren Lungenvolumen von Transfrauen im Vergleich zu Frauen zusammenhängt. Denn das ändert sich durch eine Transition ebensowenig wie die Körpergröße.
Transmänner entwickeln durch Testosterongaben eine männliche Leistungssteigerung. Aber auch die hat ihre Grenzen. Denn das Größenwachstum ist nach der Pubertät abgeschlossen und wird durch Testosterongaben nicht beeinflusst.
Kategorie Frau im Sport: Wer darf künftig im Frauensport antreten?
Der Weltschwimmverband World Aquatics und der Weltleichtathletikverband World Athletics lassen in der Frauenkategorie nur Personen zu, die keine männliche Pubertät durchlaufen haben. World Aquatics führte 2023 für Trans-Athlet*innen eine dritte offene Kategorie für alle Geschlechter ein, für die es beim World Cup in Berlin jedoch keine Anmeldungen gab.
Welche Regeln stellt nun World Boxing auf? Dort soll via PCR-Test getestet werden, ob es ein SRY-Gen gibt. Dieses Gen, das im Regelfall auf dem Y-Chromosom zu finden ist, führt zur Entwicklung eines männlichen Embryos. Bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (DSD) zählt, ob der Körper eine vermännlichende Pubertät erlebt hat.
Athletes that are deemed to be male at birth, as evidenced by the presence of Y chromosome genetic material (the SRY gene) or with a difference of sexual development (DSD) where male androgenization occurs, will be eligible to compete in the male category.
Athletes that are deemed to be female at birth, as evidenced by the presence of XX chromosomes or the absence of Y chromosome genetic material (the SRY gene) or with a DSD where male androgenization does not occur, will be eligible to compete in the female category.
World Boxing, Pressemeldung, 30. Mai 2025
Bereits im August 2024 legten Ross Tucker, Tommy Lundberg und andere Wissenschaftler*innen ein Papier vor, wie Fairness und Sicherheit im sportlichen Wettbewerb gewährleistet werden können: „Fair and Safe Eligibility Criteria for Women’s Sport“. Darin fordern sie auch, dass die Testungen weit im Vorfeld der jeweiligen Wettbewerbe stattfinden sollten, um Betroffene, wie etwa Khelif, davor zu schützen, globalen und verletztenden Shitstorms ausgesetzt zu werden. Das hat das IOC 2024 wider besseren Wissens verpasst. Der damalige IOC-Präsident hat damit sowohl dem Frauensport geschadet wie auch den betroffenen Interathlet*innen, indem er sie weltweiter Hetze aussetzte.
Quellen und weiterführende Literatur
Alan Abrahamson: IBA letter to IOC, June 2023: Boxer’s ‚DNA was that of a male consisting of XY chromosomes‘, Wire Sports, 3. August 2024, https://www.3wiresports.com/articles/2024/8/3/0d4ucn50bmvbndhhqjohaneccoqueq
Alan Abrahamson: Algeria’s Imane Khelif wins gold. Will this worldwide controversy spark constructive change?, Wire Sports, 9. August 2024, https://www.3wiresports.com/articles/2024/8/9/algerias-imane-khelif-wins-gold-will-this-worldwide-controversy-spark-constructive-change
Alan Abrahamson: Imane Khelif, the IOC, World Boxing and mandatory sex testing, Wire Sports, 1. Juni 2025, https://www.3wiresports.com/articles/2025/6/1/xxyetyl1aewfij823hnfdrsbi1sqjm
Annika Ross: Aktenzeichen XY gelöst, emma, 3. Juni 2025, https://www.emma.de/artikel/imane-khelif-aktenzeichen-xy-geloest-341779
Beatrice Parrino: 2024 Olympics: Imane Khelif was devastated to discover out of the blue that she might not be a girl!, Le Point, 14. August 2024, https://www.lepoint.fr/monde/2024-olympics-imane-khelif-was-devastated-to-discover-out-of-the-blue-that-she-might-not-be-a-girl-14-08-2024-2567924_24.php
Bernhard Torsch: „Die verdiente Medaille“, Jungle World, 10. Juni 2021, https://jungle.world/artikel/2021/23/die-verdiente-medaille
Claudia Bothe: Der entscheidende Unterschied, FAZ, 12. Mai 2024, https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/olympia-warum-transathletinnen-nicht-starten-duerfen-19695912.html
Harald Neuber: Neues Leak von Geschlechtertest: Olympiasiegerin Khelif wohl biologisch männlich, telepolis, 2. Juni 2025, https://www.telepolis.de/features/Neues-Leak-von-Geschlechtertest-Olympiasiegerin-Khelif-wohl-biologisch-maennlich-10423079.html
Lars Becker, Laura Beigel: Geschlechtsdebatte um Boxerinnen bei Olympia: Der Fall im Faktencheck, RND, 5. August 2024, https://www.rnd.de/sport/geschlechtsdebatte-im-olympia-boxen-worum-geht-es-ein-faktencheck-E6ONSAV5R5DFTAAR4DFY3WYAWA.html
Ross Tucker et al: Fair and Safe Eligibility Criteria for Women’s Sport, Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 10. August 2024, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/sms.14715
Sandra Hunter et al: The Biological Basis of Sex Differences in Athletic Performance: Consensus Statement for the American College of Sports Medicine, Translational Journal of the ACSM, 2023, inkl. Korrektur 2024, https://journals.lww.com/acsm-tj/fulltext/2023/10130/the_biological_basis_of_sex_differences_in.5.aspx
Thomas Laschyk, Philip Kreißel: Faktencheck: Imane Khelif ist eine cis Frau, Volksverpetzer, 1. August 2024, https://www.volksverpetzer.de/faktencheck/imane-khelif-ist-cis-frau/
Tommy R. Lundberg: The International Olympic Committee framework on fairness, inclusion and nondiscrimination on the basis of gender identity and sex variations does not protect fairness for female athletes, Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 21. März 2024, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/sms.14581
World Boxing: World Boxing to introduce mandatory sex testing for all boxers, 30. Mai 2025, https://worldboxing.org/world-boxing-to-introduce-mandatory-sex-testing-for-all-boxers/